Günter Grass: Der Butt (Roman) |
Günter Grass: Der Butt |
Inhaltsangabe:Ilsebill salzte nach. Bevor gezeugt wurde, gab es Hammelschulter zu Bohnen und Birnen, weil Anfang Oktober. Beim Essen noch, mit vollem Mund sagte sie: "Wolln wir nun gleich ins Bett oder willst du mir vorher erzählen, wie unsre Geschichte wann wo begann?" (Seite 9)
Ilsebill wird durch den Akt schwanger, denn die Antibabypillen warf sie unlängst ins Klo.
Als sie ein Weilchen und noch ein Weilchen gewartet hatte, ließ sie seinen Prüfer aus ihrer Tasche gleiten, kippte ihn, wie er auf ihr lag, seitlich weg, sprang auf die Füße, schüttelte sich ein bisschen, nahm dann drei Stückchen glühende Holzkohle vom Urfeuer und versteckte sie in ihrer Tasche, wo sie sogleich den Wolfssamen auffraßen, das es zischte. Höhnisch pisste sie ins Urfeuer, bis es erlosch. Da weinte der alte Himmelswolf, denn nun konnte er keinen knusprigen Braten mehr essen, nur noch roh in sich reinschlingen. (Seite 69)
Sobald die Tasche trocken war, brannte die glühende Holzkohle. Deshalb kam die mutige Frau "Aua! Aua!" schreiend zur Erde zurück. Und so bekam sie ihren Namen. Es schmeichelt, schmackhaft zu sein. Dennoch bin ich sicher, dass mein Angebot, dir, das heißt der Männersache für alle Zeit als Berater verpflichtet zu bleiben, meinen Küchenwert übersteigt. (Seite 33) Edek ließ sich überreden, den Butt wieder ins Wasser zurückzuwerfen. Von da an brauchte er nur vom Strand aus zu rufen. Schon sprang der allwissende Butt aus dem Wasser und war ihm mit seinen weisen Ratschlägen zu Diensten. Als der Butt die Männer dazu brachte, statt der üblichen Faustkeile Kupferäxte und metallene Speerspitzen herzustellen, wunderte Aua sich darüber: Wo diese plötzlichen Kenntnisse herkämen? Uns falle doch sonst nichts Nützliches ein. (Seite 37)
Auf ihre Anweisung hin mussten die Männer die Metallgegenstände in den Fluss Radune werfen, und Edek wurde bestraft: Einen harten Winter lang verweigerten ihm alle Frauen die Brust und den warmen Rest.
Und dann fiel die dritte Brust ab. (Seite 87)
Es kam noch schlimmer: Während die Männer unter Aua als Fischer und Jäger "beruflich autonom" und zumeist unter sich waren, "im Schilf und Unterholz, im Moor und auf entlegenen Stränden außer Rufweite" (Seite 90), spannte Wigga sie vor den Holzpflug. Der Ackerbau wurde für die Männer zur Fron. Immer wieder und noch einmal drang der Asket mit seinem gar nicht mehr bußfertigen Werkzeug in ihr Fleisch. Ganz nach Art der Pomorschen, doch mit mehr Glaubenseifer und dialektischem Widerspruch, erschöpfte er sich in ihr. (Seite 107) Von da an verlangte er von Mestwina, dass sie ihm jede Woche einmal Fischsuppe kochte. Als es ihr zu viel wurde, erschlug sie ihn am 12. April 997 im Alkohol- und Muscarin-Rausch [halluzinogene Pilze] mit einem gusseisernen Kochlöffel, den ihr Lebensgefährte aus der Vorratshütte des böhmischen Trosses