vom Küssen der Drossel im Mai
ich meine das mit dem Albatros der die Frühe verfinstert
mit seinen Schwingen am Fenster vorüber, wir tanzen auf kleinstem
Parkett nach Charles Aznavours La Bohème, ich meine die
Pantomime des Lebens weil ich spreche nicht mehr da ist kein
Wort das ich sagen kann, die Weiden des Stadtparks haben sich
gewölbt über meine Tränen und ich umarme die Birke am zu-
gefrorenen Teich des Stadtparks, ich kauere auf 1 Parkbank bin
dir zugewandt während du mir vorliest aus 1 Buch : Kommunion
von Schnee und zerschlissenem Herzen
14.1.2010
(S. 11)
vom Wachküssen eines Ästchens im Februar
1 Ästchen in 1 Vase ist aufgebrochen in 1 weisze Blüte wie kann es das mit-
ten im Winter die Häute meiner Seele häuten sich dasz ich ohne Scham mich
vor ihm enthülle, es blüht es hat sich entfaltet entfacht es blickt mich
an es blickt mein einsames Ich lange an ich sage 1 Wort ich sage du bist
sehr früh mit deinem weiszen Blühen deinem Ejakulat : der Februar erst be-
gonnen. Es streckt sich mir entgegen 1 Gotteshirn mir die das Moos und das
Gras liebt (nach Derrida bin ich verworfen mein Verstand meine unbefleckte
Leiblichkeit eben wie Epheu)
4.2.2010
(S. 26)
vom Umarmen des Komponisten auf dem offenen Soffa
das Lorbeerbäumchen spricht zu mir sehr leise man hört es kaum es drückt
sich grün in die Ecke des Zimmers oh sage ich wie schön du bist sein
Blattwerk reglos 1 wenig wie Säge wie Schleier wie Sprache wie grüner
Schnee ich halte ihm grüne Lettern vor seinen Leib dasz es erzittert
ich streiche ihm über seine Mähne dasz es erzittert es schaut es schaut
mich an obwohl hatte heute auf Klavier innig gespielt usw., 1 wenig
wie Brennesselfigur seine Figur seine Finger wie Brunnengrün tief wie
das grüne Wasser von alten Brunnen (neben der Kate), weiszt du noch sage
ich zu ihm damals in den Holundernächten den Liliennächten als der
Mond in 1 Wiege damals als es ächzte im Gezweig der beiden Birnbäume
vor dem Tor. Ich schenkte ihm auszer 1 Dante und Ariost seiner
und seiner Schwester Photographie mit entblösztem Haupte (wie wir
es vorgehabt hatten nicht wahr)
alles aus Einsamkeit komponiert heute ½ 5 Uhr morgens
19.2.2010
(S. 29)
© 2012 Suhrkamp/Insel, Berlin