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Anton Kuh: Jetzt können wir schlafen gehen. Zwischen Wien und Berlin.

(Herausgegeben und mit einem Nachwort von Walter Schübler)
Wien: Metroverlag, 2012.
238 Seiten; gebunden; Euro 19,90.
ISBN 978-3-99300-069-1.

Link zur Leseprobe

„Den Zerrissenen“ nannte Klaus Podak den Wiener „Kaffeehausliteraten und Stegreifredner“ Anton Kuh in einer Serie der Süddeutschen Zeitung über große Journalisten. Lange Zeit wurde Kuh dieser ihm zweifellos gebührende Rang verwehrt, nun war er endlich auf Augenhöhe mit Kurt Tucholsky, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Hilde Spiel, Alfred Polgar und all den anderen Großmeistern der kleinen Form. „Eine Wiener „Lokalgröße“? - Mitnichten!“, poltert auch der Literaturwissenschaftler Walter Schübler. „Anton Kuh: Eine Richtigstellung“ überschreibt er sein Nachwort in der kürzlich im Metroverlag erschienenen, von ihm herausgegebenen und kommentierten Anthologie Jetzt können wir schlafen gehen! Zwischen Wien und Berlin. Darin versammelt Schübler knapp fünfzig zwischen 1918 und 1940 in den renommiertesten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften erschienene Beiträge Anton Kuhs: Feuilletons, Aphorismen, Theaterkritiken, Buchrezensionen, Glossen zum Tagesgeschehen - mit „Witz“ und „Wehmut“ begabt und bewaffnet mit scharfer Zunge und spitzer Feder berichtete der streitbare Intellektuelle über die Entwicklungen und Umwälzungen der Zwischenkriegszeit. Für den heutigen Leser ist dieser Band ein Geschenk, er begegnet auf zweihundert Seiten einem geistig hellwachen, sprachlich brillanten Journalisten und Literaten, dessen „staunenswerte Worte“ (Franz Werfel) verdienen, ernstgenommen und erinnert zu werden.

Am 12. Juli 1890 als Sohn einer jüdischen Prager Familie im könig- und kaiserlichen Wien geboren, machte sich Kuh in den illustren Kreisen der „Kaffeehausliteraten“ bald einen Namen als wortgewandter „Sprechsteller“ (Kurt Tucholsky) und gewann - mehr noch als mit seinen Feuilletonbeiträgen - mit seinen freien Reden eine begeisterte Anhängerschaft. Unter dem Eindruck der reaktionären gesellschaftspolitischen Reformen der Österreichischen Republik entschloss er sich im Sommer 1926, nach Berlin zu übersiedeln. Von den Nazis als „Kulturbolschewist“ und „Asphaltliterat“ geschmäht, verließ er 1933 Deutschland und emigrierte über London, Paris und Prag in die Vereinigten Staaten. Von einem Bekannten dazu aufgefordert, seine „sarkastische Feder“ gegen die Umbenennung eines Abschnitts der Wiener Ringstraße in Bürckel-Ring zu erheben, schrieb er 1940 aus dem Exil: „Nein, mein Verehrtester, das Thema „Bürckel-Ring“ gibt nichts her. Außer etwa die Erkenntnis, wie wenig uns die Stadt, wo man ungestraft „Bürckel“ auf die Ringstraße schmieren darf, noch angeht, und wieviel mehr dagegen der Central-Park, der Times Square und die Fifth Avenue...“. Er sollte Wien nie wiedersehen. 1941 starb Anton Kuh in New York an Herzversagen.

