Müde vom Familientreffen und dem ewig gleichen Hackordnungsverteilkampf der Barozzis macht Mia sich auf den Heimweg. Früher fand sie die mal besser, mal schlechter kontrollierte Familienkernschmelze amüsant, verfolgte die Intrigen mit einem gewissen Interesse. Aber es nützt sich ab. Schlecht vernähtes patch work. Es hat gedauert, bis Mia den Familienstammbaum durchschaut hatte. Die Großmutter und ihre Söhne: Mario und Franz, hab‘ ihn wer selig, die echten Barozzis. Louise: Franz‘ Witwe und Mutter der Erbin Sophie. Matthias: ihr trotz Untreue geduldeter zweiter Ehemann und Mias Vater. Mia: der lebende Beweis seiner Untreue. Dann gibt es noch Susanne: Marios Langzeitfreundin mit eigenwilligem Kleidungsstil und einer Ader fürs Kriminelle. Susanne weiß Antworten. Susanne füttert ihr Hirn mit Trivialem, mit Details, mit Absurditäten und rührt dann kräftig um. Aber Antworten wissen und Antworten geben sind zwei Paar Schuhe. Susanne hasst Abhängigkeiten. Auch die von ihr. „Mädchen“, sagt sie unwillig, „Mädchen, was willst du denn von mir?“
Oder sie sagt gar nichts oder was anderes zu wem anderen, etwas, das eigentlich nicht ins Gespräch passt. Darüber kann man sich ärgern, so wie Louise es tut oder Sophie. Oder man kann sich seinen Teil denken, versuchen, mit Bedacht, ein bisschen Humor, so verhanden, und viel Geduld etwas Wissenswertes aus Susannes signalbeladenen Nebensätzen rauszukitzeln, wie es die Männer des Barozzi-Clans tun.
(S. 36)
© 2012 Milena Verlag, Wien.