Robert Harris: Ghost (Roman) |
Robert Harris: Ghost |
Inhaltsangabe:Als ich hörte, wie McAra gestorben war, hätte ich aufstehen und gehen sollen. Heute weiß ich das. Ich hätte sagen sollen: "Tut mir Leid, Rick, das ist nichts für mich, irgendwie stinkt die Sache", hätte austrinken und gehen sollen. Aber Rick war ein außerordentlicher Geschichtenerzähler. Wenn er erst einmal angefangen hatte, kam ich nie auch nur eine Sekunde lang auf den Gedanken, ihm nicht zuzuhören. Oft dachte ich, er hätte Schriftsteller und ich Literaturagent werden sollen. Denn als er fertig war, hatte er mich am Haken. (Seite 9)
So beginnt der namenlose Ich-Erzähler sein Buch mit dem Titel "Ghost". Er sitzt mit seinem Literaturagenten Rick Riccardelli in London zusammen, der berichtet, wie Michael James McAra vor einigen Tagen ums Leben kam. McAra war Berater und Redenschreiber des britischen Premierministers Adam Peter Benet Lang,
"Unfall? Selbstmord?" Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Wer kann das wissen? Was spielt das für eine Rolle? Jedenfalls war es das Buch, das ihn umgebracht hat." (Seite 15)
Trotzdem kann Rick den professionellen Ghostwriter überreden, sich als Ersatzmann für Mike McAra zu bewerben. Dazu soll er am nächsten Tag in die Londoner Niederlassung des Verlags kommen. "Und jetzt schreibst du ihm seine Propagandamemoiren und machst ihm die Taschen noch voller." (Seite 24)
Es kommt zum Streit, und Kate verlässt ihn. "Also gut, gehen wir die Sache mal von hinten an: Wir kommen im Juni raus, das heißt, wir liefern im Mai aus, das heißt, wir lektorieren und drucken im März und April, das heißt, wir müssen das Manuskript Ende Februar auf dem Tisch haben. Die Deutschen, Franzosen, Italiener und Spanier müssen sofort mit der Übersetzung anfangen. Die Zeitungen müssen wegen der Vorabdrucke einen Blick drauf werfen können [...] In unserem Fahrplan ist keine Zeit für Korrekturen, die müssen während des Schreibens erledigt werden." (Seite 34f)
Überraschend ist auch das Honorar: 250 000 Dollar plus Spesen. Die prickelnde Aussicht, auf einer Unfallstation zehn Stunden darauf zu warten, bis man mich untersuchte, gefolgt von einem halben Tag auf einem Polizeirevier, bis man meine Aussage aufnahm, reichte aus, um mich aus dem Rinnstein die Treppe hinauf in meine Wohnung zu treiben. (Seite 41) Wollte Kroll, dass es so aussah, als habe er das Manuskript für Adam Langs Autobiografie bei sich? Wollte er sehen, was passiert? "Vielleicht benutzt Kroll mich als Köder, wie eine angebundene Ziege, um herauszufinden, wer sonst noch hinter dem Buch her ist und wie weit die gehen würden." (Seite 51)
Bereits am nächsten Tag fliegt er von London nach Boston. Ein Chauffeur holt ihn im Logan International Airport ab und bringt ihn zu Marty Rhineharts Villa auf Martha's Vineyard. Dort empfängt ihn Amelia Bly, eine elegante Mitvierzigerin, die seit acht Jahren als Assistentin für Lang arbeitet. Sie stellt ihm die Sekretärinnen Lucy und Alice vor. Im Haus wohnen zur Zeit außerdem der Chauffeur Jeff, der vietnamesische Gärtner Duc, dessen Ehefrau Dep, die als Hausmädchen tätig ist, sechs Männer vom Personenschutz und das Ehepaar Lang. Er war exakt der Typ des faden Zukurzgekommenen, der sich von Natur aus zur Politik hingezogen fühlt und Leute wie mich dazu bringt, den Sportteil der Zeitung zu bevorzugen. Einen McAra findet man in jedem Land, in jedem System, im Dunstkreis von jeder Führungsperson, die einen politischen Apparat in Schwung zu halten hat: Sie sind die ölverschmierten Maschinisten im Kesselhaus der Macht. (Seite 19) Als Lang am Abend mit einer gepanzerten Limousine eintrifft – von New York nach Boston flog er mit einem Privatjet –, fragt er, wer der ihm Unbekannte sei. "Ich bin Ihr Ghost", antwortete ich. (Seite 88) Nach anfänglicher Irritierung über die taktlose Bemerkung lässt Lang Eistee servieren und unterhält sich mit seinem neuen Ghostwriter. Er klagt, als Premierminister den Kontakt zum Alltag verloren zu haben.