Diese schroffe Abfuhr war bereits der zweite Versuch eines „verzweifelt Liebenden“, sich von seiner Geburtsstadt loszusagen. Als 1918 die Habsburgermonarchie zusammenbrach und aus der „wunderbaren Fremden- und Weltstadt Wien“, „Hauptstadt eines in Kaffeehäusern vereinten Völkerstaats“ eine „deutsch-österreichisch eingeschrumpfte, [...] knödelig-biedere, werktätig-solide Kleinstadt“ wurde, versuchte Kuh zunächst wider besseren Wissens - „die Geschichte hat Österreich ausradiert“ - an ein Fortbestehen des „Guten und Bleibend-Humanen“ der Wienerischen Lebensart zu glauben, denn „Lebensart lässt sich schwerer verabschieden als Verfassung und Dynastie“.

So waren die Wiener - dieses liebenswerte Volk, das tatsächlich vergessen hatte, während des Krieges das Hotel de France umzubenennen - glücklich, endlich wieder ins „Wohnhaus Europa“ einzuziehen, während die Deutschen sich noch wunderten, „dass der Hass enden kann und nach dem Krieg wieder Europa beginnt“. Doch anhaltende Inflation, Arbeitslosigkeit, schlechte Versorgungslage und die politische „Pöbel-Diktatur“ machten der „weltsprichwörtlichen Liebenswürdigkeit, Humanität, Lebenskunst und inneren Freiheit“ des Wiener Menschenschlags den Garaus, dessen Gesinnungen wurden „kernhafter, spröder, kleinhorizontiger“ bis zu „jener Dusterknorrigkeit, für die die Nase des Tirolers ein so scharfes Abbild ist.“

Angesichts dieser geistes- und kulturfeindlichen Entwicklungen entschloss sich Anton Kuh wie so viele andere Wiener Intellektuelle und Künstler, seiner Heimatstadt den Rücken zu kehren und lieber „in Berlin unter Wienern statt in Wien unter Kremsern zu leben“. Dabei war ihm „kein Typus so zuwider wie der Mimikry-Berliner aus Österreich“, hervorgegangen aus den „approbierten Zweite-, Dritte- und Vierte-Garnitur-Wienern“, die ihre Sprache verstellten, die Sachlichkeit „übersachlichten“ und „voll mitleidiger Verachtung“ auf alles Wienerische herabblickten, das sie hinter sich gelassen hatten. Dahinter steckte, so frotzelte Kuh selbstbewusst, nichts anderes als ihre Angst vor dem Neuankömmling aus der ersten Garnitur, der „lauter und kühner“ redete als sie. Umso begeisterter wurde der „Aufmischer aus Wien“ von dem Berliner Stammpublikum aufgenommen: „unheimlich klug, prachtvoll mutig; Feuerwerk, bei dem scharf geschossen wird. Die Worte wie von Wehen vorgetrieben,“ schrieb die Vossische Zeitung über einen seiner Auftritte. Noch durfte er sich öffentlich äußern, noch empfing ihn Berlin, auch wenn er es andernorts als ordinären „Ehrgeizknotenpunkt“ bezeichnete, dem „Informiertheit“ als Ersatzstoff für Wissen genügte, als „freieste Stadt der Welt“.

„Der Aufschrei der deutschen Moral und der Werberuf des deutschen Homosexuellen, sie haben im großen Berlin nebeneinander Platz“, notierte er. Doch blieben seinem wachen Geist die dunklen Vorzeichen der kommenden Barbarei nicht verborgen. „Hie der Appell an die „blonden Mädels“, dort der Appell der blonden Buben [...]. Zwischendurch aber marschierte mit Fahnen, Musik und riesengroßen schwarzen Hakenkreuzen, Kopf hoch, Hand am Knauf, Deutschlands völkische Jugend.“ Und wer den Sieg davon tragen würde, darüber gab er sich Kuh keiner Illusion hin. Zwei Wochen vor dem Einmarsch der deutschen Truppen hielt er in Wien eine letzte Stegreifrede. „Sind die Juden intelligent?“, rief er in den von pöbelnden Braunhemden in Aufruhr versetzten, bis auf den letzten Platz gefüllten Saal. „Wenn ja, rettet Euch. Es ist höchste Zeit.“
„Armes, liebes Wien...“


Martina Wunderer
25. April 2012

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.



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