Mehr Männer als Frauen haben nachhaltig Schwierigkeiten mit den von ihnen gezeugten Nichtstandardkindern. Mario ist, alles in allem betrachtet, in dieser Hinsicht kaum etwas vorzuwerfen, denn er bekennt sich vorbehaltlos zu seiner Tochter, liebt sie und hat auch keinerlei Scheu, sich in der Öffentlichkeit mit ihr zu zeigen. Was Johanna an ihm auszusetzen hat, hat damit zu tun, wie er seine Vaterrolle grundsätzlich auffaßt und lebt, mit dem speziellen Kind Steffi und seinem Sosein hat das herzlich wenig zu tun.
Sehr reserviert zeigt Mario sich allerdings, wenn andere Kinder mit Trisomie einundzwanzig ins Spiel kommen. Ein einziges Mal nur hat Johanna darauf bestanden, er möge sie zum vierteljährlichen Kleinkinder-Treffen der Down-Syndrom-Selbsthilfegruppe begleiten. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, als er ihr, und das nicht einmal im Flüsterton, zuraunte, wie arg er das alles finde und daß ihn diese armen Kinder, die teils miteinander oder alleine, teils mit Erwachsenen spielten, so deprimieren würden. Auch für Steffi könne das unmöglich ein aufbauender Umgang sein, die meisten kämen ihm weitaus stärker betroffen vor als sie. Ob sie nicht endlich gehen könnten?
Johanna zwang ihn verärgert zum Bleiben, aber als Mario bei der Heimfahrt kopfschüttelnd meinte, keine zehn Pferde würden ihn je wieder in so eine Veranstaltung bringen, machte sie ihm deutlich, daß sie darauf ohnehin keinen gesteigerten Wert mehr legen würde. Nur zwei von sieben möglichen Vätern neben Mario waren da gewesen, allerdings lebten vier der Mütter mittlerweile getrennt von ihren Partnern.
Johanna wüßte keine ihrer Freundinnen zu nennen, die sich wegen Steffi von ihr zurückgezogen hätte. Sie hat aber sehr wohl das Gefühl, dass Familieneinladungen durch Paare wesentlich seltener geworden sind, womöglich der Männer wegen. Kann aber genauso gut sein, weil das mit Kindern eben grundsätzlich nicht so leicht zu bewerkstelligen ist, kann sein, weil auch Mario und sie, vor allem sie, im Verhältnis zu früher wesentlich genauer überlegen, ob ihnen ein Freitag- oder Samstagabend zu viert oder zu sechst den Aufwand wert ist. Viel lieber macht Johanna von außen die Wohnungstür hinter sich zu und trifft sich mit jemandem in der Stadt zu Konzert, Theater oder Kino, oft mit einem gepflegten Glas Wein hinterher.(S. 95f)
© 2009 Haymon Verlag, Innsbruck-Wien.