"Man verliert den Kontakt. Man geht in keinen Laden mehr. Alles wird für einen erledigt. Man hat kein Geld mehr in der Tasche [...] Ich könnte es gar nicht selbst, ich weiß ja nicht mal meine ... wie heißt das noch mal ... nicht mal den Namen dafür kenne ich."
Adam Langs Vater war ein selbstständiger Bauunternehmer, der vermutlich nicht einmal wählte, weil er von Politikern nichts hielt. Er war fünfzig und brachte zwei halbwüchsige Söhne aus seiner ersten Ehe mit, als er seine zweite Frau kennenlernte, eine zwanzig Jahre jüngere Lehrerin. Von ihr wurde Adam geboren. Sechzehn Jahre später starb sein Vater, und während er in Cambridge Wirtschaftswissenschaften studierte, erlag seine Mutter, eine langjährige Alkoholikerin, einem Lebertumor. Als Student habe er Theater gespielt und von einer Karriere als Schauspieler geträumt, sich jedoch nicht für Politik interessiert, behauptet Adam Lang und erzählt von seiner ersten Begegnung mit Ruth Capel, durch die er seine Einstellung änderte. Sie war das einzige Kind zweier Universitätsdozenten und schloss in Oxford mit Bestnote in Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften ab. Mit einem Fulbright-Stipenium war sie ein Jahr lang in Harvard. Sie klopfte 1977 an seine Tür, um ihn davon zu überzeugen, bei der anstehenden Kommunalwahl ihre Partei zu wählen. Er hatte bis dahin noch gar nichts von der Wahl gewusst, doch weil Ruth ihm gefiel, ging er zur nächsten Versammlung der Partei und wurde Mitglied. Ein Jahr später zogen sie zusammen, und als Ruth schwanger war, heirateten sie im Juni 1979 im Londoner Stadtteil Marylebone. "Der internationale Kampf gegen den Terror ist zu wichtig, als dass er für innenpolitiische persönliche Rachefeldzüge missbraucht werden darf." (Seite 140) Aufgrund der neuesten Nachrichten ruft Maddox den Autor an. Als dieser ihm berichtet, er beschäftige sich gerade mit Langs Jugendzeit, fordert ihn der Manager unwirsch auf, das alles zu vergessen und sich auf die Anschuldigungen gegen Lang zu konzentrieren. Er will dessen Stellungnahme dazu exklusiv für die Memoiren – und den Abgabetermin zieht er um zwei Wochen vor. "Es bedeutet wahrscheinlich, dass wir uns mit ein bisschen Feinschliff an dem Manuskript begnügen und das komplette Umschreiben vergessen müssen. Und? Was soll's? Das meiste von dem Zeug liest doch sowieso keiner. Je früher wir rauskommen, desto mehr verkaufen wir." (Seite 142)
Amelia ruft an: Der Autor soll sofort vom Hotel in ein leeres Zimmer in der Villa umziehen, denn sonst läuft er Gefahr, von der Medienmeute ausgequetscht zu werden. Politiker bin ich aus Liebe geworden. Nicht aus Liebe zu einer bestimmten Partei oder Ideologie, sondern aus Liebe zu einer Frau, die eines regnerischen Sonntagnachmittags an meine Tür klopfte ... (Seite 186)
McAras Sachen sind noch im Schrank des Zimmers, das er nun bewohnt. Beim Ausräumen stößt er auf einen Umschlag. Absender: Dr. Julia Crawford-Jones, die Direktorin des Adam Lang Archive Centre in Cambridge. Beim Inhalt handelt es sich um Fotos aus Langs Studentenzeit und eine Kopie seines Parteiausweis. Der Autor stutzt, als er das Ausstellungsdatum sieht: 1975! Zwei Jahre bevor Adam Lang und Ruth Capel sich erstmals begegneten und er angeblich von ihr für die Politik gewonnen wurde. Die Geschichte stimmt also gar