Der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin und zugleich Direktor der Nationalgalerie Peter-Klaus Schuster ist aus dem Amt geschieden und ihm zu Ehren haben die Staatlichen Museen zu Berlin im vergangenen Herbst mit zehn Ausstellungen einen wahren Ausstellungsmarathon veranstaltet: „Im Tempel der Kunst. Künstlermythen des 19. Jahrhunderts“, „Hans von Marées. Sehnsucht nach Gemeinschaft“, „Karl Friedrich Schinkel und Clemens Brentano. Wettstreit der Künstlerfreunde“ (alle Alte Nationalgalerie), „Beuys. Die Revolution sind wir“, „Celebrities. Andy Warhol und die Stars“, „’Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden’. Dekonstruktionen des Künstlermythos“ (alle Hamburger Bahnhof), „Unsterblich! Der Kult des Künstlers“ (Kunstbibliothek), „Giacometti, der Ägypter“ (Ägyptisches Museum im Alten Museum), „Das Universum Klee“ und „Jeff Koons – Celebration“ (beide Neue Nationalgalerie). So aufwendig ist noch kein Museumsgeneral verabschiedet worden.
Im Treppenhaus der Alten Nationalgalerie hängt Georg Baselitz’ „Nachtessen in Dresden“ von 2006: Edvard Munch bei einem imaginären Gastmahl mit den Dresdner Brücke-Künstlern Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff. Das Bild ist eine Referenz der Brücke-Künstler an den von ihnen verehrten norwegischen Maler, es ist aber auch eine Referenz von Baselitz an die Wegbereiter der Moderne, denen er sich verpflichtet fühlt. In den Künstlerporträts steckt das eigene Porträt, es ist ein Rollenporträt, und in dieser Weise – in der Berufung auf Vorbilder, in der Hinterfragung der eigenen Lebensleistung - haben sich die Künstler schon immer geäußert.
Wilhelm von Schadow stellt sich in einem Selbstbildnis mit seinem Bruder Ridolfo und Thorvaldsen dar (1815/16). Schadow reicht seinem Bruder Ridolfo zu einem Künstlerbund die Hand, den der „geniale Däne“ Thorvaldsen bekräftigt. Malerei und Bildhauerei gehen hier ein Bündnis ein. Die Gruppe der drei wird überragt durch die Marmorfigur der Sandalenbinderin, mit der Ridolfo seinen Ruf als Bildhauer aus der Schule Thorvaldsens begründete und zugleich Anerkennung im römischen Nazarenerkreis fand.
Ein anderes Beispiel: Franz von Stuck zeigt sich in selbstbewusster Pose vor der Staffelei, einen von ihm gemalten weiblichen Akt prüfend. Im Hintergrund zeugen unter anderen die Namen von Phidias, dem gefeiertsten Künstler der Antike, und Michelangelo, dem größten Genie der Renaissance, davon, in welcher Tradition sich der Münchner Malerfürst sah. In dem „Geblendeten Simon“ (1912) wiederum kann man den Maler selbst, Lovis Corinth, erkennen, der ein Jahr zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte. Mit dem Mut der wütenden Verzweiflung stürmt dieser Simon vorwärts – Corinth hat sein Schicksal zum symbolischen Exempel erhoben. Die Möglichkeit dazu war im Künstler- und Geniekult des 19. Jahrhunderts angelegt worden.
Kein Ort ist geeigneter, die Künstlermythen der Deutschen zu zeigen, als die Nationalgalerie auf der Museumsinsel, jene als nationaler Tempel der Künste gestiftete und 1876 eröffnete museale Einrichtung - die „ästhetische Kirche der Nation“ nennt sie Peter-Klaus Schuster im Vorwort des Ausstellungskataloges. Die Leitmotive, die Topoi für diese Künstlermythen von 1800 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in der Ausstellung gezeigt und werden im Katalog von Bernhard Maaz und Anne Schulten, den Kustoden der Ausstellung, Birgit Verwiebe, Angelika Wesenberg und Katharina Wippermann erläutert: die unzähligen Künstlerbildnisse, wobei die stattliche Zahl der Graff’schen Selbstbildnisse besonders herausragt, die Stilisierung Berlins als Spree-Athen, die Schaffensentwürfe der Nazarener, die Casa Bartholdy, das erste Gemeinschaftswerk einer deutschen Künstlergruppe, Musik, Dichtung und Dichter im Bild, Mythen und Legenden vom Ursprung der Kunst, die verschiedenen Formen der Künstlerverehrung, die vielen Freundschaftsbilder deutscher Künstler, die Atelierbilder und vieles andere mehr.
Die Künstler des 19. Jahrhunderts lebten in Melancholie und Einsamkeit, in bindungsloser Freiheit, und doch ständig bedroht in ihrer Künstlerexistenz, sie sehnten sich zugleich nach Gemeinschaft, sie bedurften des Austauschs mit Künstlerkollegen, brauchten ein Publikum und Auftraggeber, sie traten als Propheten auf, als Priester oder Genie, aber auch als Handwerker und Ingenieur.
