Werbung

Werbung

Werbung

Die Bilder erzählen ihre Geschichten

Das Katalogbuch „Die Berührbarkeit des Bildes“ – Zur Giotto-Rezeption des Malers Marc Rothko

© Die Berliner Literaturkritik, 22.04.09

 

Schaut man in seine Bilder, in denen dunklere und hellere Farben ineinander übergehen, dann haben wir das Gefühl, als ob sich etwas vor unseren Augen verwandelt, schärfer oder klarer wird, sich uns nähert und sich wieder entfernt oder vielleicht ganz verschwindet. Von seinen monumentalen Bildern, den schwebenden Farben, die sich ins Gedächtnis einbrennen, geht etwas aus, was außerhalb unserer Realitätswelt zu liegen scheint. Die Welt der Vorstellung, in die uns Mark Rothko versetzt, ist Lichtjahre entfernt von unserer Alltagswelt.

Erst vor kurzem sind die kunsttheoretischen und philosophischen Äußerungen dieses großen amerikanischen Malers veröffentlicht worden, der sich immer weigerte, als „abstrakter“ Künstler bezeichnet zu werden. Sie bezeugen, dass er sich intensiv mit der italienischen Kunst des Spätmittelalters und der Renaissance, mit Giotto di Bondone, aber auch mit Fra Angelico, auseinandergesetzt hat, dessen Wandmalereien Rothko auf mehreren Italienreisen immer wieder von neuem betrachtete.

Die Berliner Neue Nationalgalerie besitzt zwar nur ein – allerdings hervorragendes – Rothko-Werk, „Reds no. 5“ (1961), kann sich trotzdem aber glücklich schätzen, denn es gibt in deutschen Museen gerade mal 14 Werke dieses so bedeutenden Vertreters des Abstrakten Expressionismus. Und die benachbarte Gemäldegalerie nennt zwei herrliche Giottos ihr Eigen: „Dormitio Virginis“ (Marientod, etwa 1410) und „Kreuzigung Christi“ (etwa 1315). So entstand der Gedanke, diese drei Gemälde – und damit 650 Jahre Kunstgeschichte – in den Räumen der frühen italienischen Malerei der Gemäldegalerie in einer kapellenartig arrangierten Kabinettausstellung zusammenzuführen (bis 3. Mai), dem Betrachter die Möglichkeit zu geben, sich in diese Bilder zu versenken und die formalen wie rhetorischen Berührungspunkte herauszulesen. Nach der ungeheuren Bilderflut der dem „Kult des Künstlers“ gewidmeten, monumentalen Berliner Ausstellungen ein puristisches, ganz auf Sinnhaftigkeit setzendes Experiment ohne orientierende Kommentierung oder jedwede didaktische Unterweisung. Die Ausstellung will den Betrachter sehen lehren, solange vor den Bildern zu verweilen, bis diese ihre Geschichten selbst zu erzählen beginnen.

Wer aber den Horizont seiner eigenen Bilderfahrung erweitern will, der greife zu dem hervorragend aufgemachten Katalog-Buch, der in Bild und Text der Rezeption der italienischen Frührenaissance im Schaffen und Denken Rothkos nachspürt. In einem einführenden Text erörtert Gerhard Wolf Argumente, die aus der Begegnung Rothkos mit Giotto zu ziehen sind. Das Entstehungsumfeld von „Reds no.5“ genau bestimmend, vermag er ein ganzes Raster von inhaltlichen wie formalen Korrespondenzen zu den Werken Giottos aufzuzeigen, in das sich die Texte der anderen Autoren sinnfällig einfügen.

Stefan Weppelmann analysiert das Verhältnis Rothkos zur frühen italienischen Kunst und kommt zu dem Ergebnis, dass der Künstler in durchaus eklektischer und rhetorischer Weise eine Aktualisierung des Mythos Renaissance vornimmt, um damit dem eigenen Werk neue Sinnebenen und dem Künstlerstatus eine neue Aufwertung zu geben. Mit der Konstruktion des „mad fool“, die Rothko als ein Modell der Maskerade oder gar Mimikry diente und damit als Voraussetzung, Qualität und Anspruch seiner Kunst zu propagieren, beschäftigt sich Karin Gludovatz. Sie spürt also einer zweiten Art von Selbstentwurf bei Rothko nach. Mit der Etikettierung des Rothkoschen Werkes als „Ausdruck des Sublimen“ setzt sich Regina Deckers auseinander. Sie geht auf die historische Tradition des Begriffes des Sublimen zurück und zeigt, dass für Rothko „Sublimität“ begrifflich überhaupt keine Rolle spielt. Katharina Christa Schüppel untersucht das kreative Umfeld, in dem Rothkos klassisches Werk seit den 50er Jahren entstanden ist, und kommt zu dem Ergebnis, dass dessen Äußerungsakte durchaus Gemeinsamkeiten mit den New Yorker Malern, Dichtern und Musikern seiner Generation aufweisen. Zu diesen prinzipiellen Untersuchungen gesellen sich Spezialstudien zu Giottos „Marientod“ und „Kreuzigung Christi“ (Manuela de Giorgi), zur Bedeutung von „Reds no. 5“ für das Gesamtwerk Rothkos (Stefan Weppelmann) und zu den Malmitteln und Techniken Rothkos – auch zu den Kriterien der Verwendung des Rot – (Pia Maria Gottschaller). So wird die kunsthistorische Betrachtung und Kontextualisierung der Werke in enger Verzahnung mit der Untersuchung der Maltechnik vorgenommen.