gestohlen hatte. Nach dem Mord vergrub er den Löffel und warf die Leiche des Missionars in den Fluss Radune. Aber der Ich-Erzähler war auch selbst mit Adalbert von Prag identisch und verriet Mestwina an die Böhmen. Jedenfalls war ich als Bischof schon tot, als ich in meinem Schafsgeruch in das böhmische Hauptzelt trat und Mestwina an die Herren verraten habe. (Seite 131) Daraufhin wurde Mestwina zum Tod verurteilt und nach der Zwangstaufe von einem polnischen Henker mit dem Schwert enthauptet. Obwohl die Verantwortlichen die Wahrheit kannten, behaupteten sie weiterhin, Adalbert sei von heidnischen Pruzzen erschlagen worden. Ernst Paulig, der pensionierte Rektor des Gymnasiums Sankt Johann, grub im Herbst 1889 den gusseisernen Löffel aus und schenkte ihn der historischen Sammlung der Stadt Danzig. "Pommerellisches Hausgerät", stand auf einem Pappschildchen geschrieben. Dabei war der Löffel böhmischen Ursprungs. Eigentlich hatte ihn Adalbert zum Heidenbekehren mitgebracht. (Seite 111)
Im 14. Jahrhundert hieß der Autor Albrecht Slichting. Er lebte in Danzig und war Schwertfeger (Waffenschmied) wie sein Vater Kunrad Slichting. Albrecht kam häufig in das Weichseldorf Montau, denn sein Vater belieferte nicht nur den Danziger Sitz des Deutschen Ordens, sondern auch die Hochmeisterei über dem östlichen Nogatufer. Während eines Aufenthalts 1353 in Montau fiel ihm die damals sechsjährige Dorothea auf, das siebte von neun Kindern des niedersächsischen Neubauern Wilhelm Swarze. Eine unachtsame Magd hatte sie versehentlich mit kochendem Wasser übergossen, aber Dorotheas Haut war wie durch ein Wunder heil geblieben. 1363 heiratete der Schwertfeger Dorothea von Montau.
Sie ziert sich, geil zu sein wie sie ist. (Seite 258)
Der Prediger Jacob Hegge versuchte die Reformation in Danzig einzuführen und initiierte 1524 einen Aufstand. Daraufhin rief der Bürgermeister Eberhard Ferber den polnischen König Sigismund zu Hilfe. Der kam im April 1526 mit achttausend Mann und besetzte die Stadt kampflos. Mit Ausnahme des rechtzeitig geflüchteten Predigers wurden die Rädelsführer des Aufstands – darunter Margarete Ruschs Vater – am 29. April zum Tod verurteilt und am 26. Juni hingerichtet. Nachdem Agnes drei Jahre lang dem Stadtmaler [Anton Möller] als Marktmarjell, kaschubische Kiepenjungfer, als ernste Bortenwicklerin oder aufgeputzte Bürgerstochter Modell gestanden hatte und ihn obendrein mit leichter Kost (so gerne er fett aß) bekocht hatte, hob es ihr den Schürzensaum: sie wurde ihm schwanger Modell. (Seite 344)
Agnes Kurbiella hatte nicht nur mit dem Maler Anton Möller ein Verhältnis, sondern auch mit dem Dichter Martin Opitz. Das feministische Tribunal in Berlin beschuldigt den angeklagten Butt, sie verkuppelt und "ein durch männliche Kriegsgreul ohnehin verwirrtes Kind zwei verbrauchten Männern zum stimulierenden Missbrauch freigegeben zu haben" (Seite 325).