Etwa 125 Arbeiten wurden gezeigt und werden auch im Katalog abgebildet, vorwiegend Bilder aus der Nationalgalerie, wenig Leihgaben. Die Magazine sind gesichtet und mitunter auch Zweit- und Drittrangiges der Konzeption eingefügt worden. Diese Galerie oft monotoner, wenig Aussage- und Anziehungskraft ausstrahlender Bilder ermüdet auf die Dauer – auch beim Blättern im Katalog. Nur hin und wieder lässt ein klangvoller Name, ein Graff, Hackert, Tischbein, Kersting, Blechen, Gaertner, Schwind aufmerken. Das wird anders, wenn man sich bestimmten Themenkomplexen hochrangiger Künstler zuwenden kann. So etwa Isolation und Askese, Melancholie und Einsamkeit bei C. D. Friedrich, hervorragend präsentiert durch „Der Mönch am Meer“ (1808-10), „Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“ (um 1824) und „Der einsame Baum“ (1822). Die Natur als Spiegel der Seele zeigt sich bei Carl Blechen in „Bäume im Herbst bei Sonnenaufgang“ (um 1823) oder „Gebirgsschlucht im Winter“ (1825).
Die Konfliktsituation des Künstlers, der Großes schaffen will, aber vom königlichen Auftraggeber abhängig ist, wird an Karl Friedrich Schinkel festgemacht, der – wie in dem Gemälde „Mittelalterliche Stadt an einem Fluss“ (1815) - Dome malte, die er als Baumeister nicht bauen konnte. Der bereits zu Lebzeiten als „größter Künstler der Epoche“ gefeierte Peter Cornelius wurde mit mehr als 70 Werken bei der Eröffnung der Nationalgalerie 1876 gefeiert. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erlosch sein Ruhm, seine Werke wanderten in die Depots.
Ist Peter Cornelius ein Beispiel für den Geniekult, absentiert sich ein anderer „Malerfürst“, Adolph Menzel, dessen Leichnam Kaiser Wilhelm II. in der Rotunde des Alten Museum aufbahren ließ, geradezu aus seinem Werk – er hat sich nie in Öl konterfeit - und wendet sich selbstironisch seiner physischen Unzulänglichkeit zu. Bettlägerig hat er sich dem eigenen nackten Fuß wie einem Modell zugewandt. Der Fuß wird bis in die Verästelungen seines Äderwerks - selbst die Glanzlichter auf den Zehennägeln fehlen nicht - mit grotesk dem Betrachter entgegengestrecktem großen Zeh vorgestellt. Als ob er kein Atelier habe, malte Menzel sein Schlafzimmer (1847): Vom notdürftig zugedeckten Bett gleitet der Blick durch den engen Raum zum Fenster mit einem schattenhaften Konterfei und von dort hinaus zu den lichterfüllten Häusern und Gärten.
Der zu seinen Lebzeiten verkannte Hans von Marées flüchtete sich in Rollen – etwa die des „Drachentöters“ (1880) –, zahlreiche Werke weisen verborgene Selbstdarstellungen auf. Sein Streben nach Klassizität bestimmte Anselm Feuerbach zum unverstanden bleibenden oder bleiben wollenden Außenseiter, der sich selbst noch im einfachen Malerkittel – also als Künstler-Handwerker - stilisierte („Selbstbildnis“, 1873). Dem „Fürstenmaler“ Franz von Lenbach gelang es, dass nicht nur die von ihm dargestellten Staatsmänner sich in ihrem gesellschaftlichen Rang bestätigt fühlten, sondern auch seine Modelle durch ihn geadelt und sozial erhöht wurden.
In Arnold Böcklins „Selbstbildnis mit fiedelndem Tod“ (1872) wird dem herkömmlichen Memento-mori-Bild eine kühne Wendung verliehen: Der Maler erschrickt nicht über das Erscheinen des Todes, sondern hält, der Todesmelodie wie einer Inspiration lauschend, bei der Arbeit inne. Schließlich wird des „Gegenkaisers“ Max Liebermann gedacht, der der konservativen ästhetischen Haltung Wilhelms II. konträr entgegenstand und schlichte Motive der Arbeit und des alltäglichen Lebens bevorzugte. Die Titel dieser Reihenfolge sind recht austauschbar und beliebig fortsetzbar.
Es war eine Ausstellung, deren wissenschaftliches Bemühen durchaus erkennbar wurde, deren Fülle aber erdrückte und der es über weite Strecken auch an sinnlicher Ausstrahlungskraft ermangelte. Die bedeutendsten Arbeiten kannte man zudem aus der ständigen Präsentation der Nationalgalerie. Der Katalog hat aber das Thema Aufstieg und Fall des Künstlermythos dauerhaft gemacht. In der ständigen Selbstbefragung der Künstler wie auch in ihren Selbstinszenierungen sieht Klaus-Peter Schuster den „ewigen Widerstreit von Einsamkeit und Sehnsucht nach Gemeinschaft, von Wirklichkeit und Wahn, Himmel und Hölle“. Es sind vor allem die wissenschaftlichen Beiträge des Kataloges, die ebenso facettenreich wie tiefgründig dem Thema Brisanz verleihen.
Literaturangaben:
MAAZ, BERNHARD (Hrsg.): Im Tempel der Kunst. Die Künstlermythen des 19. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Bernhard Maaz, Anne Schulten, Peter-Klaus Schuster u. a. Nationalgalerie/Staatliche Museen zu Berlin und Deutscher Kunstverlag, München und Berlin 2008. 164 S., 19,90 €.
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