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Barbi Markovic: Die verschissene Zeit.


Leseprobe, S. 29 ff:

Im Lift auf dem Weg in den 12. Stock habe ich versucht, den üblichen Spuckegeruch auszublenden, trotzdem kam es mir hoch. Mein Walkman mit dem ersten Darkwood-Dub-Album war möglichst laut aufgedreht, aber die Sirene übertönte die Musik problemlos. Nachdem die Nachbarinnen vom 13. Stock im Treppenhaus schreiend an mir vorbeigerannt und zu Fuß die Treppe hinuntergehetzt waren und meine Mutter gesagt hatte, es sei Krieg, suchte ich die Fernbedienung, um mein Schicksal aus dem Fernseher zu erfahren. In RTS lief Puppentheater, und das nahm ich als Beweis dafür, dass alles okay sei, was aber ein Irrtum war, weil bald darauf eine Männerstimme das Programm unterbrach:

Heute hat die NATO eine Invasion auf die Sozialistische Republik Jugoslawien begonnen. Ein souveränes Land wurde angegriffen gegen alle Prinzipien und Normen des internationalen Rechts. Die Regierung ruft alle Bürger, die Armee, die Polizei und alle anderen Verteidigungssubjekte dazu auf, ihr Verfassungsrecht auszuüben.

Danach ändert sich das Fernsehprogramm. Ein rustikales Musikvideo mit dem Namen Wir lieben dich, unsere Heimat wird zum ersten Mal abgespielt. Der Text ist so trashig und unspezifisch patriotisch, ein echter Brainwash, ein Überfall, ein Akt des Vandalismus gegen souveräne, unabhängige Leute wie mich. Und es wird so oft gespielt, dass ich es am Abend schon auswendig kann. Das Lied ist ein unguter Ohrwurm und das offizielle Musikstück zur Verteidigung gegen die Operation Allied Force.

Jahrhundertealte Wahrzeichen zieren unsere Truppen,
die dreifarbige Fahne flattert an der Spitze, deine und meine.
Mit ihren Blicken umarmen die Piloten die Siedlungen und
fruchtbaren Felder.
Im Hafen ruft den Matrosen die unendliche blaue Meeresweite.
Die Liebe wird mit Liebe zurückgezahlt.
Wir lieben dich, unser Vaterland.
Mit uns bist du sicher, mit uns bist du stärker.
Mit deinem Namen im Herzen schreitet auch deine Armee voran!

Die Bilder der Soldaten, die im Video aus Hubschraubern springen und in einem Feld landen, wo eine Braut sich um ihre eigene Achse dreht, bereiten mir Unbehagen, ich starre den Fernseher an. Das Lied läuft ständig, gelegentlich wirdes unterbrochen, um die Ankündigungen zu wiederholen.

Bleiben Sie ruhig, gehen Sie in Ihr Kellerversteck.


Leseprobe, S. 10 ff:

Kasandra war ursprünglich deine beste Freundin. Ihr habt euch im Park kennengelernt. Zuerst habt ihr euch gegenseitig mit Bällen abgeschossen. Dann habt ihr gerauft, einander erbarmungslos auf die gefrorene Erde geschmissen und gelacht, und wenn die eine nicht mehr raufen wollte, lief ihr die andere wie ein Raubtier hinterher und warf sie umso heftiger auf den vereisten Boden. Ihr habt erst aufgehört, euch den ganzen Tag zu prügeln, als Kasandra in einem Gebüsch einen Hund fand. Der Hund war dreifarbig und intelligent. Ihr habt sofort begonnen, ein Haus für ihn zu bauen. Marko hat euch ausgelacht, weil ihr angeblich zu alt wart für Tiere. Aber Kasandra und du wart tierlieb, und der Hund war sympathisch und lustig. Er hat euch jeden Tag zur Schule begleitet. Später, als er tot auf der Straße lag, sagte Kasandra zu dir: »Das war mein letzter Hund aus dem Park. Scheiß auf Viecher.« Damit hat Kasandra deine Gefühle verletzt, aber dann hat sie dir die Pistole ihres Onkels gezeigt, und die Freundschaft war wieder aktiviert, zumindest bis zum Steinwurf. Marko hat am Tag des Steinwurfs Kasandras wachsende Brüste zum Thema gemacht. Sie ging auf ihn los und warf einen Stein, der an Marko vorbeisauste und DICH als unbeteiligte Beobachterin auf die Zähne traf, und Blut rann aus deinem Mund, bis heute lispelst du deswegen. Bevor sie dich traf, hatte Kasandra zu deinem Bruder gesagt, sie würde ihm den Schädel zerschlagen, sie würde seinen (euren) Vater ficken und ihn töten. Sie spucke Marko in die Fratze, er sei ein dummer Schwanz. Sie pfeffere ihm eine auf den Mund und verpasse ihm eine zwischen die Hörner. Sie würde ihn auf jeden Fall in seine fiebrige Birne ficken. Er solle sich im Park nicht mehr sehen lassen. Sie schlage ihm mit der Faust die Zähne aus und gehe singend davon. Sie scheiße ihm in den Mund und stopfe das Ganze mit ihrer Fußsohle rein. Er solle ihre Scheiße fressen, sie ficke ihm seine Sonne und seine Familie in den Arsch, und zwar in den blutigen Arsch. Sie scheiße auf seinen Staat, er solle sich zurück in den Schwanz verziehen, aus dem er herausgekommen sei mit seinem Affengesicht. Er sei eine Stinkefotze, und sie, Kasandra, spucke auf sein Grab. Sie zerficke seine gesamte Stromversorgung in die g'schissene Steckdose. Sie scheiße seiner kleinen Schwester (dir) auf den Kopf und ballere ihm eine aufs Hirn und eine auf seinen stinkenden Riesenarsch. Sie beiße ihm den Schwanz ab und scheiße auf seinen Samen, seine Keime und seinen verdammten Löwenzahn. Sie ficke seinen Schwefel und seinen sabbernden Mund und sie ficke seinen Weizen und sie zertrete alles in seiner Familie, was eine Türklinke halten kann (also auch dich), und sie zerficke ihm sein Blut in den Knochen. Er solle sich verziehen. Sein Vater sei ein Mörder, er sei ein Klebstoffschnüffler etc.
 

© 2021 Residenz Verlag, Salzburg-Wien

 

 

 

 

 

 

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