Das Konzept der Ausstellung und der Katalogbeiträge vor Augen, könnte man folgende Betrachtungen anstellen: Schwebende farbige Rechtecke wurden von Rothko seit den 50er Jahren übereinander geschichtet. Sie sollten zu feierlichen und erhabenen Wirkungen führen. Rothko stellte metaphysische Ansprüche an die Kunst. Dennoch atmen seine leuchtenden Farbflächen durch Expansion und Kontraktion im Raum, so dass der Betrachter sich seines eigenen inneren Raumgefühls bewusst wird. So hat er auch in „Reds no. 5“ rottonige, zwischen Magenta und Cadmiumgelb changierende Rechtecke mit unscharfen Kanten und pulsierender Oberfläche auf der Leinwand übereinander geschichtet, die nur in ihrem Mittelfeld eine Unterbrechung durch zwei dunkelrote Streifen erfahren. Die Teilungen und Intervalle lassen an einen Horizont oder eine Wolkenbank denken und ordnen – so könnte man meinen – das Bild indirekt der Landschaftsmalerei zu.

Eine solche Bildkomposition ermöglichte ihm, fast alles, bis auf die räumlichen Andeutungen und emotionalen Kräfte der Farben und die lebendige Intensität der Oberflächen, aus seinen Bildern zu eliminieren. Diese entstanden aus einer sehr konzentrierten Malweise: Der Künstler färbte die Leinwand ein wie Aquarellpapier und lasierte dann in mehreren Farbschichten übereinander. Der Betrachter glaubt bei dem einen Bild in tiefes Wasser, bei einem anderen in Nebel hineinzuschauen, der von innen erleuchtet ist. Rothko war vom Licht besessen, Licht, das von unbeweglichen Symbolen ausgestrahlt wird, die wiederum auf einer vollkommen frontalen Bildfläche angeordnet sind. Folgte er damit nicht genau den Techniken der amerikanischen Luminaristen mit ihren „leisen, stillen, kontemplativen“ Aussagen? Es fehlt nur die Landschaft selbst.

An Giottos „Marientod“, der monumentalen, 1,79 Meter breiten Retabel, und der viel kleineren „Kreuzigung“ lassen sich Rothkos Verschiebung der Farbtöne genau studieren. Sie bestimmen nicht einen geometrischen Bildraum, sondern „argumentieren“ gleichsam – so Stefan Weppelmann – durch den Einsatz der Farben auf dem Goldgrund. Die Figuren sind Farb-Körper, die zwischen Statik und Bewegung in der Komposition ausbalanciert und in sich plastisch geformt sind. Überlagerungen lassen die eine Farbe zum Grund der anderen werden. Natürlich bedürfen die Werke Giottos nicht des Blickes von Rothko, aber dieser Blick schärft die Aufmerksamkeit für Aspekte in Giottos Werk, die so noch nie thematisiert worden ist. Und auch das Auge, wenn es zwischen den Werken Giottos und Rothkos hin und her gleitet, befragt auch das Werk Rothkos nach der Substanz seiner Farben und Formen, seinem Ort und seinem Gewicht, der Dynamik und Suggestion von Nähe und Ferne, die sich im Bild unauflöslich durchschichten, seiner emotionalen Kraft und Rhetorik. Die Gestalten sind wie Farbblöcke zusammengefasst, sie agieren mit großer Unmittelbarkeit gewissermaßen an der Oberfläche des Bildes. Und diese Unmittelbarkeit lässt wiederum den Eindruck von Bewegungsfähigkeit entstehen.

