Ein zweites Mal tauchte Paris im schulischen Kontext fünf Jahre später in meiner russischen Klasse auf. Ein Aufsatz wurde aufgegeben, zum nicht gerade originellen Thema "Ein schönes Erlebnis". Ich beschrieb einen Morgen in Paris, ich auf dem Schulweg, bergab aus unserer trüben Gasse zum Boulevard, das Klappern meiner Schuhe auf dem Trottoir, der blaue Himmel, die warme Sonne und die blühenden Bäume. Der Aufsatz wurde vorgelesen und gelobt. Und die ganze Klasse, wie könnte es anders sein, beneidete mich um Paris. Ich schrieb den Aufsatz, weil ich mich damals so gut an das Glücksgefühl erinnerte – und heute noch erinnere –, das mich an jenem Frühlingstag erfüllte. Woran erinnert man sich denn am ehesten? An schlimme Momente (öfter vielleicht?) und an glückliche. Ich erinnere mich gut an einen Augenblick, in dem ich bewusst etwas als schön empfand: Die Erleuchtung kam mir auf den ersten Seiten der "Trois mousquetaires". Ich hatte das Buch gerade erst zu lesen begonnen, als ich plötzlich etwas verspürte, was man helle Freude nennen könnte: Ich las, um zu lesen, es machte Spaß, wenn auch noch gar nicht viel mehr passiert war als der ausführlich beschriebene Einzug D'Artagnans in Paris. Ich freute mich – zum eigenen Erstaunen – an der Sprache. Ich habe den Roman nie wieder gelesen, geschweige denn in Französisch, ich weiß nicht ob Dumas ein besonders guter Stilist war – egal, ich hatte eine wahrhaftige Offenbarung: An Büchern wird nicht bloß geschätzt, worüber sie erzählen, sondern auch wie sie geschrieben sind.
(S. 25-26)
© 2010 Milena Verlag, Wien.