Ian McEwan: Unschuldige (Roman) |
Kritik: Bei dem Roman "Unschuldige" von Ian McEwan handelt es sich um eine sehr unterhaltsame Mischung aus Spionagethriller, Liebesdrama und Satire. ![]() |
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Ian McEwan: |
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Inhalt: Der 26-jährige englische Fernmelde-techniker Leonard Marnham kommt 1955 im Rahmen einer britisch-amerikanischen Geheimdienst-Operation nach Berlin. Von einem Tunnel aus werden sowjetische Telefonleitungen angezapft. Der naive, schüchterne Brite verliebt sich in eine vier Jahre ältere Deutsche, und Maria weiht ihn in die Geheimnisse der Liebe ein. Dann taucht Marias Ex-Ehemann auf ... ![]() |
Originalausgabe: The Innocent |
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Ian McEwan: Unschuldige |
Inhaltsangabe:Der 26 Jahre alte Engländer Leonard Marnham, der zu Hause noch bei seinen Eltern wohnt, kommt 1955 nach Berlin, wo er an einem Projekt der CIA und des MI6 mitarbeiten soll. Ein britischer Transportoffizier bringt ihn zu einer Mietwohnung, die ihm die Geheimdienste zur Verfügung stellen. Lieutenant Lofting riss das Gespräch gleich an sich. "Schauen Sie her, Marnham. Sie sind gerade eben erst angekommen [...] Das Problem hier sind nicht die Deutschen oder die Russen. Nicht einmal die Franzosen. Sondern die Amerikaner. Die haben ja keinen blassen Dunst. Was noch schlimmer ist, sie wollen nichts dazulernen, sie lassen sich einfach nichts sagen. So sind sie nun mal." (Seite 9) Am Abend trinkt Leonard in einer Berliner Kneipe einige Gläser Bier und beobachtet die Einheimischen. Seine Sprachkenntnisse sind noch nicht gut genug, um jedes Wort zu verstehen, aber er kann den Unterhaltungen ungefähr folgen und bekommt mit, dass an einem Nebentisch Kriegserlebnisse ausgetauscht werden. Diese Männer schwelgten in Erinnerungen, wo sie vor Entsetzen hätten schaudern sollen. Sie schrien ihre blutigen Untaten in die Schankstube. Mit meinen bloßen Händen! Jeder Einzelne schlug sich eine Bresche in den Anekdotentaumel, bis seine Kumpane ihn niedermachten. Es gab wegwerfende Bemerkungen, böse hingeknurrte Zustimmung. Die anderen Kneipengäste, übers eigene Gespräch gekrümmt, zeigten sich unbeeindruckt. Nur der Wirt blickte von Zeit zu Zeit zu ihnen hinüber, zweifellos nur, um den Bierpegel in ihren Gläsern zu prüfen. (Seite 15) Bei Leonards Chef handelt es sich um einen Amerikaner: Bob Glass. Der holt ihn mit seinem klapprigen VW-Käfer am nächsten Morgen ab und fährt mit ihm nach Alt-Glienicke. Zunächst vermutet Leonard, dass es sich bei dem Geheimdienstprojekt um eine Radaranlage handelt. Glass deutet jedoch an, dass es um etwas anderes geht.