Man kann auch ergänzen: Wie Giotto setzt auch Fra Angelico das Kolorit ähnlich überlegt ein. So sind bei ihm Felder großflächig gegeneinander gestellt. An den Rändern sind sie, kaum merklich, ineinander verwoben. Und wie in der Malerei Giottos haften die Farben nicht auf den Figuren, sind nicht an sie gebunden, sondern zuerst Teil eines Farbklangs innerhalb des Bildganzen, das ansonsten vom Eindruck der Leere bestimmt ist. Sowohl bei Fra Angelico als auch bei Giotto kommt es zur Konzentration auf die Farben an sich an, erst in zweiter Instanz spielt die Gegenständlichkeit eine Rolle. Giotto ist für Rothko zwar letzter Exponent der mittelalterlichen Tradition, zugleich aber neuer Ausgangspunkt, da er begonnen hatte, Sinnlichkeit und Gewichtung der Farben zu betonen und damit ein neues Maß an Taktilität zu erreichen.

Rothko wollte ganzheitliche Räume wie ein Renaissancekünstler ausgestalten. Den Prinzipien Massivität und Leere galt seine Aufmerksamkeit. Die Studien zu den Seagram Murals und Harvard Murals können eigentlich nur ungenügend vermitteln, welche völlig neuen Dimensionen Rothko dann seinen Wandmalereien für das Seagram Building in New York (1958) und für die Harvard University in Cambridge (1961) geben sollte. Er hatte zunächst horizontale Tafeln geschaffen, die die typischen waagerechten Farbstreifen aufwiesen. Dann aber drehte er die Bilder auf die Seite und so wurden auf einem Bild wie „Rot, Braun und Schwarz“ (1958) die braunen und schwarzen Rechtecke zu vertikalen Säulen, während der rote Bereich zurücktrat, als ob er eine Öffnung darstellte. Immer noch herrschen rechteckige Formen vor, aber unter dieser neuen Voraussetzung glaubt man nun Fenster, Türen und Portale mit einfacher, klassischer Architektur zu erkennen.

Ein anderes Bild für das Seagram-Projekt, „Rot auf Kastanienbraun“, zeigt eine weinrote, türähnliche Form, die an ein monumentales Portal erinnert. Man möchte durch dieses Portal hineintreten, in das rauchige Braunrot eintauchen, aber bei näherem Hinsehen erkennt man, dass dieses rauchige, leere Innere fest und undurchsichtig wie eine Wand ist. Das Bild erzeugt ein Gefühl böser Vorahnungen, eine Spannung zwischen einem monumentalen Gebilde, das etwas einschließt, und einer fließenden Bewegung, die dieses Gebilde nicht halten kann. Beim Harvard-Projekt dagegen fand Rothko die Lösung bereits in den Skizzen, in denen er zwei oder drei vertikale, im oberen und unteren Teil befindliche Rechtecke mit dünnen, horizontalen Linien verband, die in ihrer Mitte schmale Vierecke (oder Ausbuchtungen) aufwiesen. Mit den klassischen architektonischen Formen, die Rothko für Harvard entwickelte, schuf er geöffnete Räume von variierender Breite, die in das Bild hineindrängen oder sich ausdehnen, beengen oder befreien. Die letzte Gemäldeserie, die Black on Gray Paintings, Arbeiten des Jahres1969, lassen dann wieder neue Ansätze erkennen: graue und schwarze Felder durch starre helle Grenzen voneinander getrennt.

Kurz vor seinem Tode entstand ein Bilderzyklus, der als Anregung zur Kontemplation in einer nichtkonfessionellen Kapelle der Rice University in Houston, Texas (1964, 1971 geweiht) dienen sollte. Die riesigen dunklen Bilder mit ihrem fast monochromen Schwarz, ihrem matten Pflaumenrot und dem finsteren Violett sind durch Rothkos Selbstmord 1970 zu Gedenksteinen, zu Grabstelen geworden. Hier hatte er ganz auf die zarten Begrenzungen und auf die verführerische Wirkung seiner Farben verzichtet und autonome, klar begrenzte Rechtecke gemalt. Ohne Thema, ohne innere Bezüge verkörpern sie ein erstaunliches Maß an Selbstaufgabe. Die Welt ist entschwunden und hat nichts als Leere zurückgelassen. Die Rothko-Kapelle, die ein Jahr nach seinem Tode eingeweiht wurde,  ist wirklich das letzte Schweigen der Romantik.

Literaturangaben:
WEPPELMANN, STEFAN / WOLF, GERHARD (Hrsg.): Rothko/Giotto. Die Berührbarkeit des Bildes. Katalogbuch zur Ausstellung im Kulturforum Potsdamer Platz, Berlin. Hirmer Verlag, München 2009. 192 S. mit 80 farbigen Abb. 39,60 €.

Verlag

Mehr von „BLK“-Autor Klaus Hammer


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: