Ein Buch, das mir abhanden gekommen ist, ich habe vergessen, wem ich es geborgt habe - geliehene Bücher werden in der Regel nicht als fremder Besitz betrachtet und nur auf Aufforderung oder nach mehrfacher Mahnung zurückgegeben, unabsichtlich beschädigt und mit Anstreichungen und Kommentaren versehen - aber ist eine Bibliothek, die man vor seinen Freunden verschließt, eine lebende Bibliothek? - ich muß immer wieder an dieses Buch denken, daß mir dieses Buch abhanden gekommen ist, "Auf den Schultern von Riesen" von Robert K. Merton, die Geschichte des Sprachbilds vom Zwerg der Gegenwart, der, auf den Schultern der Riesen der Vergangenheit stehend, die Vergangenheit überragt.
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Alles ist schon gesagt, sagen die, die nicht schreiben.
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"Kommentar", das ist ein Titel! Ich habe das Buch zufällig in einem Antiquariat gefunden, ohne Schutzumschlag, ohne Information zum Text oder zur Autorin, dem ausführlichen Vorwort zum Trotz. Marcelle Sauvageots "Kommentar" (Aus dem Französischen von B. Ulrich Riemerschmidt und Toni Müller. Berlin 1939) ist das vollkommene Buch, insofern es sich auf sich selbst bezieht. "Kommentar" heißt im Lateinischen Skizze, Notiz, Tagebuch, für Gottfried Wilhelm Leibniz dem Wortsinn nach überlegende Aufmerksamkeit: "Die Überlegung ist nichts anderes als eine Aufmerksamkeit für das, was in uns ist." (Zit. nach Charles du Bos, Einleitung,8) (S. 67f.)
1998, Turia & Kant, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.