Oft sagt man, der Mensch habe einen freien Willen. Ich frage mich aber, ob es nicht mitunter der Wille selbst ist, der den Menschen unfrei macht. Ist es nicht häufig die Willenlosigkeit, die einen wesentlich weiteren Horizont eröffnet, und die Stärke des Willens, die einen eingrenzt? Darum fühle ich mich oft wesentlich besser, wenn ich fertig oder müde bin, als wenn ich ausgeschlafen bin. Da nehme ich auch meine Umgebung besser wahr. Die Freiheit der Entscheidung ist die Freiheit, das eine zu wählen, das andere jedoch zu unterlassen. Der sich nicht entscheidet, hat mehr Optionen offen, als der, der sich entscheidet. Die Freiheit des irdischen Menschen ist im allgemeinen paradoxerweise die Freiheit, sich zu binden. Aber vielleicht gibt es auch noch eine Freiheit, die darüber hinausgeht.
Gerade in der Enge der Mariahilfer Straße stellt sich diese Frage sehr häufig. Früher bekam ich oft ein "steifes G'nack", wenn ich mich durch die Menschen- und Blechlawinen zwängte. Inzwischen habe ich gelernt, damit umzugehen. Meist war damit auch eine philosophische Krise verbunden. Aber vielleicht war das auch nur die Langeweile meiner frühen Jahre. (S. 33)
Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn einem nichts mehr einfällt. Das gilt für die Kunst ebenso wie für die Politik. Es beginnt aber bei der Gestaltung der U-Bahnstationen. Daher finde ich auch, daß Phantasie dem Staat Geld wert sein soll. Das, was man nämlich bei der Phantasie einspart, geht im Laufe der Zeit an Lebensqualität verloren. Sicher gibt es auch Projekte, die zu Unrecht gefördert werden, das sind aber solche, die sich aufgrund ihrer großen Breiten- und mangelnden Tiefenwirkung ohnehin selbst tragen würden. Allerdings ist es nicht Aufgabe der Kunst, auf den fördernden Staat zu warten. Fördert der Staat nicht, so wird die Phantasie unter günstigen Umständen von selbst durchbrechen, so sie nicht gewaltsam daran gehindert wird. (S. 40)
© 1997, Triton, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.