Joyce Carol Oates: Marya. Ein Leben (Roman) |
Joyce Carol Oates: Marya. Ein Leben |
Inhaltsangabe:Maryas Vater Joseph ("Joe") Knauer hatte in der Mühle von Shaheen Falls, New York, gearbeitet, bis diese geschlossen worden war. Dann wechselte er zur Shaheen Mining Company, aber nach einiger Zeit gab es dort Ärger, und er wurde entlassen. Vor acht Jahren heiratete er die damals siebzehnjährige Vera Sanjek, die wenige Monate später ihr erstes Kind gebar: Marya. Inzwischen hat das in Innisfail wohnende Paar auch noch einen dreijährigen Sohn, Davy, und den Säugling Joey. "Du! Du und du und du! Ihr seid mir alle scheißegal, ich wünschte, ihr wärt alle tot", schrie Maryas Mutter sie alle einmal an, aber gleich danach sagte sie, es tue ihr leid. (Seite 8) Joe und Vera sind beide alkoholkrank. Manchmal, wenn Maryas Vater ein paar Tage weg war, blieb die Mutter den Vormittag über im Bett, sogar bis in den Nachmittag hinein, und fand es nicht der Mühe wert, sich anzuziehen. (Seite 14) Eines Tages lässt Vera sich mit Marya, Davy und dem Baby von Jerry Kurelik, einem Bekannten, der einen Truck besitzt, nach Shaheen Falls fahren. Sie muss zur Polizei und ins Leichenschauhaus, denn ihr Mann kam bei einer Schlägerei ums Leben. "Die haben ihn wirklich in die Mache genommen, was?", sagte Maryas Mutter staunend. "Meine Fresse, der ist ja nicht wiederzuerkennen." (Seite 19) Weil das Geschrei des Säuglings Vera auf die Nerven geht und die wechselnden Männer stört, die sie besuchen, überlässt die fünfundzwanzigjährige Mutter Joey einer Freundin in Shaheen Falls. Bald darauf verschwindet sie. Marya war zwölf Tage nacheinander nicht in der Schule gewesen, als ein Mann vom Bezirksschulamt zu ihnen herauskam: Zu diesem Zeitpunkt war Vera seit drei oder vier Tagen verschwunden. Marya war sich nicht sicher, wie viele Tage es waren, Davy wusste es natürlich erst recht nicht, sie hatten sich die Augen ausgeweint, sie hatten sämtliche Lebensmittel im Kühlschrank aufgegessen, bis auf das, was verdorben war. (Seite 45) Marya und ihre jüngeren Geschwister werden von Everard Knauer, dem älteren Bruder des Verstorbenen, und ihrer Tante Wilma widerwillig aufgenommen. Die beiden haben selbst einen zwölfjährigen Sohn und eine elfjährige Tochter: Lee und Alice. Lee zischt seiner Cousine eines Morgens zu, "ihre Mutter hätte sie und ihre Brüder 'lieber' ertränken sollen, anstatt sie bei Leuten zu lassen, die sie nicht ausstehen konnten" (Seite 22). Onkel Everard ist Automechaniker und betreibt in Innisfail eine eigene Werkstatt. An der Canal Road, die von der Schnellstraße nach Innisfail abzweigte, lebten drei Familien – die Pitmans, die Michalaks und die Knauers. Sie wohnten nicht nah genug beieinander, um Nachbarn zu sein, und hegten eher Misstrauen gegeneinander. Die Pitmans wohnten in einem fest auf Zementböcken montierten Wohnwagen, der, wie Wilma verächtlich bemerkte, wie eine eingedellte und zerschrammte Sardinenbüchse aussah. Die Michalaks waren die Ärmsten – zu neunt zwängten sie sich in eine Baracke aus Teerpappe [...] Die Knauers besaßen ein einstöckiges Holzhaus, das Everard mit Hilfe seines jüngeren Bruders Joe gebaut hatte. (Seite 31)
Bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr zwingt Lee seine Cousine immer wieder, mit ihm in ein Autowrack auf dem Schrottplatz seines Vaters zu klettern. Dort drückt er sie so fest nieder, dass sie befürchtet, er werde ihr noch das Genick brechen, öffnet seine Hose, reibt sich zwischen ihren Schenkeln und stößt mit seinem Penis gegen ihren Baumwollslip, bis es ihm kommt. Marya fing an zu weinen. "Ich liebe dich, du weißt doch, dass ich dich liebe", flüsterte sie schuldbewusst, aber Emmett würdigte sie keiner Antwort, hörte sie vielleicht nicht einmal. Er hatte den Buick auf hundertzehn, hundertfünfzehn, hundertzwanzig Stundenkilometer beschleunigt und nahm nur das Gas weg, wenn Nebelwände über die Straße zogen. "Emmett, bitte, es tut mir leid, ich kann nichts dafür", sagte Marya fast unhörbar, "ich werde immer so nervös, du kennst mich doch … aber du weißt auch, dass ich dich liebe", während ein Teil von ihr seelenruhig dachte: So, das wäre erledigt. (Seite 128)
Damit ist die Entscheidung gefallen: Marya trennt sich von Emmett. Das wahre Wesen eines Schriftstellers, dachte sie, drückte sich in seinem Werk aus, nicht in seinem Leben; was überdauerte, das eigentlich Wirkliche war die Fantasielandschaft. (Seite 156)
Sie freundet sich mit der Kommilitonin Imogene Skillman aus Laurel Park, Long Island, an, die im Hauptfach Schauspielkunst studiert. Obwohl Imogen verlobt ist, geht sie mit wechselnden Männern aus und schläft vermutlich auch mit ihnen. Marya missbilligt das, und die Freundschaft zerbricht. Weil Imogene daraufhin Gerüchte über Marya streut, kommt es zu einem heftigen Streit, und Marya stiehlt Imogene ein Paar Ohrringe. Um sie demonstrativ tragen zu können, lässt sie sich von einem Juwelier die Ohren durchstechen. Imogene beschimpft sie als "hinterwäldlerisches Luder", rennt auf sie zu und will ihr die Ohrringe abreißen, aber Marya ist schneller. Sie behält den Schmuck. |
Buchbesprechung:
Marya Knauer kommt aus ebenso ärmlichen wie zerrütteten Verhältnissen, aber mit Ehrgeiz und Begabung gelingt es ihr, Literaturprofessorin und erfolgreiche Schriftstellerin zu werden. In ihrem Kampf um Anerkennung orientiert sie sich an Männern. "Marya. Ein Leben" ist ein anrührender Bildungsroman über ein Mädchen, das zur Frau reift und die ganze Zeit über nach der eigenen Identität sucht. Konkret und nüchtern schildert Joyce Carol Oates die inneren Konflikte der Protagonistin. In elf Kapiteln greift sie jeweils einen Lebensabschnitt Maryas heraus, vom Tod des Vaters bis zur Suche nach der Mutter achtundzwanzig Jahre später. Marya. A Life will very likely remain the most "personal" of my novels (along with a novel-in-progress called The Green Island ) though it is not, in the strictest sense, autobiographical. It contains some autobiographical material, particularly in its opening sections, and it is set, for the most part, in places identical with or closely resembling places I have lived—Innisfail and its surrounding countryside are akin to Lockport, New York, and its surrounding countryside, where I grew up; Port Oriskany shares some characteristics with Syracuse, New York, where I went to college—but I am not Marya Knauer (who stopped writing fiction because it disturbed her too deeply) and Marya is surely not I (who have been spared Marya's grimmer experiences with men) [...] Marya was an extremely difficult novel to write, perhaps because it is both "personal" and "fictional." Many of Marya's thoughts and impressions parallel my own at her approximate age but the circumstances that provoke them have been altered, as have most of the characters [...] |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Joyce Carol Oates (kurze Biografie / Bibliografie) |