Wie sie meine Prügel stumm und einsichtig als missglückte Zärtlichkeiten ertrug. Wie sie mir, dem Versager im Bett, durch Gutzureden zu kleinen Wochenenderfolgen verholfen hat. Wie sie, als ich die Streikkasse bestohlen hatte, meinen Diebstahl nachts als Klofrau im Hotel Kaiserhof abverdiente [....] Wie sie, als ich aus der Partei ausgeschlossen werden sollte, vor den Genossen sprach und nichts auf "ihren Otto" kommen ließ. Wie sie für mich auf die Polizeiwache ging. Und immer wieder meine Kotze von den Dielen gewischt. Und mich vom Nagel, an dem ich baumelte, mit dem Messer gesäbelt hat. Auf Lena war immer Verlass. (Seite 513)
1914 – zu Beginn des Ersten Weltkriegs – wurde Lena Stubbe zum zweiten Mal Witwe. Nicht nur ihre Männer, auch alle ihre vier Töchter starben vor ihr. Lena Stubbe wurde dreiundneunzig Jahre alt. Da machte ich ihr, weil ich dachte, das hilft, ruckzuck ein Kind. Aber das war dann im Weg und wurde ruckzuck bei den Großeltern abgestellt. Das Muttersein kotzte sie an. (Seite 585) Billy weigerte sich, mit ihrem Freund zu schlafen. Erst nachdem sie zu der Auffassung gekommen war, sie könne nur Frauen lieben, ließ sie ihn hin und wieder an sich heran. Billy und ihre Freundinnen Susanne Maxen ("Mäxchen"), Franziska ("Fränki") Ludkowiak und Sieglinde ("Siggi") Huntscha betrachteten sich nun als lesbisch. Der Ich-Erzähler hielt das jedoch für einen Tick, denn er wusste jedoch aus eigener Erfahrung, dass alle vier Frauen auch Spaß am Sex mit Männern hatten. Und mit Sibylle habe ich im Großen und Ganzen prima geschlafen. (Seite 577) Eines Tages beschwerten sich alle vier bei ihm: "Das geht nicht mehr. Das ekelt uns. So plump kann man uns nicht kommen. Wir sind ganz andere Zärtlichkeiten gewohnt. Ihr wollt doch bloß immer rein raus und fertig. Aufreißen und liegenlassen. Das kann man mit uns nicht machen, nicht mehr. Bedien dich sonstwo." (Seite 577) Und als Billy das androgyne "Mäxchen" bei sich in der Wohnung aufnahm, machte sie mit ihrem Freund endgültig Schluss. Erst im Sommer sechzig – Sibylle war mit großem Trara dreißig geworden – hatte ich restlos ausgeschissen. Das Mäxchen war aufgekreuzt und duldete keine halben Sachen. ("Ihr könnt ja Freunde bleiben. Aber sonst läuft hier nix mehr.") (Seite 586) 1963 feierten die vier Frauen Vatertag am Grunewaldsee. Wie die Männer tranken sie Bier aus Flaschen, und Mäxchen pinkelte mit Hilfe eines Kunststoffprodukts aus Dänemark im Stehen gegen den Stamm einer Kiefer. Kein Neid auf die Stinkmorchel mehr. Nie wieder erniedrigendes Weibergestrull. (Seite 588) Als Mäxchen, Fränki und Siggi an diesem Abend aus einem kurzen Schlummer im Freien erwachten, wollte Mäxchen mit der noch schlafenden Billy einen Sohn zeugen und zog ihr deshalb Jeans und Schlüpfer aus. Dann gürtete sich Mäxchen sich mit einem Dildo und drang damit in Billy ein. Nachdem sich das Mäxchen ideell bewiesen hatte, kam Siggi zum Zug. (Seite 617) Erst als Siggi es ebenfalls versuchte, erwachte Billy und wehrte sich gegen den "Kunstfick", aber Siggi und Mäxchen hielten sie fest. Billy schimpfte: "Wenn ich das will, nehm ich mir nen richtigen Mann. Der ist mir lieber. Das sag euch euch als Frau. Habt ihr verstanden! Als Frau." (Seite 619) Zornig zog sie sich an und verließ die Gruppe. Sie lief ziellos herum, und weil sie am Seeufer von Männern angepöbelt wurde, geriet sie immer tiefer in den Wald. Dort wurde sie von sieben Motorradfahrern eingeholt. Eher gutmütig brummelten die Motoren. War ja alles nur Spiel. (Seite 623)
