Wir standen am Fenster. Ich hinter ihr, meine Hände unter ihrem T-Shirt nach ihren kleinen, weichen Brüsten suchend. Nie zuvor war ich einem Mädchen so nahe gewesen – völlig planlos fummelte ich an ihrem Bauch und schließlich an ihrem Busen herum. Ich war nervös. In genau diesem Moment – Feli war dabei, sich fallen und mich gewähren zu lassen – schaltete sich mein Gehirn ein. In dem Moment also, in welchem mein Gehirn – wäre es das eines normalen Jugendlichen gewesen… - einen Schritt zurück machen und dem Körper und seinen Instinkten die Führung übergeben hätte sollen, verkrampfte sich alles in mir. Die Vehemenz meiner Gedankenwelt machte mich wehrlos. Der Kampf war eröffnet. Nicht der Kampf der Körperteile, der mir aus den Pornos von Pater Irek vertraut war – nein, der Kampf meines Körpers gegen mein Gehirn. Und der Parallelkampf, der eigentliche, der sich nur in meinem Gehirn abspielte.
In Wahrheit kämpfte ich aber nicht gegen meine eigenen Gedanken und Wertvorstellungen, sondern gegen die meines Vaters, seines Vaters und so weiter. Ich kämpfte gegen das christliche Europa, gegen Bischöfe und Landpfarrer, Lehrer, Mütter und Großmütter, Jungscharführer, gegen Hitler, Päpste und Apostel, das Fegefeuer und die ewige Verdammnis – ich kämpfte gegen die mächtigste, männlichste, verworrenste und arroganteste Kultur der Geschichte. Ich kämpfte gegen zweitausend Jahre.
Mein Vater hatte mir immer eingebläut, dass ein Kuss allein bereits Verantwortung bedeutet. Gibt man sich einem Kuss also hin, sagt man Grüß Gott zur Verantwortung, die sogleich auf deinen Schultern Platz nimmt und es sich für die nächsten hundert Jahre da bequem macht. Die Verantwortung ist machtgeil, sie kann nie genug kriegen. Sie vermehrt sich endlos, wird immer größer und schwerer und unterdrückt dich so auf die natürlichste und vernünftigste Art. Verantwortung, Vernunft – sind das Geschwister? Sind Sie meine Eltern?
(S. 81f)
© 2011 Milena Verlag, Wien.