Geheimsache
Wenn man heiratet, wird oft nicht alles gut. Der Vater sitzt am Fenster und schimpft auf die neue Zeit. Er hat sich aufgeopfert und erhält im Alter keinen Dank, niemand will ihm Arbeit geben. Die Mutter kommt aus ihrem faltigen Gesicht nicht mehr heraus. Der neue Bürgermeister ist ein alter Feind, und die meisten bemühen sich, nackt im Kopf zu sein. Der junge Ehemann bleibt still und arbeitet am Bau. Sie vermißt manchmal die Bäckerei, das Turteln mit dem Bäckersohn und die Tratschereien der Kundinnen. Sie betrachtet ihren Bauch und bereitet sich auf den neuen Lebensabschnitt vor. Über die Schwester wird nicht gesprochen. (S. 110)
Farben
In Berlin kommen alle Farben zusammen. Goldenes vertieft das Blau, das Orange stürmt ins Grün, Rotes zerfetzt sich in Straßen. Violett und Gelb tanzen ihren Reigen. Es ist das Fest der flirrenden Zeichen. Ich öffne die Augen, sehe die gegensätzlichen Kräfte. Werden die Gleichgewichte gekippt, stürzen die Farben, drohen, ihre Eigenheiten zu verlieren. Überall droht das Grau, das alles grundiert. Berlin ist eine geschlachtete Stadt. In ihren vielen Farben erkenne ich die blutigen und die sanften Umstürze, die über die Stadt, über alle Städte gekommen sind. (S. 94)
(c) 1997, Haymon, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.