Ferdinand von Schirach: Schuld (Stories) |
Kritik: Unter dem Titel "Schuld" erzählt Ferdinand von Schirach in einfachen, präzisen Sätzen, lakonisch und schnörkellos 15 Kurzgeschichten, die auf seinen Erlebnissen als Strafverteidiger basieren. ![]() |
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Ferdinand von Schirach: |
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Inhalt: Volksfest – DNA – Die Illuminaten – Kinder – Anatomie – Der Andere – Der Koffer – Verlangen – Schnee – Der Schlüssel – Einsam – Justiz – Ausgleich – Familie – Geheimnisse ![]() |
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Ferdinand von Schirach: Schuld |
InhaltsangabeVolksfestBei der 600-Jahr-Feier einer Kleinstadt spielt eine Blaskapelle. Die Männer haben sich Perücken aufgesetzt, Bärte angeklebt und sich von ihren Ehefrauen schminken lassen. Es waren ordentliche Männer mit ordentlichen Berufen: Versicherungsvertreter, Autohausbesitzer, Handwerker. (Seite 7) In den Pausen trinken sie hinter dem Bühnenvorhang Bier. Eine Siebzehnjährige, die in einem Jahr ihr Abitur machen und dann entweder in Berlin oder in München Medizin studieren will, bringt ihnen die Getränke. Das Mädchen war siebzehn und musste sich noch zu Hause abmelden, wenn sie bei ihrem Freund übernachten wollte. (Seite 9)
Als sie ausrutscht und hinfällt, ergießt sich Bier über ihr weißes T-Shirt, und weil sie keinen Büstenhalter trägt, zeichnen sich ihre Brüste ab. Die Männer verstummen. Als die Männer fertig gewesen waren, hatten sie ein Brett angehoben und sie unter die Bühne geworfen. (Seite 11)
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Die Polizei stellt zwar die Kleidung des Mädchens sicher, packt sie in einen Plastiksack und legt diesen in den Streifenwagen, aber als das Auto stundenlang in der Sonne steht, bilden sich Pilze und Bakterien, die die Asservate für eine DNA-Analyse unbrauchbar machen. Und die Ärzte im Krankenhaus wischen nicht nur die Haut der Vergewaltigten ab, sondern beseitigen auch die Spuren in ihren Körperöffnungen. DNA
Nina ist siebzehn. Ebenso wie ihr neuer, sieben Jahre älterer Freund Thomas ist sie obdachlos und treibt sich bettelnd am Bahnhof Zoo in Berlin herum. Meistens sind sie betrunken. Als ein gut gekleideter älterer Herr Nina anspricht und in seine warme Wohnung einlädt, weil Weihnachten sei und er nicht allein sein wolle, besteht sie darauf, dass Thomas mitkommt.
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Neunzehn Jahre lang geht alles gut. Dann wird es technisch möglich, die im Aschenbecher des Getöteten sichergestellten Zigaretten molekulargenetisch zu untersuchen und den Fall neu aufzurollen. Die Polizei fordert Nina und Thomas wie alle anderen, die damals mit der Tat in Beziehung gebracht wurden, zu einer Speichelprobe auf. Die IlluminatenDie Einschulung ist für Henry ein Schock. Er saß auf seinem Stuhl, er starrte auf seine Türe und die Tüten der andern, und als ihn die Lehrerin nach seinem Namen fragte, wusste er nicht, was er sagen sollte, und er begann zu weinen [...] Der Junge neben ihm stand auf und suchte sich einen neuen Nachbarn. (Seite 29)
Obwohl sein Vater nur einen Mittelschulabschluss hat, brachte er es zum stellvertretenden Direktor der Elektrizitätswerke und sitzt im Stadtrat. Bei Henrys Mutter handelt es sich um die Tochter des größten Bauern in der Gegend.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Er muss sich nackt ausziehen und sich selbst eine vorbereitete Schlinge um den Hals legen. Sie fesseln ihm die Hände und ziehen das Seil an einem Deckenhaken hoch, bis er kaum noch mit den Zehen den Boden berührt. Einer liest aus aus dem Rituale Romanum von 1614 vor. Dann wird Henry ausgepeitscht. Dabei verliert er vollends den Halt, und die Schlinge zieht sich zu. Ein Mensch, der langsam erhängt wird, erstickt. In der ersten Phase schneidet das Seil in die Haut, Halsvenen und –arterien werden verschlossen, das Gesicht verfärbt sich blau-violett. Das Gehirn wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, nach etwa zehn Sekunden schwindet das Bewusstsein, und nur wenn die Luftzufuhr nicht vollständig unterbrochen wird, dauert es länger. In der nächsten Phase, die etwa eine Minute dauert, zieht sich die Atemmuskulatur zusammen, die Zunge tritt aus dem Mund, Zungenbein und Kehlkopf werden verletzt. Dann kommen die Krämpfe, heftig und unkontrollierbar, Beine und Arme zucken acht- bis zehnmal, oft zerreißen die Halsmuskeln. Plötzlich scheint der Erhängte ruhig, er atmet nicht mehr, und nach ein, zwei Minuten beginnt die letzte Phase, der Tod ist jetzt kaum mehr abzuwenden. Der Mund öffnet sich, der Körper schnappt nach Luft, nur einzelne hechelnde Züge, nicht mehr als zehn in der Minute. Aus Mund, Nase und Ohren kann Blut austreten, das Gesicht ist jetzt aufgedunsen, die rechte Herzkammer erweitert. Nach etwa zehn Minuten tritt der Tod ein. Erektionen während des Hängens kommen nicht selten vor: Im fünfzehnten Jahrhundert glaubte man, die Alraune, ein Nachtschattengewächs, entstünde aus dem Sperma der Gehenkten. (Seite 46f)
Henrys Erektion wird von den drei "Illuminaten" missdeutet. Sie glauben, die Schmerzen würden ihn erregen und schlagen noch fester zu. Kinder
Miriam ist Lehrerin. Holbrecht arbeitet als Vertreter für Büromöbel. Ein Jahr nach der Hochzeit kaufen sie sich eine Doppelhaushälfte am Rand von Berlin. Holbrecht wünscht sich Kinder, aber seine neun Jahre jüngere Frau möchte damit noch warten.
