Joyce Carol Oates: Zombie (Roman) |
Joyce Carol Oates: Zombie |
Inhaltsangabe:
Quentin P. wurde am 11. Februar 1963 in Mt. Vernon, Michigan, geboren. Bald darauf zogen seine Eltern mit ihm und seiner fünf Jahre älteren Schwester Junie nach Dale Springs, wo er dann auch zur Schule ging und seinen High-School-Abschluss machte. Richter L. ist fair & nicht nachtragend & lässt sich von niemandem beeinflussen, hieß es. Dad kennt ihn & Richter L. kennt Dad. Ich habe nicht gefragt, aber Mt. Vernon ist eine Stadt, in der sich alle wichtigen Leute kennen, vielleicht sind sie im gleichen Klub. (Seite 26) Als Bewährungsauflage muss Quentin jeden zweiten Donnerstag um 10 Uhr zu seinem Bewährungshelfer T., jeden Montag um 16 Uhr zu seinem Psychotherapeuten Dr. E. im University Medical Center und jeden Dienstag um 19 Uhr zur Gruppentherapie bei Dr. B. Einmal hat er [Perche, ein Teilnehmer an der Gruppentherapie] mich auf der Straße gesehen & Quentin gerufen, als ob wir die dicksten Kumpel wären. Ich steh da & gucke, ohne Blickkontakt, Augen auf Brusthöhe & er guckt auch & kommt ein bisschen näher, die Hand zum Schütteln ausgestreckt. Ich bleibe, wo ich bin, ohne mich zu rühren & ohne zu atmen & schließlich rückt er von mir ab & sagt: Pardon, ich dachte, Sie sind ein Bekannter. (Seite 52) Weil Quentins Vater es für wichtig hält, dass sein Sohn eine Aufgabe hat, vertraut er ihm den Posten des Hausmeisters in dem 1892 gebauten Haus seiner Großeltern an, in dem Studenten aus dem Ausland als Mieter aufgenommen werden, seit Quentins Großmutter nach dem Tod ihres Mannes vor zehn Jahren nach Dale Springs zog, um näher bei ihren Angehörigen zu sein.
Als Zeichen unseres Vertrauens, Quentin, sagte Dad.
Weder die Familienangehörigen noch die Therapeuten oder der Bewährungshelfer ahnen, dass der höfliche junge Mann seit Jahren davon träumt, sich einen Zombie zu schaffen, ein Wesen, das ihm jederzeit zu Willen ist. In einer öffentlichen Bibliothek trennte Quentin aus einem 1942 von Dr. Walter Freeman und Dr. James Watts veröffentlichten neurologischen Fachbuch die Seite über die transorbitale Lobotomie heraus. BUNNYGLOVES, von dem ich mir so viel erhofft hatte, weil er der Erste war, krümmte & wand sich wie ein Verrückter, als ich den Eispicker in dem auf der Zeichnung angegebenen Winkel durch die "Knochenwölbung" über dem Augapfel stieß (oder was es war, jedenfalls hörte man Knochen splittern) & brüllte durch den Schwamm durch, den ich ihm in den Mund gestopft & festgebunden hatte. Er sprengte doch tatsächlich den Packdraht, mit dem ich ihm die Knöchel gefesselt hatte, aber er kam nicht wieder zu sich, zwölf Minuten später war er tot [...] Mein erster ZOMBIE – total in den Sand gesetzt. (Seite 64f)
Zwölf Tage nach dem missglückten Eingriff kam unterwartet Quentins Vater vorbei – und wunderte sich sowohl über den seltsamen Gestank in Quentins Wohnung als auch über den neuen Metallspind. Darin bewahre er Sportsachen auf, behauptete Quentin, und der Gestank sei vermutlich auf eine tote Ratte zurückzuführen. Im Bett lagen der Eispicker, ein Jagdmesser und eine Pistole. Quentin war froh, dass sein Vater nicht ins Bad ging, denn er hatte die Wanne noch nicht gescheuert, der Duschvorhang war voller Blut und am Boden lag BUNNYGLOVES blutgetränkte Unterwäsche. BIG GUY war am vielversprechendsten, denn inzwischen konnte ich es schon ziemlich gut mit dem Eispicker, Übung macht den Meister. Ich benutzte einen Hammer, wie Dr. Freeman geschrieben hatte, während ich vorher nur mit der flachen linken Hand auf den Eispicker gehauen hatte, um ihn zu den Stirnlappen durchzustoßen. Außerdem war BIG GUY geradezu abartig gesund [...] Aber BIG GUY war genauso enttäuschend wie die anderen [...] BIG GUY hat vielleicht noch fünfzehn Stunden gelebt, er ist gestorben, als ich ihn von hinten gefickt habe (nicht in der Wanne, in meinem Bett), um ihn als ZOMBIE an Disziplin zu gewöhnen. Dass er tot war, hab ich erst geschnallt, als ich in der Nacht aufgewacht bin, weil ich mal musste, da hab ich gemerkt, wie kalt er war, die Arme & die Beine, die ich um meinen Körper & der Kopf, den ich an meine Schulter gelegt hatte, zum Schmusen. Die Totenstarre hatte schon eingesetzt & ich hab voll die Panik gekriegt, weil ich dachte, er lässt mich nicht mehr los. (Seite 65ff)
