Livias leise Schritte durch die Küche, Nellys knarrendes Wiegen im Stuhl, der schabende Ton, mit dem Kim Luft durch die Nase sog, und niemand wusste, ob er schlief oder wachte. Wo lag ich in dieser Szene? Ich fand meinen Platz nicht, ich war nicht da und fehlte nicht, alles war still und harmonisch, friedvoll und fraglos, und ich mit meinen lärmenden Gedanken, meinem lauten Leben lag wie in der Spielkiste ein Holzklotz auf papierenen Vögeln. Ich passe nicht, spürte ich plötzlich, ich gehöre nicht hierher. Sie brauchen mich nicht, und was suche ich noch bei ihnen. Ich erhob mich, schwebte zur Tür, ohne mich umzusehen. Kims fiependes Atmen begleitete micht durch den Garten, ich flog mit fiebriger Stirne über die Beete hinweg und die Anhöhe hinauf und fühlte mich frei, frei!, und meine Brust ging auf wie eine Rose, riesenhaft und duftend, ich breitete die Arme aus und sah den Wald kleiner werden unter mir und über mir die Sonne größer und gleißender, und ich stürzte in ihr gewaltiges Licht und wollte Nelly nicht mehr heiraten.
Als ich die Augen aufschlug, war es dunkel, das Gras stach kalt und feucht in meine Haut, und nur schemenhaft konnte ich mein umgestürztes Fahrrad erkennen. Ich rappelte mich hoch. In der Hose klaffte ein Loch, das Blut an den Knien war geronnen. Keiner hatte mir das Leben gerettet. Ich humpelte durch den Wald und hatte in meinem Stolz keine Zeit, mich zu fürchten. Ich lebte und verdankte es keinem, und für einen Moment hätte ich im Übermut mein Shirt zerreißen und die Schuhe ins Moos schleudern mögen, um nackt und schreiend durch die Nacht zu rennen, weil ich befreit war, befreit. Die drückende Last des Kokons war abgestreift.
(S. 164f)
© 2007, Edition Raetia, Bozen.