Ängstlich schlug Billy den Männern vor, ein paar Schnäpse am Roseneck zu kippen, aber die Kerle hatten anderes vor, und es gab kein Entrinnen. "Runter die Plünnen!", hieß es. Billy zog sich bis auf Slip, Socken und Schuhe aus. Die Männer stiegen ab, öffneten die Hosen und zeigten ihre erigierten Penisse. Einer nach dem anderen vergewaltigten sie Billy. Der letzte schob ihr dann einen Tannenzapfen in die wunde Vagina. Anschließend fuhren die Männer so lange mit ihren Motorrädern über Billys Körper, bis sie tot war. Als ich ihn, wenige Monate vor der Erdölkrise, wieder mal aus der See rief (um mich in Sachen Einkommensteuer beraten zu lassen), hat er mir den Vertrag gekündigt: "Aus euch Pappis ist ja kein Funken mehr zu schlagen. Nur noch Finten und Tricks. Jetzt werde ich mich", sagte er wie zum Abschied, "ein wenig um die Ilsebills kümmern müssen." (Seite 47) Wieder beginnt der Butt zu sprechen. Er berichtet den Frauen von seinem langjährigen Vertragspartner und erklärt ihnen, er könne der Männersache nichts mehr abgewinnen, halte es vielmehr für an der Zeit, eine neue Phase der Humanentwickelung einzuleiten. Er nannte mich einen jungsteinzeitlichen Tölpel von durchschnittlicher Beschaffenheit. In unmündigem Zustand gehalten, sei ich nicht fähig gewesen, das totale Fürsorgesystem weiblicher Herrschaft zu erkennen oder gar zu durchbrechen. (Seite 51) Der Butt ist bereit, sich in den Dienst der Frauenbewegung zu stellen, unter der Bedingung, dass Siggi, Fränki und Mäxchen ihn ins Wasser zurückwerfen. Für den Fall, dass sie es nicht tun und sein Beratungsangebot ausschlagen, droht er ihnen Konsequenzen an. Das Mäxchen war auch ein wenig verängstigt: "Der meint, was er sagt." Doch Siggi und Fränki blieben hart wie nach Vorschrift: Durch Drohungen sei man nicht einzuschüchtern. Den Ton kenne man. Gottvater und so. Die übliche männliche Anmaßung. (Seite 53) Die drei Frauen nehmen den Butt mit und füllen in der Landarbeiterkate, die sie als Ferienwohnung gemietet haben, für ihn eine Zinkbadewanne mit Ostseewasser. Nachdem sie mit ihren Kampfgefährtinnen in Berlin, Stockholm, Tokio, Amsterdam und New York telefoniert haben, fliegen sie mit dem Butt nach Berlin. In einem leerstehenden Kino im Stadtteil Steglitz wollen die Feministinnen ein Tribunal gegen den Butt veranstalten. Sie benötigten fünf Wochen Streit, um aus sieben (nach Spaltungen) neun Frauengruppen, endlich die Vorsitzende des Tribunals und acht Beisitzerinnen zu wählen: alle, bis auf die Hausfrau Elisabeth Güllen, berufstätig, weshalb das Tribunal nur am Nachmittag und gelegentlich übers Wochenende tagte. (Seite 56)
Den Vorsitz des feministischen Tribunals übernimmt Frau Dr. Schönherr. "Zugegeben: auf meinen Rat hin löste der unterdrückte Mann die vieltausendjährige Phase geschichtsloser Frauenherrschaft ab, indem er sich gegen die Zwänge der Natur stellte, Ordnungsprinzipien entwarf, das chaotische, weil inzestiöse Mutterrecht durch die verantwortliche Disziplin des Vaterrechts ersetzte, der apollinischen Vernunft Geltung verschaffte, utopisch zu denken und praktisch Geschichte zu machen begann. Oft zu herrschaftsbetont, wie ich gestehen muss. Zunehmend kleinlich den Besitzstand sichernd. Allzu zaghaft das Neue wagend." (Seite 60f) Ironisch ist die folgende Äußerung: "Der historisch bedingte Machtverlust der Frauen wird allgemein überschätzt. Immerhin blieben seit dem Frühmittelalter die Küchen- und Schlüsselgewalt, der Bett- und also auch Traumbereich, die christliche Sonntagsmoral, das wichtige Kleingeld und die mutterbezogene Kinderaufzucht dem weiblichen Geschlecht vorbehalten. Mehr noch: das ahnende Gefühl, die kleine tyrannische Laune, die süße Heimlichkeit, das Jameinen, wenn man Nein sagt, die fromme Lüge, das modische Spiel, der alles und nichts bedeutende Augenaufschlag, die rasch und zu jeder Jahreszeit nachsprießenden Wünsche, all die liebenswerten, aber auch kostspieligen Extravaganzen." (Seite 59f) Weil daraufhin Anschläge auf den Butt verübt werden, unterbrechen die Verantwortlichen das feministische Tribunal für vier Tage. In dieser Zeit lassen sie die Zinkwanne durch ein Gehäuse aus Panzerglas ersetzen und mit Wasser und Sand aus der Ostsee füllen. Dann setzen die Frauen die Befragung des angeklagten Butts fort, und er meint:
