Maarten 't Hart: Ein Schwarm Regenbrachvögel (Roman) |
Maarten 't Hart: Ein Schwarm Regenbrachvögel |
Inhaltsangabe: An meinem ersten Tag in der Welt habe ich mich gut benommen, ich habe nicht geweint ..., nicht beim Doktor. Und doch hat er mich mit einer glühenden Zange bestraft. Der Schmerz in meinem Mund ist fürchterlich. Schlimmer noch ist der Verrat, den mein Vater und meine Mutter an mir begangen haben.
Als Maarten in die Schule kommt, hat er eine Dreiviertelstunde Weg zu gehen. Es stellt sich heraus, dass er äußerst schnell lernt und begabt ist. Mit den anderen Kindern, die ihn als Streber sehen, kommt er, auch seiner Schüchternheit wegen, nicht in Kontakt.
So wohnte ich ... in dem geräumigen Haus ..., besuchte fleißig und aufmerksam die Seminare, machte pünktlich meine Scheine und anschließend das Vordiplom, hatte mit fast niemandem Kontakt und las abends am liebsten philosophische und theologische Werke und Bücher über moderne Physik und Radioastronomie, die meinem Verlangen nach Mystik außerordentlich entgegenkam. Ich hatte noch immer Angst davor, wieder in das angestammte Milieu zurückzufallen -- nicht, weil ich mich dieses Milieus schämte, sondern eher aus Furcht, derselben geisttötenden und erstickenden Mentalität zu erliegen, einer Mentalität der Initiativlosigkeit, die sich zufriedengibt mit dem Erreichten und nicht nach Veränderungen strebt .... Doch ich musste entdecken, dass es an der Universität nicht viel anders war.
Nach dem Abschluss seines Diploms stirbt seine Mutter an Kehlkopfkrebs. "Jeden Tag wurde ihr die Luftröhre stärker abgeschnürt, sodass sie unendlich langsam erstickte." (Sein Vater war schon früher eines friedlichen Todes gestorben.) Innerhalb kurzer Zeit wurde ich ein Experte auf dem Gebiet der Gewebezüchtung. Durch mehrere Publikationen machte ich auf mich aufmerksam. ... Nach dem Diplom setzte ich mich an meine Doktorarbeit. Drei Jahre nach dem Diplomprüfung promovierte ich, und zwei Jahre später wurde ich außerplanmäßiger Professor und Leiter der Sektion für Gewebezüchtung. ... Zu einem eigenen Labor gehört ein Lehrstuhl. Den bekam ich. Ich bin jetzt dreißig und ordentlicher Professor. Eine Blitzkarriere. Soweit mein bisheriges Leben. Weil ich dem Züchten entrinnen wollte, habe ich mich abgerackert, um Züchter zu werden.
Gesellschaftlich ist er weiterhin isoliert. Er legt auch keinen Wert auf Einladungen; er weiß, dass sein Äußeres ihn nicht besonders liebenswert macht (er hat eine Glatze, einen schweren Körper; er geht gebückt und hat haarige, weiße Beine). Allerdings ist er bei Kollegen wegen seiner klugen Vorträge sehr geschätzt. Wenn er das Bedürfnis hat, seine Gedanken in Worte zu fassen, spricht er im Auto laut mit einem imaginären Beifahrer. Seit seiner frühesten Kindheit leidet er unter ausgeprägter Agoraphobie; er kann keine offenen Plätze überqueren, geht also außen herum. (Diese Furcht ist auch zu übertragen auf seine Unfähigkeit, mit Menschen direkten Kontakt aufzunehmen: Er läuft ihnen entweder hinterher oder umkreist sie.) Nichts ist deprimierender als der Tag vor einer weiten Fahrt. Es ist, als würde man nie wieder zurückkommen; man geht durchs Haus, durch den Garten, man denkt: hier bin ich zum letzten Mal, das alles werde ich nie wiedersehen. Ich kann wirklich nicht verstehen, dass es so viele Menschen gibt, die gerne reisen. Ob ihnen die bodenlose Melancholie der Vorabende unbekannt ist?
In der Schweizer Universitätsstadt soll er als Dozent auf einem Kongress eine Rede halten. Am Vorabend der Veranstaltung lernt er eine Zellbiologin kennen, mit der er zum Essen geht. Adrienne gibt zu erkennen, dass sie einem näheren Kontakt nicht abgeneigt wäre, aber er vertut die Chance, auf ihre Avancen einzugehen. Sie hatten mehr Angst als ich, denke ich befriedigt, denn ich fürchtete kein Unglück, als ich fiel, aber ich weiß auch, dass ich noch an diesem Tag, vielleicht heute Abend, nachträglich Angst bekommen werden, dass meine Angst nur hinausgeschoben ist, weil ich diesen Fall noch gar nicht verkraftet habe, mich noch immer im Schatten des Todes befinde. In Wachträumen durchlebt Maarten den gefährlichen und schmerzhaften Absturz nochmals. ... was aber bleibt, ist das unglaublich friedliche Gefühl, das tief in meinem Körper unter meinem Zwerchfell beginnt und sich zu einem nie gekannten Wohlbehagen ausbreitet, das nicht nur die Kopfschmerzen vertreiben kann und Träume, in denen ich abstürze, von vornherein vereitelt, sondern darüber hinaus etwas zu prophezeien scheint, das immer gültig bleiben wird. Maarten wird wohl weiterhin vergeblich nach der Frau suchen, die dem Vorbild Marthas entspricht. Er kann sowieso nicht verstehen, dass sein Freund Jakob heiraten wird.
Es ist unglaublich, was eine Frau einem Mann, der in sie verliebt ist, antun kann. Umgekehrt mag es genauso sein; ich glaube aber, dass Männer Frauen Kummer bereiten, nachdem eine Beziehung zustande gekommen ist, während Frauen Männern Kummer bereiten, bevor es soweit ist. |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2003
Maarten 't Hart (Kurzbiografie, Bibliografie) |