Eigentlich wollte ich meine Hurenmutter gar nicht umbringen. Nicht, als ich sie die Treppe hinunterstürzte. Trotzdem bin ich ein Mutterverbrecher geworden, das ist eine Tragödie. In meiner Wut habe ich natürlich oft gedacht: Ich bringe sie um! Denn stets mußte ich nach ihrer Pfeife tanzen. Trotzdem konnte ich ihr nie etwas recht machen. Auch sie wollte mich oft umbringen: "Picka ti materina!" fluchte sie bei jeder Gelegenheit. "Man sollte dich wie eine Laus erschlagen, du undankbarer Idiot!"
Wir verstanden einander nie gut, das stimmt. Doch richtig schlimm wurde es erst, als ich erfuhr, was meine Mutter tatsächlich trieb. Damals besuchte ich bereits die zweite Klasse der normalen Schule, ganz in meiner Nähe. Ich hatte keine guten Noten, aber ich war nicht sitzengeblieben. Ich verstand und sprach gut Deutsch und liebte diese Sprache sogar. "Deutsch ist nur so schwer, weil die Österreicher es nicht beherrschen!" sagte Onkel Ante. "Laß einen Politiker bis drei zählen, und du weißt, aus welchem Stall er kommt!" Die meisten Schüler in der Schule allerdings sprachen nicht das schöne Deutsch von Jakov, ja auch nicht das meines Onkels, der fast so perfekt wie Jakov sprach. Deshalb wurde ich bald als unechter Österreicher erkannt, obwohl ich doch ein Eingeborener war wie die meisten meiner Mitschüler. Aber eben kein echter Eingeborener, weil meine Mutter noch den roten Paß hatte, nicht den grünen. So war ich zuerst ein Balkanier, dann ein Jugo und schließlich ein Tschusch. Ich wagte immer seltener, meinen Mund aufzumachen, ich begann mich vor der Schule zu fürchten. Ich schwitzte, wenn ich aufstehen und zur Strafe bis hundert zählen sollte. Bevor ich den Mund aufmachte, hörte ich Onkel Ante zählen, ich hörte Jakov, Tante Ljiljana, meine Mutter und in abwechselndem Echo meine Mitschüler aus meiner Lebensstadt und den todesgefährlichen Zeckendörfern der echten Eingeborenen. Ich begann zu zählen, die halbe Klasse kicherte. Da schlug der Herr Lehrer mit seinem Lineal auf den Tisch, und ich durfte mich setzen.
(c) 1998, Alexander Fest, Berlin.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.