"Wir fahren zu gar keiner Radaranlage, Leonard. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Nur haben Sie noch keine Sicherheitsstufe drei. Also fahren wir doch zu einer Radaranlage [...] Schließlich erfährt Leonard doch, dass die Briten und Amerikaner einen Tunnel in den sowjetischen Sektor gegraben haben. Gerade sind sie dabei, die Schönefelder Chaussee zu unterqueren. Auf der anderen Straßenseite verlaufen die Erdkabel, die den sowjetischen Luftwaffenstützpunkt in Schönefeld mit Moskau verbinden. Diese Kabel sollen angezapft werden. Glass betont, dass die CIA in der Lage wäre, das Projekt allein durchzuführen und man die Kollegen vom MI6 nur wegen des besonderen amerikanisch-britischen Verhältnisses zum Mitmachen eingeladen habe. "Alles Politik. Meinen Sie denn, wir könnten die Leitungen nicht selbst anzapfen? Glauben Sie etwa, wir hätte nicht selbst Verstärker? Dass wir euch mitmachen lassen, ist doch reine Politik." (Seite 32) Zunächst besteht Leonards Aufgabe darin, 150 Ampex-Magnettongeräte auszupacken und mit Steckern und Signalaktivierungselementen zu versehen. Die Kartons muss er aus Geheimhaltungsgründen sorgfältig verbrennen. Als Leonard sich über die stupide Tätigkeit beschwert und darauf hinweist, dass er an der Universität Birmingham Elektronik studiert habe, entgegnet Glass: "Sie wollen über Ihre Arbeitszeit sprechen? Und über die genaue Abgrenzung Ihrer Tätigkeit? Ist das etwa das Palaver der roten englischen Gewerkschaften, von dem wir immer hören?" (Seite 53)
Als Glass mit seinem neuen Untergebenen und einem AFN-Sprecher namens Russell ein Nachtlokal im sowjetischen Sektor mit Telefon- und Rohrpostverbindung zwischen den Tischen besucht,
"Wir sind auf Einzelinformationen aus, elektronischen Kleinkram, alles was uns irgendwie weiterhilft. Sie wissen, wie unvorsichtig die Amis sein können. Sie tratschen und lassen ihre Sachen herumliegen." (Seite 85)
Von Maria wird Leonard in die Liebe eingeführt. Der Sechsundzwanzigjährige war vorher noch nie mit einer Frau zusammen. In seiner Unerfahrenheit bildet er sich eines Abends ein, Maria einmal fester anpacken zu müssen. Er vergewaltigt sie in ihrer Wohnung – und wartet vergeblich darauf, dass ihr Widerstand in sexuelle Erregung umschlägt. Danach schickt sie ihn wütend und enttäuscht fort. "Er denkt zu viel und zu simpel. Das ist die gefährliche Sorte. In seinen Augen liebt man Amerika oder spioniert für die Russen." (Seite 148)
Spät nachts kommen sie nach Hause, ziehen sich aus und beginnen mit dem Vorspiel. Plötzlich hören sie die Atemzüge einer dritten Person – und finden Otto Eckdorf betrunken schnarchend im Kleiderschrank. Er hatte sich offenbar einen Nachschlüssel besorgt, auf sie gewartet und war dabei eingeschlafen. Maria und Leonard schlüpfen wieder in ihre Kleidungsstücke und überlegen im Wohnzimmer, was sie tun sollen. Da taucht Otto in der Schlafzimmertür auf. Sofort kommt es zwischen ihm und Maria zum Streit. Er würgt sie mit der linken Hand und holt mit der zur Faust geballten Rechten aus, um sie ins Gesicht zu schlagen. Leonard hindert ihn jedoch daran, indem er seinen Arm mit beiden Händen packt. Daraufhin stürzt Otto sich auf Leonard, tritt ihn vors Schienbein, versetzt ihm einen heftigen Schlag gegen das Schlüsselbein, haut ihn auf die Ohren und packt ihn an den Hoden. Vor Schmerz beißt Leonard ihm ein Stück aus der Wange. In dem Augenblick holt Maria mit einem eisernen Schusterleisten aus. Leonard greift mit zu. Gemeinsam zertrümmern sie Otto den Schädel. Hätte er auch nur den leisesten Impuls verspürt, so wäre er auf sie zugegangen und hätte sie auf die Wange geküsst, ihren Arm oder ihre Hand berührt. Aber die Luft zwischen ihnen war von Ekel erfüllt, und eine andere Gefühlsregung vorzuspiegeln war unmöglich. (Seite 192)
Er schleppt die schweren Koffer vom Hinterhaus zur Straße und lässt sich von einem Taxi zum Bahnhof Zoo fahren. Dort findet er zwei leere Schließfächer in Bodenhöhe. Sie sind zwei oder drei Zentimeter zu schmal. Ein Dienstmann, der bei der Gepäckaufbewahrung steht, winkt ihm, aber Leonard wagt es nicht, die Koffer dort abzugeben. Stattdessen geht er zum Taxistand und bringt die Koffer in seine Wohnung.