"Frauen empfangen, tragen aus, gebären, geben die Brust, ziehen auf, sehen eins von sechs Kindern wegsterben, kriegen ein neues wie nichts reingehängt, das sie austragen, nach wie vor unter Schmerzen gebären, an diese an jene Brust nehmen, Mamasagen und laufen lehren; bis sich die Mädchen – und hier zählen grundsätzlich nur die Töchter – für irgendeinen Kerl breit machen und wieder empfangen, was ausgetragen immer noch und nur von Müttern geboren wird. Im weiteren Verlauf des Tribunals kommt der Butt auf das Thema Gewalt in der Ehe zu sprechen: "Sie wissen wie ich, verehrte Anklägerinnen, dass körperliche Züchtigung schon immer Ausdruck männlicher Schwäche gewesen ist [...] Damals, zu Lena Stubbes Zeit, wurde das weibliche Geschlecht verzweifelt ungehemmt misshandelt. In allen Klassen. Adel und Bürgertum nicht ausgenommen. Doch die Arbeiterfrauen bezogen regelmäßiger, das heißt, jeden Freitag Prügel, weil das schwache Bewusstsein der Proletarier am Lohnzahltag keine andere Selbstbetätigung fand. Ja, selbst die organisierten Arbeiter schlugen als parteiliche Sozialisten freitags mit schwerer Hand zu [...] Lena jedoch, die pünktlich geprügelte Lena blieb immer, auch stumm leidend, die Stärkere [...] Nie hat sie sich gewehrt, etwa mit dem Feuerhaken. Sie wusste, dass ihr Friedrich Otto und ihr Otto Friedrich hinterher erschöpfte, gedemütigte, zerknirschte, ja, weinerliche Männchen waren." (Seite 518) Der Butt gesteht, die Männer in den Kriegen zum Durchhalten aufgefordert zu haben, zum Beispiel 480 v. Chr. bei den Thermopylen und 1943 in Stalingrad.
"Immer wieder habe ich den Tod für irgendetwas – für die Größe der Nation, für die Reinheit dieser oder jener Idee, für die Ehre Gottes, den unsterblichen Ruhm, für irgendein abstraktes Prinzip: das Vaterland – meine Erfindung – hochgepriesen und zum eigentlichen Lebensinhalt erklärt." (Seite 658) Der Autor, der mit den meisten der am Tribunal beteiligten Frauen geschlafen hat, wartet vor dem Kino auf Siggi und geht mit ihr in eine Kneipe. Wir tranken dann noch ein paar Bier und paar Korn. Auf Sieglindes Frage "Und was haste momentan in der Mache?" gab ich vorsichtig Auskunft: Das Tribunal an sich, das ganze Thema überhaupt interessiere mich. Ich sei nicht nur als Autor, sondern auch als Mann betroffen. Und zwar irgendwie schuldhaft. Das alles komme mir sehr entgegen. Anfangs hätte ich nur über neun oder elf Köchinnen eine Art Ernährungsgeschichte schreiben wollen: vom Schwadengras über die Hirse zur Kartoffel. Aber der Butt sei gegengewichtig geworden. Und der Prozess gegen ihn. Leider habe man mich als Zeugen nicht zulassen wollen. Meine Erfahrungen mit Aua, Wigga, Mestwina und Dorothea seien den Damen wenn nicht lächerlich, so doch bloße Fiktion gewesen. "Richtig abgeschmettert habt ihr meine Anträge. Was bleibt da übrig, als das Gewohnte zu tun: schreiben, schreiben." (Seite 184f) Nach dem letzten Schluck Bier fordert Siggi ihren Begleiter auf, mit ihr ins Bett zu gehen. Mitten in der Nacht bittet er sie, ihm Zugang ins Kino zu verschaffen, damit er noch einmal mit dem Butt reden kann. Siggi, die über einen Schlüssel verfügt, sperrt ihm die Türe auf. Aber der Butt will nichts mehr mit ihm zu tun haben: "Alle Macht, die ich dir verliehen habe, hast du missbraucht. Anstatt dein dir gegebenes Recht fürsorglich geltend zu machen, ist dir Herrschaft zur Unterdrückung, ist dir Macht zum Selbstzweck missraten." (Seite 188)
