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Leseprobe: Walter Grond - Mein Tagtraum Triest.

Wenn auch der Schriftsteller Camber noch am selben Tag aus dem Arrest entlassen wurde, und daraufhin die Bohrer ihre Arbeit wieder aufnahmen, würde doch kaum eine Woche in der Werft Sant’Andrea vergehen, da nicht wieder eine Werkstatt in den Aufstand trat. Eine Art motorische Lähmung prägte den Alltag der Stabilimento Tecnico Triestino. Gustav von Schulhof pflegte die trostlosen Arbeitsverhältnisse zu beklagen, die ihm wertvolle Zeit rauben würden. In den Hallen regierten die Werkmeister, setzten willkürlich Akkordlöhne fest, begünstigten und entließen Arbeiter ganz wie es ihnen beliebte. Und da es laufend zu Gewalttätigkeiten kam, musste mein Großvater immer wieder seinen Zeichenstift niederlegen, über den Hof marschieren und die Eskalation zu verhindern versuchen.
In Pola wiederum erlebte Liborius Zeeman mit, wie die Generalstabsoffiziere ihre Sträuße ausfochten, aus gegenseitiger Antipathie und doch auch stellvertretend für die ratlose Situation, in der sich Österreich befand. Zitierte der eine den anderen wegen jeder Kalamität zu sich, schickte der Malträtierte Beschwerdebriefe an die Marinesektion nach Wien, und setzten sich damit beide in eine Pattstellung. Die nicht enden wollenden Konferenzen, an denen mein Großvater teilnahm, fanden in der Hafenadmiralität von Pola statt. Von einer zur anderen Besprechung sollte Siegfried Popper die Anordnung der Türme auf den geplanten Dreadnoughts ändern. Während sich Montecuccoli für staffelförmig angeordnete Geschütztürme aussprach, plädierte der Vizeadmiral für Geschütze in der Kiellinie, beide für fünf, hingegen Hafenadmiral Ripper für drei. Und als man vom französischen Plan erfuhr, zwei Drillings- und drei Doppeltürme zu bauen, legte Montecuccoli Pläne für einen Turm mit bisher unvorstellbar großen Geschützen vor. Schließlich erging die Order an Popper, einen einzigen Drillingsturm zu entwerfen, was wiederum ob der vorgeschlagenen Geschütz-Dimensionen als riskant galt, und wozu Montecuccoli noch endgültig überredet werden musste.
Das Leben eines Marineoffiziers in Triest können wir uns durchaus pläsierlich vorstellen. Zu den angenehmsten Stunden zählten jene auf See, wenn das Flaggenschiff von Pola nach Triest zurückkehrte. Ein Heißluftapparat war auf dem Schiff installiert worden, zur Linderung rheumatischer Beschwerden waren die Wärmebehandlungen sehr begehrt, und in der Kapitänskabine warteten Tee, Kuchen und Likör.
Feste an Bord stellten überdies eine willkommene Abwechslung dar. Es musste nicht ein Besuch aus Wien sein, der ein Diner auf dem Flaggenschiff nach sich zog, auch kleine Fest-, Geburts- und Namenstage lockten das Offizierskorps zum Hafen. War freilich radiotelegrafisch ein Staatsbesuch angekündigt, machte sich die Mannschaft sogar an einen neuen Farbanstrich, schaffte Blumen, Champagner und ein prächtiges Buffet an Bord. Und wenn sich auch mein Großvater nach solch ausufernden Anlässen mit dem Händler herumzuschlagen hatte, der sich über die Ölflecken und Brandlöcher der geborgten Teppiche beklagte, waren es doch jene Abende, an denen er spätnachts mit seinem Mentor heiter durch Triest nach Hause gewankt sein dürfte.
Wir hätten die beiden Offiziere im Marinekasino und ebenso in den städtischen Cafés angetroffen, bei den Vortragsabenden im deutschen Schillerverein, aber auch im Teatro Verdi. Dass in den italienischen Schulen der Deutschunterricht Pflicht war, wird ihnen so selbstverständlich erschienen sein, wie dass auch sie im Alltag italienisch sprachen. Mein Großvater begleitete seinen väterlichen Freund in die Synagoge so wie jener die katholischen Studentenlieder mitsummte, und beide, obwohl ganz und gar unsportlich, ließen sich dann und wann im Tennisclub blicken.
Wegen Siegfried Poppers Problemen mit der Sehkraft und dem Gehör fiel meinem Großvater eine besondere Rolle zu. Popper besaß die ungewöhnliche Begabung, sich die richtigen Formen und Verhältnisse eines Schiffes vorstellen und so auf kostspielige Modellversuche verzichten zu können. Die Briten und Deutschen priesen ihn als eine Art Prometheus, der aus einem Klumpen Erde den Menschen formt, denn der chronische Geldmagnel der k. u. k. Marine hielt ihn weder von kühnen Gedanken noch von praktischen Lösungen ab. Liborius Zeeman lieh ihm Augen und Ohren, die ihn durch das Labyrinth, das er geschaffen hatte, leiteten. Beinahe blind und taub, schuf Popper den Nimbus einer unbesiegbaren Kriegsflotte. Auf Dauer freilich war die Stärke der österreichischen Marine ein nicht haltbares Gerücht, ebenso jenes des prosperierenden Triest eine Art Luftblase, und doch war beides irgendwie großartig, Poppers phantastische Schiffe wie die ganze Triestinita.

(S. 116-119)

© 2012 Haymon Verlag, Innsbruck.

 

 

 

 

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