nicht. Auf der Rückseite eines Fotos hat McAra mit Kugelschreiber eine Telefonnummer notiert. Der Ghostwriter wählt sie – und bricht die Verbindung gleich wieder ab, als sich Richard Rycart meldet. "Die Amerikaner hören jedes Wort mit, das in der westlichen Hemisphäre gesprochen oder sonst wie übermittelt wird. Jede Silbe, die Sie am Telefon sagen, jede E-Mail, die Sie verschicken, jede Kreditkartentransaktion, die Sie vornehmen – alles wird aufgezeichnet und aufbewahrt. Das einzige Problem ist, das Ganze auszuwerten." (Seite 315)
Offenbar notierte sich McAra die Telefonnummer auf der Rückseite eines Fotos. Langs Büroleiter berichtete Rycart, er habe bei seinen Recherchen für die Autobiografie des früheren Premierministers noch Skandalöseres als die Operation "Tempest" entdeckt, aber darüber wolle er nicht am Telefon reden. Er habe das Geheimnis in seinem Manuskript versteckt ("Die Lösung von allem liegt am Anfang") und werde in ein paar Tagen einen Termin für ein persönliches Gespräch mit ihm vereinbaren. Dazu kam es dann nicht mehr, weil McAra am 12. Januar starb. Rycart vermutet, dass Adam Lang für die CIA arbeitete und weist darauf hin, dass er als Premierminister erstaunlich viele Entscheidungen getroffen habe, die für die USA vorteilhaft waren. Der Ghostwriter soll Lang in seinen Interviews dazu bringen, darüber eine Aussage zu machen.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Im Flugzeug sagt Lang zu seinem Ghostwriter: "Und dann diese ganze Scheiße mit den Bürgerrechten. Wissen Sie, was ich machen würde, wenn ich wieder an der Macht wäre? Ich würde sagen, okay, Leute, ab sofort gibt's am Flughafen zwei Schlangen. Links ist die Schlange für Flüge, bei denen wir nichts machen, keine Hintergrundüberprüfung der Passagiere, keine Personenprofile, keine biometrischen Daten, nichts, was die kostenbaren Bürgerrechte von irgendwem verletzt, und wir verwerten auch keine unter Folter erlangten Informationen – nichts. Rechts ist die Schlange für die Flüge, bei denen wir alles Menschenmögliche für die Sicherheit der Passagiere unternommen haben. Und dann können die Leute entscheiden, in welches Flugzeug sie einsteigen." (Seite 352)
Lang weiß, dass er bei Paul Emmet war und lässt sich nun ebenfalls die Fotos aus Cambridge zeigen. Er versichert, nichts mit McAras Tod zu tun zu haben. "Langs Frau Ruth Studierte Seit Sechsundsiebzig In Den USA Dort Für Die CIA Rekrutiert Von Harvard-Professor Paul Emmett" (Seite 392) Das war also das Geheimnis, das Mike McAra herausgefunden hatte: Zwar arbeitete nicht Adam Lang für die CIA, aber seine ihm geistig überlegene Frau tat es, und sie lenkte den britischen Premierminister, der eigentlich nur ein Medienstar ohne eigene politische Überzeugungen war, nach ihren Vorgaben aus den USA. Kein Wunder, dass sie mich vorgeschlagen hat, um das Buch fertigzustellen. Sie hatte jede Menge zu verbergen, und sie war zuversichtlich, dass der Verfasser von Christy Costellos nebulösen Memoiren so ziemlich der letzte Mensch auf Erden war, der das enthüllen würde. (Seite 397) Noch in derselben Nacht verlässt der Ghostwriter seine Wohnung. In wechselnden Hotels schreibt er das vorliegende Buch. Noch vorsichtiger wird er, als er aus den Nachrichten erfährt, dass Richard Rycart und sein Fahrer Frank in New York bei einem