Blake sagte: "Die schaffen Sie doch nach Alt-Glienicke, nicht? Schon gut, mit mir können Sie ruhig reden. Ich bin mit Bill Harvey bekannt. Über Operation Gold bin ich aufgeklärt." Als Leonard an der Straße steht und auf ein Taxi wartet, kommt Glass mit seinem VW-Käfer vorbei. Er nimmt ihn mit nach Alt-Glienicke, wundert sich jedoch über die beiden schweren Koffer und fragt, was sie enthalten. Leonard behauptet, die ganze Nacht an etwas gearbeitet zu haben. Glass hält das für unverantwortlich. Hatte er Leonard nicht bereits am ersten Tag eingeschärft, dass aus Sicherheitsgründen nichts mit nach Hause genommen werden darf?! "Gottverdammt, Leonard! Wie können Sie mir das nur antun? Ich werde mich nicht sicher fühlen, solange das Zeug nicht wieder dort ist, wo es hingehört!" (Seite 206)
Am Tor in Alt-Glienicke schieben an diesem Morgen ausgerechnet zwei neue Soldaten Wache. Die nehmen die Vorschriften noch genau und wollen den Inhalt der Koffer überprüfen. Glass wundert sich über die Pakete, die überhaupt nicht so aussehen, als würden sie Elektronik-Bauteile enthalten. Leonard nimmt seinen Chef auf die Seite und teilt ihm flüsternd mit, MacNamee habe ihm Sicherheitsstufe vier verliehen und in den Koffern seien streng geheime Sachen, über die er Glass nichts verraten dürfe, denn dieser habe nur Sicherheitsstufe drei. Der CIA-Offizier befiehlt daraufhin den Wachen, die Koffer wieder zu schließen und ruft MacNamee an. Als der MI6-Agent hört, dass Leonard zwei mit Paketen gefüllte Koffer dabei hat, nimmt er an, der Brite habe endlich etwas Geheimes von den Amerikanern besorgt und wird neugierig, um was es sich handelt. Auf seine Anweisung hin bringt der Offizier vom Dienst Drahtsiegel an den Koffern an und lässt sie von zwei Soldaten mit hölzernen Karren in den Tunnel bringen.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Eigentlich sollte Maria nach Ablauf der Kündigungsfrist nachkommen, aber Leonard beantwortet ihre Briefe nicht und hört dann nichts mehr von ihr. |
Buchbesprechung:
Von Mitte 1955 bis April 1956 gab es tatsächlich einen von der CIA und dem MI6 gegrabenen Tunnel in Berlin. Die Operation "Gold" stand unter der Leitung des damaligen CIA-Chefs in Berlin, William Harvey. Der Doppelagent George Blake hatte das Projekt möglicherweise bereits 1953 in der Planungsphase verraten. Alle anderen Figuren sind frei erfunden. Und der Himmel steht still - Originaltitel: The Innocent - Regie: John Schlesinger - Drehbuch: Ian McEwan, nach seinem Roman "Unschuldige" - Kamera: Dietrich Lohmann - Schnitt: Richard Marden - Musik: Gerald Gouriet, Anthony Hopkins - Darsteller: Anthony Hopkins, Isabella Rossellini, Campbell Scott, Hart Bochner, Ronald Nitschke, James Grant, Jeremy Sinden, Christiane Flegel, Klaus-Jürgen Steinmann u. a. - 1993; 120 Minuten |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
CIA |