„Sie haben also auch Kinder?“
„Eins. Unsere kleine Sophie.“ Die Frau Doktor sagte es in liebevollem Ton und mit fürsorglichem Nachdruck.
„Wir haben auch ein Mäderl, meine Frau und ich!“ Niki Schestak brachte es herzig heraus.
„Wie alt ist sie denn?“
Man saß im Café Mozart, Schestak hatte den Treffpunkt vorgeschlagen: „Dann können wir zum Essen gleich ins Sacher hinübergehen.“
„Ob ich so lang Zeit haben werde?“, hatte die Frau Doktor Stern darauf gesagt.
Sie saßen in einer der komfortablen Nischen, in einer etwas entlegeneren Ecke, und hatten den Saal vor sich. Mäßig besetzt. Wie üblich ein paar Japaner, eine Reisegruppe, mit ihren unvermeidlichen Sonnenhüten auf den Köpfen, leise miteinander schnatternd. Einige Zeitung lesende ältere Herrschaften, bequem in die Polster zurückgelehnt, ihre Morgenmelange vor sich.
„Ein schöner Tag heute.“
„Ein wunderbarer Tag!“
„Um diese Jahreszeit ist Wien doch am schönsten.“
Schestak hatte Frau Doktor Stern zu dieser Aussprache gebeten. Nach einigem Hin und Her mit dem Terminkalender hatte sie doch eingewilligt.
Die leichteste, die am besten abgesicherte Route führt über die Familie: Haben Sie Kinder? Wie viele? Wie reizend! Und die Masern? Was macht denn Ihr Mann? Dazu Anmerkungen übers Wetter, über die Jahreszeit, übers Essen eingestreut. Vielleicht speist sie gern fein? Oder was Kulturelles? Ins Kunsthistorische vielleicht? Sport war für Frauen für gewöhnlich wenig zielführend.
„Und was macht Ihr Mann, wenn ich fragen darf?“, fragte Schestak, sich dabei ein wenig vorbeugend.
Frau Doktor Stern zog die Augenbrauen in die Höhe, gerade so, als hätte ihr der Magister mit dieser Frage einen Antrag gemacht. Mein Gott! Was die sich ziert! Trampel. Sie antwortete knapp: „Er arbeitet bei der Sachwalterschaft.“
„Ein undankbares Geschäft!“ Schestak schüttelte den Kopf: „Diese vielen alten Leute! Hustend und spuckend. Dazu umschwirrt von Erben, die doch nur darauf warten ...“ Er ließ den Satz in Schwebe.
„Ums Geld dreht sich’s in der Tat häufig“, meinte die Stern dazu knapp.
„Aber nicht nur, nicht nur!“, legte Schestak jetzt nach. Zwar hätte er vom Emporziehen der Augenbrauen vorhin gewarnt sein sollen: Aber war er nicht von jeher, wie er sich manchmal selbst mit Wohlgefallen bestätigte, bei Frauen erfolgreich gewesen?
Nikolaus Schestak liebte seine Ehefrau durchaus. Noch mehr vielleicht hing er an seinem Kind, der kleinen Ellinor, diesem allerliebsten, engelhaften Geschöpf. Ihr blondes Köpfchen gaukelte immer wieder durch seinen Tag, seine Gedanken – wie eins dieser Bildchen, die man auf weihnachtlichen Lebkuchen kleibt. Frau und Kind waren für Schestak Grundlage und Bestätigung eines geglückten Lebens zugleich. Zweifellos! Abgesichert natürlich durch Geld und Besitz, durch gesellschaftliches Ansehen, durch ein gewisses Renommee. Aber das Leben insgesamt? Das war doch wieder ganz was anderes.
Die vielen Affären Schestaks standen also, man mag es ansehen, wie man will, in keinem Gegensatz zu seiner Rolle als treu sorgendes Familienoberhaupt.
„Sachwalterschaft, das Sterben, der Tod, das sind keine guten Themen“, fuhr er jetzt mit ernster Miene fort, damit ans Vorige, die Tätigkeit des Gatten Stern anknüpfend: „Ich, ich habe mich oft gefragt, ob Sie’s glauben oder nicht: Was ist denn der Sinn des Lebens?“
Schestak setzte ein ganz kleines Lächeln auf. Behutsam legte er seine Unterarme auf die polierte Tischplatte und hob den Blick.
„Vielleicht ist ja die Liebe das Einzige, was am Ende noch zählt?“
Da wandte die Stern sich kurz um, winkte dem Ober und bestellte einen zweiten Kaffee.
(S. 51-53)
© 2013 Residenz Verlag, St. Pölten-Wien.