Aus: "Kritik. 8. Vortrag: Kritik der Sonntagsrede"
Vielleicht hätten Sie dem Sonntagsredner sogar da oder dort zugestimmt, genickt. Dann wieder den Kopf geschüttelt. Und dabei doch auch genickt. Weil das dazugehört zur Sonntagsrede. So wie die Aufforderung Ihres rauchenden Arztes, mit dem Rauchen aufzuhören. Oder das Cholesterin. Sie wissen es ja, Sie sollten aufpassen. Aber jetzt wollen Sie erst einmal genießen. Weil nach der Sonntagsrede kommt der Genuss.
Darum bricht der Dichter die Sonntagsrede ab. Im Grunde hat er, neben Ihnen, nur kurz gehechelt. Es war zwar das Symptom eines existentiellen Kampfes, aber Sie haben das verwechselt und halten ihn für einen Wichser!
In der Regel ist es zu spät, wenn Sie begreifen.
Er ist ein Transitpassagier.
Posthum wird er upgegradet.
Sie werden in der Ankunftshalle die vergessen, die gewartet haben. Sie haben Ihre eigenen Sorgen. Deshalb will ich Ihnen heute nichts anderes sagen als das, was man sinnvollerweise in einer Sonntagsrede sagen kann: Genießen Sie den Sonntag, genießen Sie das Erbe eines toten Künstlers /ndash; aber nehmen Sie dies als letzte Worte mit: Hören Sie auf Ihre lebenden Künstler während der Woche!
© 2009 Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main.