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Dimitré Dinev: Barmherzigkeit.

Reihe "Unruhe bewahren".
St. Pölten/Salzburg: Residenz Verlag, 2010.
75 S.; brosch.; EUR 14,90.
ISBN 978-3-7017-3147-3.

Link zur Leseprobe.

Bekanntlich werden Ideen, die zu früh oder zu spät kommen, bestraft. Unabhängig von ihrer tatsächlichen Bedeutung werden sie lächerlich gemacht oder ignoriert. Bestenfalls gibt es für das, was nicht gerade einer Mode des Denkens entspricht, sofern es sich dabei um ein seit langem eingeführtes Konzept handelt, eine nostalgisch motivierte Neugier. Der Autor dieses Bändchens legt so ein Konzept vor. Er setzt sich dabei dem Vorwurf des Anachronismus aus, und macht vielleicht doch einen Vorgriff auf Zukünftiges.

Es braucht schon Mut in der Buchhandlung auf ein Buch zuzugreifen, dessen Cover in schmutzigem Weiß und Grau, ohne Bild daherkommt. Auf dem weißen Grund lesen wir den Titel "Barmherzigkeit", der mit einem roten Asterix versehen ist. Darunter das Sternchen aufnehmend heißt es in kleinerem Druck UNRUHE BEWAHREN. Für den Gesättigten eine Zumutung, für manche LeserInnen erkennbar als Anspielung auf das berühmte "Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir" des Augustinus von Hippo. Es ist dies das Motto einer Veranstaltungsreihe der Akademie Graz, deren Beiträge im Residenz Verlag publiziert werden.
Darüber kleiner, doch in Rot der Name des in Bulgarien geborenen Autors Dimitré Dinev, der seit vierzehn Jahren in Österreich lebt und zumindest seit dem Roman "Engelszungen" (2003) in der österreichischen Literatur einen Namen hat. Es schreibt also einer, der von außen kommt, über Barmherzigkeit in der österreichischen Gesellschaft. Weitere AutorInnen der Reihe werden Christina von Braun, Thomas Macho, Ilija Trojanow und Peter Bieri sein.

Wir müssen uns schon Mühe geben, wollen wir auch noch den weißen Text auf hellgrauem Hintergrund auf der unteren Hälfte des Buchumschlags entziffern. Die graphische Gestaltung impliziert eine subversive Botschaft, die aus irgendwelchen Gründen nicht laut gesagt werden darf. Ideenschmuggel also: " Die Barmherzigkeit lässt sich nicht leicht instrumentalisieren, denn ihre Zeit ist die Gegenwart und ihr Ort das Gewissen. Um es radikaler auszudrücken: Sie ist die oppositionelle Kraft schlechthin."
Es ist Zeit, das Buch aufzuschlagen. Es enthält vier kurze Texte, Essays genannt. Es handelt sich eher um Vorträge oder Erzählungen, man kann sie nicht lesen, ohne dass man sich jemanden vorstellt, der spricht. Sie wirken, und ihre Einfachheit und Schlichtheit vermögen zu berühren. Nur die erste Rede vermittelt ansatzweise so etwas wie Theorie. Ansonsten wird nicht über Barmherzigkeit doziert, sondern von ihr erzählt. Und erzählen kann Dimitré Dinev. (Der Basistext über Barmherzigkeit ist übrigens auch eine Narration, nachzulesen bei Lukas 10.)

Wir lesen von den persönlichen Erlebnissen des Autors im Auffanglager, von Kindern, die wie Waren von einem Land ins andere verschoben werden, von einem Großvater, der es versteht zu trinken und eine unerbittliche Härte aufbringt, um seinen Sohn für ein Vergehen zu bestrafen, aber schließlich sein Leben riskiert, um zu verzeihen. Er ist ein so schönes Modell für das "Unruhe bewahren" des Untertitels.
Wie Franz Schuh, der mit "Hilfe! Ein Versuch zur Güte" auf bewundernswertem Reflexionsniveau ein ähnliches Wagnis unternommen hat, verweist Dimitré Dinev auf eine moralische Kategorie die in diesen globalisierten und wirtschaftsliberalen Zeiten zu unserem Schaden ganz in Vergessenheit zu geraten droht. So wichtig die Erkenntnis des 19. Jahrhunderts ist, wonach eine Gesellschaft nicht durch Barmherzigkeit, sondern nur durch Solidarität zum Besseren verändert werden kann, so entscheidend können für das Individuum (und die Gesellschaft) Güte und Barmherzigkeit das Leben prägen.
"Das Glück, dass in all diesen Jahren meine Existenz nicht zerbrochen ist, dass ich nicht verzweifelt bin, dass ich überlebt habe, verdanke ich jenen unendlichen, ungeahnten Ressourcen an Güte und Barmherzigkeit, die jenseits des Rechts und sogar, ohne dieses Recht zu brechen, jeder Person zur Verfügung stehen."

 

Helmut Sturm
17. März 2010

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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