Sie saßen sich in der Bibliothek gegenüber. An die Bibliothek konnte sich Koslowski nicht erinnern, Semmlers Vater erlaubte den Kindern hier keinen Zutritt; sie lag im Erdgeschoss im Ostteil des Gebäudes. Und jetzt saß er in einem Ledersessel, umgeben von Büchern, die er zu gern aus der Nähe betrachtet hätte. Nicht jetzt natürlich, später vielleicht, erst war das Verhältnis mit Semmler junior zu klären, der ihn ohne Umstände in diesen verbotenen Bereich geführt hatte. Das ließ ihn hoffen. Der Kontakt war da, es lag an ihm, ihn auszubauen. Er war froh, dass sich Bellmeyer nach dem Namen erkundigt hatte, es wäre peinlich gewesen, Koslowski ohne Vorwissen gegenüber zu treten, denn er hätte ihn nicht erkannt. Und nie geglaubt, dass sich ein Mensch so zu seinem Nachteil verändern konnte. Es waren nicht die äußeren Zeichen des Verfalls – obwohl er mit Tränensäcken und Bauch keinen guten Eindruck machte –, es war etwas an Koslowski selber, an der Mimik, der Art, wie er sich bewegte, unablässig auf dem Sessel herumrutschte, die Hände rieb, komplizierte Berührungsrituale mit Fingern und Daumen aufführte, eine Art Abzählmuster; ihm fiel nun ein, dass all dies schon der junge Koslowski an sich gehabt hatte, aber nicht so ausgeprägt. Es machte ihn verrückt, ihm dabei zuzuschauen, es war widerlich. Koslowski bot den Eindruck eines Menschen mit geheimen Lastern, deren äußere Zeichen er mit Mühe verbarg. Wenn ihm das nicht mehr gelang, wollte Semmler nicht in der Nähe sein. Er musste Koslowski loswerden. Schnell.
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© 2008 Deuticke Verlag, Wien.