"Meine Philosphie? Ich habe schon lang keine mehr, proprio tu lo dovresti sapere, gerade du solltest das eigentlich wissen. Mir reichen die Tatsachen. Schau dir die Stadt an..."
Und Ciro zieht eine Handbewegung durch den Dämmerungsstahl quer über die Häuser und Gassen, mehr Feldherr als Fremdenführer.
"Schau sie dir an. Schön, sagt dein Freund. Ich sage: genauer hinsehen. Dann kommen nicht nur ihre kleinen schmutzigen Geschichten und ihre versteckten bunten Freuden ans Licht. Da entdeckst du dann auch, daß unter diesen Gassen und Straßen eine zweite Stadt liegt, la Napoli sotteranea, das unterirdische, in Tuffstein gegrabene Napoli, alte Steinbrüche und Zisternen, Gänge, Grotten, Kanäle, Kammern, Katakomben, eine geheime Welt für sich. Nicht genug: Unter Stadt und Unterstadt entdeckte man dieser Tage was. Eine riesige Lavablase, auf der das alles schwimmt. Drei Schichten, eine geheimnisvoller als die andere und verworrener. Wieviel Ungewißheit verträgt der Mensch?"
"Drei Schichten?" sage ich. "Erinnert mich an die drei Geschmäcker des carciofo. Macht mir die Stadt nur sympathischer."
(S. 58f)
© 2002, Haymon Verlag, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.