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Leseprobe: Margareta Mirwald - Die Wunden der Drina.

Kata räumte den Besen und das Aufreibtuch in den Geräteschrank. „Ist fertig“, und nach einer kurzen Pause sagte sie, was sie jede Woche am Mittwoch um 17 Uhr sagte: „Nächste Woche wieder?“
Ich nickte, stellte zwei Kaffeetassen auf den Küchentisch, goss den letzten Rest des Frühstückskaffees in die Tassen und fragte wie jeden Mittwoch: „Milch und Zucker? Sachari?“
Sie lächelte und antwortete: „Nein, kein Zucker und nicht Milch!“
Kata setzte sich zu mir, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete die Fenster: „Wann Fenster?“
„In zwei Wochen, Kata. Wenn die Heizperiode vorbei ist.“
„Ich komme mit Schwester.“
„Dobro. Sie schreiben mir die Stunden auf, und ich lege Ihnen das Geld auf den Schreibtisch.“
„Kein Problem.“ Sie nickte und sog mit einem tiefen Zug an ihrer Zigarette.
Wie jedes Mal hatte sie mir eine ihrer Filterlosen angeboten, und ich hatte abgelehnt: „Zu stark.“
Sie lächelte und steckte die Zigarette wieder in die Schachtel.
„Sie waren zuhause?“
„Ja, muss Hochzeit vorbereiten für Sohn und Schwiegertochter.“
„Wie viele Leute werden kommen?“
„Circa 80 Personen“, sagte sie nach einer kurzen Rechenpause. Ihr Kleid hatte sie mir schon vorige Woche gezeigt. Grüner Seidentaft mit einem kurzen Bolerojäckchen. Sie sah darin eher wie die Stiefmutter von Schneewittchen aus, doch ich hielt mich mit meinen Bemerkungen zurück. Ich wollte sie nicht kränken.
Für sie war es ein elegantes und etwas ungewöhnliches Kleid und aus diesem Grund gerade richtig für die Hochzeit ihres ältesten Sohnes. Jetzt, nach der Geburt des Kindes – auch ein Sohn –, konnte man die junge Mutter heiraten. Sie war mit ihr zufrieden. Die junge Frau spreche nicht viel, sei zurückhaltend und habe von ihrer Mutter kochen gelernt, dem Kind sei sie eine gute Mutter und auch höflich zu der Schwiegerfamilie. Außerdem habe sie schon vor der Geburt des Kindes begonnen, Deutsch zu lernen. Nach der Karenzzeit würde sie eine Stelle suchen, und sie, Kata, würde den Kleinen übernehmen, sie wäre dann ohnehin schon in Pension. Sie oder ihre Schwester.
Manchmal habe ich den Überblick über die Katas, Slavicas und Ljubicas verloren. Für mich war es wichtig, dass jemand für den Haushalt kam. Jede hatte ihre eigenen Vorstellungen, und jede erklärte mir, dass sie alles ungleich besser als die anderen mache, weil sie ja so und so viele Jahre schon in diesem oder jenem Haushalt beschäftigt gewesen wäre.
Ich sah Kata an, dass sie etwas sagen wollte. Wir rauchten noch eine Zigarette.
„Ich sehe, du auf Tisch für Schule …“
„Ja, Kata?“
„Du, Kinder aus Bosnien in Schule?“
„Ja“, sagte ich. „Eine Menge.“
„Krieg?“
„Ja, natürlich – da sind schon furchtbare Schicksale darunter.“
Ich war vorsichtig. Kata und ihre Familie waren Serben, und sie wurden hier in Österreich, während des Balkankrieges, einige Male auf die Vorkommnisse in den Lagern, die vorerst sparsam, doch gegen Ende des Krieges immer häufiger durch Medienberichte übermittelt wurden, angesprochen. Unglaubliche Verbrechen hatte man gesehen, doch – das wäre ja alles gar nicht möglich. Ich wusste, dass Kata meist sagte, sie käme aus Bosnien, und erst auf Nachfragen sagte, sie sei Serbin.
„Habe Text gelesen – von Kinder.“
„Mein Gott, Kata, da fällt mir etwas ein: Sie könnten doch die Texte korrigieren – immerhin weiß ich nicht, ob die Kinder richtig geschrieben haben.“
Kata lächelte erfreut: „Ja, mache ich, wann?“
„Wann Sie Zeit haben – oder, ich gebe Ihnen die Texte mit, und Sie können sie in Ruhe zu Hause ansehen!“
Kata stand auf. „Ich arbeite mit Ljuba. Sie in Gymnasium in Višegrad.“ Wir gingen zu meinen Schreibtisch, ich legte die Blätter in eine Mappe und gab sie ihr.
Sie steckte die Mappe in ihre Tasche, vorsichtig, um ja keinen Bug oder Knick zu machen und verabschiedete sich.
Als ich zu meinem Schreibtisch zurückkehrte, kam er mir seltsam leer vor.
Die Texte sind zurückgekehrt, dachte ich, aber wohin sind sie zurückgekehrt? Ist das eine Fügung, dass eine serbische Familie Texte bosnischer Kinder korrigiert, die von den Verlusten ihrer Familien durch Serben erzählen? In einem der Texte erzählt ein Bub, dass er vom Fenster aus gesehen hat, wie sein Onkel erschossen wurde – auf einer Brücke in Bihać, als er auf seine Mutter wartete, die rasch zum Markt laufen wollte. Bei jemandem anderen wurde eine Scheune niedergebrannt, und tagelang roch man noch das verbrannte Fleisch der Tiere. Samira kann bis heute kein Grillfleisch essen.
„Wissen Sie, wenn man sagt, man kommt aus Sarajevo, fragen die Leute nicht mehr weiter“, hatte einmal eine Mutter zu mir gesagt. – Ob man das auch vergessen könne? – Alles könne man vergessen, versicherte sie. Alles.
Aber – und da zögerte sie einen Moment lang – man verlerne zu lächeln. Das ist es. Wenn man vergisst, verlernt man auch das Lächeln.

(S. 11 - 14)

© 2011 Edition  Roesner, Mödling / Maria Enzersdorf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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