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Leseprobe: Schulamit Meixner - ohnegrund.

„Und deshalb wolltest du keine eigenen Kinder haben? Du bist so lieb mit Sharona.“
„Nein, nicht nur deshalb. Ich hatte eine allerbeste Freundin, sie war zwei Jahre jünger als ich. Sie hieß Kathi und war immer modisch gekleidet, in Stöckelschuhen und mit Föhnfrisur, wogegen ich jahrelang in denselben flachen Schuhen und weiten Pullovern herumlief. Sie sah zauberhaft aus, alle waren verliebt in sie, Jungen wie Mädchen, ich auch. Plötzlich, sie war siebzehn Jahre alt und noch in der Schule, wurde sie schwanger. Sie sagte niemandem etwas, auch mir nicht, sondern ging zu diesem Nobelarzt im neunzehnten Bezirk und ließ eine Abtreibung vornehmen. Irgendetwas ist jedoch schiefgelaufen, sie verblutete in der Ordination in seinem Haus. Er schleppte sie hinunter in die Garage, übergoss sie mit Benzin und zündete sie an wie ein Bündel Papier. Um Mitternacht, als alle schliefen, wickelte er sie in eine Decke, setzte sie neben sich ins Auto und raste mit ihr auf einer Landstraße gegen einen Baum. Auch er überlebte nicht. Seither wollte ich keine Babys – und keine Männer mehr.“
Erst jetzt bemerkten sie, dass Sharona, eingewickelt in ein Badetuch, mit tropfendem Haar, in der Tür stand.
Lisa eilte zu ihr und frottierte sie mit dem Handtuch.
„Du armer Schatz, was hörst du heute für Geschichten?“
„Ich kann meinen Pyjama nicht finden.“
„Dann zieh einen frischen an“, antwortete Amy genervt. „Seit wann stehst du hier?“
Sharona zuckte die Achseln, Lisa und Amy tauschten Blicke aus.
„Komm, mein Riesenbaby, nimm dir einen Pyjama aus dem Wäschetrockner und dann ab ins Bett.“
„Mum, ich habe noch gar nicht das Video gesehen“, schmollte Sharona.
„Dafür ist es jetzt zu spät. Falls ihr morgen Schule habt, musst du rechtzeitig schlafen gehen, außerdem müssen deine Haare noch geföhnt werden.“
„Kann mich wenigstens Lisa ins Bett bringen?“
„Frag sie.“
„Aber natürlich, mein Schätzchen, willst du noch Kakao und Buttertoast haben?“ Lisa legte den Arm um ihre Schultern und führte sie in die Küche.
Amy setzte sich wieder vor den Kamin auf die Chaiselongue und suchte in ihrem Handy nach gespeicherten Telefonnummern von Müttern aus Sharonas Klasse, deren Töchter nicht abgeneigt wären, mit ihr zu spielen. Zwischen Joseline und Karen stieß sie auf den Namen Krupnik. Amy zögerte. Nach kurzem Überlegen schickte sie folgende SMS ab: „Schon den neuen Film der Coen-Brüder gesehen, vielleicht morgen nach der Besprechung? A.“
Während Lisa und Sharona die Stufen zu den Schlafzimmern hinaufgingen, fragte das Mädchen:
„Kann ich heute bei dir schlafen?“
„Ich dachte, ich sollte dich nur zu Bett bringen, eine Geschichte vorlesen oder so was in der Art.“
„Dein Bett ist viel angenehmer als meines, darin haben wir beide Platz, bei mir sitzt du nur an der Bettkante und frierst.“
„Meinetwegen.“
Sie machten eine Kehrtwendung und stiegen die Treppe hoch, die zur Dachmansarde führte.
Sharona nahm einen Anlauf und hüpfte auf das Schmiedeeisenbett, sodass es ordentlich wackelte. Lisa setzte sich neben sie.
„Komm, rutsch rüber.“
Sie kuschelten sich beide unter die Decke, Sharona grub ihre Beine unter die ihrer hageren Tante, anwärmen konnte sie sich dadurch nicht.
„Lisa?“
„Ja?“
„Hast du auch manchmal Gedanken, die du gar nicht haben willst?“
„Ja, oft. Jeder Mensch denkt sich so einiges, was er nie aussprechen würde. An was denkst du im Moment?“
„Ich denke, ich hasse Mum.“
„Was?“
„Wieso durfte ich keine DVD mehr anschauen? Es ist noch gar nicht spät und wir haben morgen sicher keine Schule.“
„Ach, meine Kleine, das ist wirklich kein Grund, sie zu hassen. Wenn du morgen schulfrei hast, schauen wir uns gleich in der Früh ein Video an. Versprochen.“
Lisa drehte das Licht ab. Es vergingen einige Minuten, bevor Sharona weitersprach.
„Manchmal liebe ich auch Haschem nicht, so wie ich es sollte.“
Lisa seufzte. „Weißt du, es ist uns zwar geboten, dass wir Ihn lieben sollten, mit unserem ganzen Herzen und mit unserer ganzen Seele und mit unserer ganzen Kraft, aber die wenigsten können es. Wir müssen es versuchen, unser Leben ist der Weg dahin, aber nur die ganz großen Zadikim können es erreichen.“

(S. 184 ff.)


© 2012 Picus Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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