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Daniel Kehlmann: Der fernste Ort.

Roman.
Frankfurt: Suhrkamp, 2001.
153 S., geb.; EUR/D 17,80, EUR/A 18,30.
ISBN 3-518-41265-5.

Link zur Leseprobe

Ging es in seinem letzten Buch um das Thema Zeit als Gegenstand philosophisch-poetischer Spekulationen, so setzt Daniel Kehlmann in seinem neuesten Roman bei unterschiedlichen Raumvorstellungen an und entwickelt eine Geschichte rund um den titelgebenden "fernsten Ort". Dabei handelt es sich um einen Topos, dessen literarische Tradition er bis zum geheimnisvollen Thule zurückführt, "so nannte man früher den jeweils abgelegensten Teil der Welt." (S. 30)

Zeit und Raum stellen gemeinsam grundlegende Koordinaten für das menschliche Bewußtsein dar, wenn auch in unterschiedlicher Manier. Während Motive der Entzeitlichung, der Ewigkeit sozusagen, tendenziell gegen den Tod gerichtet sind, verweisen Motive der Enträumlichung und der Auflösung physischer Gegebenheiten unweigerlich auf den Tod. So wird diesmal das Sterben zum eigentlichen Thema Kehlmanns, etwas Ur-Österreichisches also, wenn man so sagen will. Der Autor vermag es eindrücklich als Schwebezustand zu beschreiben zwischen dem Leben in seiner scheinbaren Festigkeit und permanenten Verflüchtigungstendenz. Denn ein Sterbender kann "noch tagelang durch die allmählich unwirklicher werdende Welt seiner Einbildungen irren" (S. 84).

Zunächst meint man, den Plot schon zu kennen; entsprechende Beispiele ließen sich sowohl aus der Hoch- als auch der Populärliteratur herbeizitieren, bei Gert Jonke etwa oder Johannes Mario Simmel: Ein Mann inszeniert einen vorgeblich tödlichen Badeunfall und versucht, den Nichtigkeiten seiner früheren Existenz zu entfliehen, indem er sich eine neue Identität verleiht. Das bisherige Dasein scheint ihn für eine solche Tat zu prädestinieren: Julian, der die ersten, noch erfolglosen Versuche, von zuhause davonzulaufen, mit elf Jahren unternahm, ist durch und durch beziehungsgestört, kommt weder mit seinen Eltern zurecht, noch mit seinem viel talentierteren Bruder Paul, noch mit Frauen; er arbeitet als Versicherungsangestellter und verachtet sich selbst dafür; Julians Idol ist ein gewisser Jerouen Vetering, ein fiktiver niederländischer Denker und Selbstmörder des 17. Jahrhunderts, der zu den für Kehlmann typischen Figuren gehört, die als Inkarnation von Wissenschaft und Poesie fungieren und seine Romantik inspirieren.

Doch der Tod taugt (immer noch) nicht als Emanzipationsmittel, und Kehlmann leitet aus den oben skizzierten Vorgaben keinen äußerlichen Handlungsreichtum ab, auch keine phantastischen Abenteuer oder sprachlichen Experimente. Seine Perspektive ist radikal nach Innen gerichtet; die Spannung entsteht aus der gelassen konstatierten, genau geschilderten subjektiven Wahrnehmungsweise des Protagonisten. So ist der Text voller Belege für den Umstand, dass sich die Erinnerung (und mit ihr die Erzählung) keineswegs nur an herausragende, wichtige, sogenannte entscheidende Augenblicke klammert, im Gegenteil. Erst die vielen Nebensächlichkeiten, die unsere Sinne laufend registrieren, sind es, die die Fülle des Lebens ausmachen und ihm Gewicht geben (vgl. S. 33f.). Erst vor diesem Hintergrund zählt das wenige Außergewöhnliche, das meist geschieht, ohne dass wir es überhaupt begreifen können (vgl. S. 38). Und was wäre außergewöhnlicher als das (eigene) Sterben? Was Wunder, wenn Kehlmann auf subtile Art auch den Mythos umschreibt, knapp vor dem Tod durchlaufe man geistig sein Leben noch einmal im Zeitraffer.

Kehlmanns Kunst resultiert aus einem faszinierend einfachen, souveränen Erzählen, in dem wie auf einer Simultanbühne verschiedene Realitätsebenen interferieren. "Zum ersten Mal begriff Julian, daß er selbst etwas anderes war als diese Stimmen in ihm, als die Bilder und Laute, die seine Erinnerung aufbewahrte, etwas anderes auch als seine Gedanken." - Passagen wie diese sind so leichthin und selbstverständlich formuliert, dass es einem mitunter den Atem verschlägt. Die wesentlichen Motive (wie dasjenige des Todes und der Ferne; vgl. S. 29, 40 u.a.) werden Schritt für Schritt miteinander verbunden und laden den Leser ein, die eigene Phantasie in ein vexierbildartiges Textgefüge mit häufigen Inversionseffekten einzubringen (vgl. S. 39), dessen Herstellung dem Autor offensichtlich einmal mehr viel Spaß bereitet hat.

 

Arno Rußegger
3. Jänner 2002

Originalbeitrag

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