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Helwig Brunner: Die Sicht der Dinge.

Rätselgedichte.
Graz: edition keiper, 2012.
keiper lyrik Band 2.
114 S.; brosch.; Euro 15,40 EUR.
ISBN 978-3-9503337-2-5.

Link zur Leseprobe

Die philophische Zwiebel – oder vom diskreten Charme der Dinge

Sie sind so leise. Man hört sie kaum. Die Stimmen der sprachlosen Dinge. Sie schauen uns an. Wir sehen sie nicht. Nur unsere Sicht der Dinge. Doch wer ihm lauscht, dem stummen Chor, wird manches anders sehen. Und aus Sicht der Dinge erst beginnen zu verstehen.

Das klingt wie ein Rätsel. Und ist es auch. "Die Sicht der Dinge" stellt einfach alles auf den Kopf. Auch die Poesie. Das zeigt Helwig Brunner in seinen neuen gleichnamigen Rätselgedichten. Erst wer sie umdreht, erfährt, wer da spricht. Der Dichter jedenfalls scheint es nicht.

Nicht er ist hier 'Herr der Dinge'. Der Autor ist nur Chronist. Gewissenhaft und unterschiedslos führt er in seiner Chronik der vergessenen Dinge auf, was ihm unter die Feder kommt. Gebrauchs-'Dinge' wie das Telefon, den Eisschrank und den Abfalleimer; 'Körperdinge' wie die Haut, das Haar oder den Schuh; 'Ortsdinge' wie den Zaun, die Richtung oder den Horizont; 'Halbdinge' wie die Wolke, den Nebel und den Duft; 'Nichtdinge' wie die Zärtlichkeit, das Ungefähre oder die Bedeutung.

Große Worte machen sie nicht, die Dinge. Nur zwei, drei aphoristisch knappe Sätze voll sanfter Ironie, stillem Humor und lakonischer Weisheit. Schlicht und reimlos erklären sie uns existenzielle Fragen, auf die wir uns keinen Reim machen können. 'Was unsere Welt im Innersten zusammenhält', weiß eben niemand besser als das Doppelklebeband. Die Uhr zeigt uns, dass alles immer schon vorbei ist, wenn sie uns die Stunde schlägt. Und keiner erlaubt uns schließlich besseren Durchblick als das Fenster. Doppelt gespiegelt, sehen wir letzlich immer nur uns selber.

Alles ist am Ende nur eine Frage der Perspektive. Nirgends wird das deutlicher als in der Poesie. Für die Dichtung sind alle Dinge gleich gültig. Und kreative Blickwechsel nicht nur erlaubt, sondern geboten. Schließlich verändert sich der Blick auf die Welt ganz entscheidend, wenn man sie aus den Augen eines Ventilators sieht. Denn aus seiner Sicht ist nicht er es, der an der Decke kreist, sondern das Zimmer rotiert um ihn. Und aus dem Blickwinkel der Trauer braucht es keinen Trost: Am Ende müsse der Trauernde doch bloß loslassen, was ohnehin bereits fehle. Versetzt man sich einmal in die Lage eines Sessels, stellt sich die Welt alles andere als bequem dar. Mit seinen quietschenden Federn stöhnt er leicht unter der schicksalsschweren Last, „besessen“ zu sein. Die poetische Wahrheit ist: Dinge sind eben auch nur Menschen.

Vielleicht können wir deshalb scheinbar so einfach von den Dingen lernen. Spielerisch zeigt die Blockflöte dem Sohn, wie leicht sein Atem die Welt verändert; bevor er auf sie pfeift und sie fortlegt für ein anderes Spiel. Lustvoll demonstriert die philosophische Zwiebel, sich Schicht für Schicht entblätternd, dass am Ende „nichts“ von ihr bleibt. Und die Bedeutung stellt sich allzu selbstbewusst als Punkt ans Ende der Rede, die lange ins Leere läuft, ohne ihn ganz zu erreichen.

"Den Sinn finden wir nicht in den Dingen vor, wir legen ihn auch nicht nicht in die Dinge hinein, aber zwischen uns und den Dingen kann er sich begeben", zitiert Helwig Brunner den Religionsphilosophen Martin Buber im poetologischen Streitgespräch "gemacht / gedicht / gefunden" mit dem Dichterkollegen Stefan Schmitzer. Mit seinen poetisch-philosophischen Rätselversen aus "Sicht der Dinge" regt Helwig Brunner genau zu diesem Dialog zwischen Mensch und Ding an. Was sich daraus "begibt", hängt nicht zuletzt vom Leser selbst ab.

Der besondere Reiz von Helwig Brunners Rätselgedichten liegt im Charme der Umkehrung. Ein poetisches und gedankliches Sprachspiel, bei dem der Autor als Anwalt der sprachlosen Dinge den stummen Objekten seine lyrische Stimme leiht. Dabei entstehen lakonische, sinnlich unmittelbar ansprechende und zugleich philosophisch mehrdeutige Bilderrätsel von stiller Ironie. Besonders schön ist es, wie Brunner mit musikalischem Blick für den Krebsgang der Dinge Bilder zum Klingen bringt und Bedeutungen in poetische Schwingung versetzt.

Michaela Schmitz
14. Mai 2012

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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