Autounfall ums Leben kamen. Das fertige Manuskript des neuen Buches wirft er verpackt in Kates Briefkasten. In einem Anschreiben bittet er sie, das Päckchen erst zu öffnen, wenn er sich binnen eines Monats nicht mehr meldet oder sie erfährt, dass ihm etwas zustieß. Soll ich zufrieden sein oder enttäuscht, dass Sie das alles jetzt lesen können? Zufrieden, was natürlich wäre, weil ich doch noch mit eigener Stimme sprechen kann. Oder enttäuscht, was naheliegend wäre, weil es wahrscheinlich bedeutet, dass ich tot bin. Aber wie hat meine Mutter immer gesagt? Man kann im Leben nicht alles haben. (Seite 398) |
Buchbesprechung:"Ghost" ist ein furioser, spannender und witziger Politthriller. Dass nicht jedes Detail plausibel ist, schmälert das Lesevergnügen kaum. Robert Harris zeigt uns hier ein pointiertes, zynisches Bild von Politik und Moral, Täuschung und Wirklichkeit. Er unterstellt, dass London und Washington im "Krieg gegen den Terror" nicht vor illegalen Mitteln zurückschreckten und kritisiert den Einfluss der USA auf befreundete Staaten, besonders auf das Vereinigte Königreich. Gleichzeitig ist "Ghost" ein Hieb gegen den Literaturbetrieb, in dem es nicht um Qualität und Wahrhaftigkeit, sondern ums Geschäft geht. Die Skrupellosigkeit, mit der Verlagsmanager Bestseller machen, spiegelt die bedenkenlose Verlogenheit von Politikern. Vor dreißig Jahren wäre auch kein britischer Ex-Premier automatisch nach Amerika entschwunden, um dort ein Vermögen zu verdienen. Vor dreißig Jahren hätte kein amerikanischer Vize-Präsident den Einsatz von Folter gerechtfertigt. Und niemand hätte Gefangene in Privatjets zu osteuropäischen Stützpunkten geflogen. Mich macht das ziemlich wütend. Nicht, weil ich ein Liberaler wäre, dem das Herz blutet, sondern weil ich es für ineffektiv halte. Der Westen verliert so an moralischer Autorität. Dieser Preis steht in keinem Verhältnis zum Erreichten. (Robert Harris in einem Interview, "Die Welt", 22. Oktober 2007) Beim Lesen des Romans "Ghost" denkt man an Tony Blair und seine Frau. Die hochintelligente Rechtsanwältin Cherie Booth ist noch immer die einzige Absolventin der London School of Economics and Political Science, die in allen Prüfungsfächern die Bestnote erzielte. 1976 lernten sie und Tony Blair sich kennen; sie heirateten am 29. März 1980. Anders als Adam und Ruth Lang bekamen sie vier Kinder. Die eine oder andere Parallele gibt es zwischen Amelia Bly und Angela Margaret Jane ("Anji") Hunter, die von 1988 bis 2001 für Tony Blair tätig war, zuletzt als Director of Government Relations. Auch wenn Handlung und Romanfiguren fiktiv sind, ist unverkennbar, dass Robert Harris mit "Ghost" George W. Bushs "Krieg gegen den Terror" und die britische Außenpolitik unter Tony Blair heftig kritisiert. Aber ich gestehe zu, dass man in Adam Lang ein satirisches Porträt Blairs sehen könnte. Es ist aber kein ausschließlich boshaftes Porträt. Lang ist auch ein tragischer Held. (Robert Harris a.a.O.)
Wie in "Imperium" lässt Robert Harris in "Ghost" einen Schreiber in der Ich-Form über einen Politiker erzählen, in "Imperium" ist es Ciceros Privatsekretär Tiro, hier handelt es sich um den namenlosen Ghostwriter eines ehemaligen britischen Premierministers. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Roman Polanski: Der Ghostwriter |