Leseprobe: Lukas Kollmer - "Anomia."

DIE HULD

Ich will mich meines Drecks nicht weiter mit eigener Hand entledigen müssen, und da ich Geld habe, gebe ich ein Inserat auf. Ich öffne die Türe und vor mir steht eine Frau in schwarzem Rock. Sie trägt dunkle Strümpfe und hübsche schwarze Schuhe. Sie trägt ihr Haar lang und üppig. Sie trägt einen Buckel und nur einen Arm, den linken. Sie trägt ihr Kinn vielleicht einen Meter und zehn über dem Boden und eine weiße, wie aus Keramik gefertigt glänzende Maske mit einem Loch in der Mitte der Stirn. Sie trägt den Geruch von überreifen Äpfeln in meinen Vorraum, als sie ihn flink und unaufgefordert betritt (mehr behüpft) und sich breitbeinig unter mir aufstellt. Auf die Frage, ob sie wegen des Inserats hier wäre, antwortet sie mit einer schwungvollen Geste ihres einzigen Arms, den sie weit hinter ihren Rücken ausstreckt, in dieser Art mit einer zierlichen Hand nach draußen weisend. Ich beuge mich in den Hauseingang und erkenne, dass sie ihn mit einer Barrikade, bestehend aus den neuesten Cleansing-Tools und Nano-Agents, fast vollständig blockiert hat. Trotz ihres Kleinwuchses und ihrer Einarmigkeit gelingt es ihr, das Material in meinem Vorraum bis zum Plafond zu stapeln. Bis dahin sind zwanzig Minuten vergangen und ich weiß, dass ich sie nicht nehme. Als sie zwei Stunden später mit der ganzen Wohnung fertig ist, bezahle ich sie mit dem RFID-Scanner und lasse sie mehrmals nicken, nachdem ich sie gefragt habe, ob sie am kommenden Sonntag und an allen Sonntagen darauf wiederkommen will. "Ja?"
Nick-nick.
"Ja?"
Nick-nick-nick.
In dem dunklen Loch in ihrer Maskenstirn glaube ich immer wieder ein Auge glänzen zu sehen, vielleicht wenn sie mir zuzwinkert. Ihr Haar ist lang und voll und hell. Ist sie fort, riecht alles hier nach überreifen Äpfeln. Seither ist die Huld meine Sonntagsputzfrau.
(S. 9f.)