14.
Porträt einer Heldin
Die Kommissarin Mimi Sommer, in der Vollendung ihres fünfunddreißigsten Lebensjahres begriffen, ist ein unansehnlicher Mensch. Von bösen Zungen wird sie zuweilen sogar schiach geheißen.
Vor ein paar Monaten hat Mimi eine Illustrierte gelesen. Darin stand ein populärpsychologischer Artikel über verwahrlosende Frauen: Es gebe einen Zustand der Unansehnlichkeit, ist da gestanden, der noch unansehnlicher als alle anderen sei. Und zwar jenen Zustand, in dem noch einzelne Reste an eine frühere, adrette Persönlichkeit erinnerten. Das mache die übrige Verwahrlosung besonders traurig. Später nämlich, nach jahrelanger Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Äußeren, stelle sich wieder so etwas wie eine natürlich Reinheit des Unansehnlichen ein, geradezu eine Erleichterung verglichen mit jenem deprimierenden Zwischenzustand. In dem, wie Mimi fest überzeugt ist, sie welbst gerade mittendrin steckt.
Aber so wolltest du es, oder? - Nein, das nicht, ich wollte meine Ruhe. - Ja, eben. Was du jetzt hast, ist Ruhe. Ruhe ist Unauffälligkeit. - Bist du sicher? - Ja, schau doch: Die Superhelden haben aufgehört, mit dem Schwanz zu wedeln. - Das ist das Wichtigste, stimmt.
Solche Gespräche sind es, die hie und da in Kommissarin Sommers Kopf herumspuken. Aber jetzt, in der Jahreszeit, die ihren Namen trägt? Nein, da kann man nur brüten. Und ruhen. Ruhen. Das ist tatsächlich das Wichtigste. [...] (S. 108)
23.
Dämmerung
Die Geister der Landschaften kamen, wenn die Landschaften fertig waren. Sie kamen und richteten sich ein.
Agua kam, als das Eis über dem Land verschwunden war und größer werdende Flüsse, an deren Ufern sich nach und nach endlose Wälder entwickelt hatten, den schmelzenden Schnee der letzten Eisgebirge zu den Meeren im Süden und Osten brachten.
Agua liebte den stürmischen Flußwald am Mittellauf des Donaustroms und beschloß, für immer zu bleiben. Manchmal bleiben Geister sogar länger, als ihre Landschaften alt werden. Versteppt und verödet eine fruchtbare Ebene, dann kommt es vor, daß ihr Geist bleibt und seinerseits verödet, bitterer wird und böse über sein verlorenes Paradies.
Geister wie Agua waren höher geachtet in früheren Zeiten, die Nymphen, Sylphen, Undinen und Salamander waren noch im späten Mittelalter in ihrer Wesenheit den Engeln nahegestellt, gefürchtet und geachtet als das, was sie waren: Beherrscher der Elemente. Ein Mischgeist wie Agua, in den Sümpfen und amphibischen Landstrichen verborgen, gebot gleich über zwei von ihnen: Wasser und Erde. Ein zweifach mächtiger Naturdämon, jetzt schon seit Tausenden von Jahren mit seinem Garten verwachsen, den Engeln nahe, aber ohne Seele. Vielleicht ist das der Grund für ihr Spiel mit den Zweibeinern. [...] (S. 195)
© 1999, Deuticke, Wien, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.