Aus Vorsicht versuchte Quentin sich nur an Jungen, die nicht aus der Gegend stammten, sondern auf der Durchreise waren. Und die Leichen brachte er möglichst weit weg. Ich befestige seinen Kopf in der Halterung & setze den Eispicker (auf der Kochplatte sterilisiert) an das rechte Auge, wie auf Dr. Freemans Zeichnung, aber als ich ihn durch die "Knochenwölbung" einführe, flippt NO-NAME aus & zappelt & brüllt durch den Schwamm durch. Es gibt einen Schwall von Blut & ich komme, noch mal & noch mal & noch mal, es ist wie ein Krampf, ich kann nicht aufhören, nicht atmen, ich stöhne & schnappe nach Luft & als es vorbei ist & ich mich wieder unter Kontrolle habe, seh ich, was ich angerichtet habe, der Scheißpicker ist bis zum Griff im Auge von NO-NAME verschwunden & steckt im Gehirn [...] (Seite 95f) Schon als Kind verstand es Quentin, im richtigen Augenblick zu weinen. Er war sieben, als die Eltern des von ihm misshandelten Mitschülers Bruce zu seinen kamen, um sich zu beschweren. Da schob Quentin die Schuld auf Bruce und überzeugte zumindest die eigenen Eltern durch sein Schluchzen. – Unter Tränen behauptet Quentin in einer Gruppensitzung, der Zwölfjährige, den er angeblich vergewaltigt hatte, habe auf der Straße Geld von ihm verlangt, und da sei ihm eine Sicherung durchgebrannt. Daraufhin meint Dr. B.: Endlich machen Sie Fortschritte, Quentin, ein echter Durchbruch. Sie haben sich auf Ihre Emotionen eingelassen! (Seite 57) Etwa zur gleichen Zeit erzählt Quentin seinem Psychotherapeuten von einem Traum. Das ist für Dr. E. ein gutes Zeichen. Er weiß nicht, dass Quentin sich den Traum nur ausgedacht hat. Der Bewährungshelfer T. inspiziert Quentins Wohnung und zeigt sich sehr zufrieden.
Junie sagt, dass ich es Mom & Dad schuldig bin, ein anständiges Leben zu führen & dass ich im Grunde meines Herzens doch ein guter, anständiger Mensch bin. (Seite 157)
Während Quentin den Rasen seiner Großmutter mäht, fällt ihm im Nachbargarten ein Junge auf, der ihn an seinen bei einem Badeunfall ums Leben gekommenen früheren Mitschüler und besten Freund Barry erinnert. Quentin gibt ihm den Namen SQUIRREL.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Quentins Großmutter sagt aus, ihr Enkel sei der liebste und hilfsbereiteste junge Mensch von der Welt. Zu der Zeit, als man Jamie zum letzten Mal sah und kurz darauf sein Fahrrad entdeckte, habe Quentin ihren Rasen gemäht. Quentin dankt seiner Großmutter diese entlastende Aussage nicht: Er hat keine Lust mehr, sie zu besuchen, ihr den Rasen zu mähen oder den Chauffeur für sie zu spielen. |
Buchbesprechung:
Der sarkastische Thriller "Zombie" handelt von einem gefühl- und gewissenlosen Serienmörder, einem Psychopathen, der seine homosexuellen Fantasien ausleben möchte und deshalb hofft, sich durch eine Lobotomie einen Sklaven schaffen zu können, der ihm jederzeit zu Willen ist: einen Zombie. Weder seine gutbürgerlichen Eltern noch seine Psychotherapeuten ahnen etwas von dieser Obsession, denn Quentin benimmt sich ihnen gegenüber stets bescheiden, höflich und zuvorkommend. Zwar gilt er als Versager und Außenseiter, aber niemand würde ihm eine Gräueltat zutrauen, und dass er sich an einem Minderjährigen verging, wird als einmalige Entgleisung abgetan, zumal es sich bei dem Opfer um den zwölfjährigen Sohn einer unverheirateten Afroamerikanerin handelte.
Der Text wirkt deshalb so intensiv, weil die Autorin mit eiserner Konsequenz bis hinein in kleinste Sprachdetails bei der Innenschau des Killergehirns bleibt.
Einige kritisierten Joyce Carol Oates deshalb als distanzlos und hielten ihr vor, eine Bestie vermenschlicht zu haben. Ebenso verstörend ist es, dass der Serienkiller im Verlauf der Handlung weder entlarvt wird, noch ums Leben kommt, sondern auf den letzten Seiten des Romans "Zombie" von seinem nächsten Mord träumt. Joyce Carol Oates demonstriert damit jedoch auch, welche Abgründe sich hinter der bürgerlichen Fassade auftun: Gewaltverbrecher müssen nicht wie Monster aussehen, sondern in der Regel sind sie nicht von gewöhnlichen Bürgern zu unterscheiden. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Lobotomie |