Vor dem Tribunal erklärt sich der Butt abschließend noch einmal bereit, die Frauen zu beraten. Eine radikale Fraktion der Beisitzerinnen lehnt das ab und plädiert dafür, den Butt zu liquidieren. Am Ende setzen sich gemäßigte Meinungen durch, und es wird beschlossen, als symbolische Strafe vor den Augen des Butts ein Buttessen zu veranstalten. Daran darf der Ich-Erzähler als einziger Mann unter vierundfünfzig Frauen teilnehmen. Sie übersah, überging mich. Schon war sie an mir vorbei. Ich lief ihr nach. (Seite 694) |
Buchbesprechung:Günter Grass entwickelt den Roman "Der Butt" auf drei Ebenen: (1) 1973 zeugt der Autor mit seiner Frau Ilsebill ein Kind, und die neun Kapitel des Buches entsprechen den neun Monaten der Schwangerschaft. Am Ende bringt Ilsebill eine Tochter zur Welt, und ihr Mann fliegt von Ostberlin nach Gdansk, wo er eine Verwandte trifft, die in der Lenin-Werft als Köchin arbeitet und ihren Freund beim Arbeiteraufstand 1970 verloren hat. (2) Parallel dazu findet gegen einen Butt, der gewissermaßen den Weltgeist darstellt, ein feministisches Tribunal in Berlin statt, das ebenfalls neun Monate dauert. (3a) Der Autor erzählt Ilsebill, was er in verschiedenen Inkarnationen seit dem Neolithikum erlebt hat. (3b) Der Butt, der ihn von der Jungsteinzeit bis zur Ölkrise 1973 beriet, sagt vor dem Tribunal aus, berichtet über das Verhältnis des Autors zu den neun Frauen, die ihn vor Ilsebill verköstigten und reflektiert vor dem Hintergrund geschichtlicher Ereignisse in Danzig (von der Entdeckung des Feuers bis zum Streik auf der Lenin-Werft im Dezember 1970) über die Ablösung des Matriarchats durch das Patriarchat, die Rolle der Frau und die des Mannes. Es wird klar, dass die Geschichte bisher eine der Männer war und sie verantwortlich für Krieg und Gewalt sind. Die Männer haben die Menschheit an den Abgrund geführt. Leidenserfahrungen und Lebensgenuss, Zivilisationskritik und Spurenelemente utopischer Hoffnung werden im episch-ironischen, historisierend sprachspielerischen, von kommentierenden Gedichten durchsetzten Erzählfluss eng verwoben. Das vieldeutige, ja widersprüchliche Ganze stimuliert Fantasie und historisch-politische Reflexion gleichermaßen. (Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Dortmund 1989, Band 1, Seite 531)
Ilsebill symbolisiert zwar das Ewig-Weibliche, aber die Frauen in "Der Butt" wechseln. Zwei männliche Figuren sind dagegen zeitlich omnipräsent: Der Butt und der Autor. Die Frauen halten den immerwährenden Kreislauf von Geburt und Tod aufrecht; die Männer versuchen sich durch historische Errungenschaften – Ersatz für die ihnen versagte Schwangerschaft – zu verewigen.
Als die dicke Gret einen Furz fahren ließ, weil ich sie zu spitzfindig geleckt hatte, nahmen wir beide das bisschen Gegenwind hin. Schließlich hatten wir, wie regelmäßig am Mittwoch, zu Rübchen und gepfefferten Schweinerippen dicke Bohnen gegessen; und wer den Furz seiner Liebsten nicht riechen kann, der soll nicht von Liebe reden … (Seite 259) Derbe Passagen wie diese kontrastieren mit wohlklingenden Formulierungen. "Der Butt" erreicht zwar m. E. nicht das Niveau der "Blechtrommel", aber es handelt sich um einen im Doppelsinn des Wortes fantastischen Roman, zum Bersten voll mit skurrilen Gestalten, Bildern und Geschichten, Ironie und Sprachwitz, formal überzeugend und in der unverwechselbaren Sprache Günter Grass' geschrieben. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Günter Grass (Kurzbiografie) |