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Einige Jahre nach der Verbüßung seiner Strafe sieht er das Mädchen, das er missbraucht haben soll, auf der Straße. Sie ist jetzt sechzehn oder siebzehn. Er beschattet sie und setzt sich im Kino hinter sie. Anatomie
Als der Einundzwanzigjährige sie in einer Diskothek anspricht, lacht sie ihn aus. Er sei nicht ihr Typ, meint sie. Es durfte nicht schnell gehen. Wenn er zu aufgeregt war, würde es schieflaufen. So wie bei seiner allerersten Katze, er hatte schon nach der Amputation der Ohren nicht an sich halten können und viel zu früh wahllos auf sie eingestochen. (Seite 66)
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Im Auto wartet er, bis sie aus dem Haus kommt. Das würde der schwierigste Teil werden. Er musste sie zwingen mitzukommen, sie durfte nicht schreien. Er hatte alle Varianten aufgeschrieben. Die Aufzeichnungen, die Bilder der jungen Frau, der getöteten Tiere und Hunderte von Splatterfilmen fand die Polizei später im Keller seiner Eltern. Die Beamten hatten das Haus durchsucht, als sie sein Tagebuch und das Sezierbesteck in seinem Auto fanden. (Seite 67)
Er steigt aus – und wird von einem Auto erfasst. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus stirbt er. Der Andere
Der achtundvierzigjährige Unternehmer Paulsberg besitzt in Deutschland und Österreich siebzehn große Geschäfte für Herrenbekleidung. Seine zwölf Jahre jüngere Ehefrau arbeitet als Anwältin in einer Kanzlei.
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Paulsberg hat den Anderen schon vergessen, als er ihn auf einer Konferenz in Köln zufällig wiedertrifft. Er nimmt seinen früheren Mitschüler mit in sein Hotelzimmer und schnupft von dem angebotenen Kokain. Danach folgt er ihm ins Bad und schlägt dort mit einem schweren Aschenbecher auf seinen Kopf ein. Der Koffer
Bei einer Verkehrskontrolle fällt einer Polizeimeisterin der höfliche Fahrer eines Leihwagens auf. Die Papiere sind in Ordnung, aber sie wundert sich darüber, dass in dem Fahrzeug überhaupt nichts herumliegt. Weil der Mann kein Deutsch kann, ruft sie einen Kollegen, der etwas Polnisch spricht. Sie fordern den Fahrer auf, den Kofferraum zu öffnen. Auch der ist bis auf einen roten Aktenkoffer leer. In dem Koffer befinden sich achtzehn Farbfotokopien von elf Männern und sieben Frauen, die offenbar zum Zeitpunkt der Aufnahmen ermordet wurden. Verlangen
Seit zwei Jahren fühlt die Frau sich leer. Sie funktioniert zwar wie gewohnt als Ehefrau und Mutter, kommt sich aber nur noch wie eine Hülle vor; nichts berührt sie, und die Welt ist ihr fremd. Die Dinge beruhigten sich, wie sich alles in ihrem Leben beruhigt hatte. (Seite 104) Schnee
Als er vor zweiundzwanzig Jahren ein Unterhemd unter dem Ehebett fand, das ihm nicht gehörte, trennte er sich von seiner Frau, überließ ihr alles, was er besaß und kündigte seine Arbeitsstelle. Er begann zu trinken, verwahrloste und wurde mehrmals zu Haftstrafen verurteilt.
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Der Beschuldigte schweigt weiter, denn er möchte, dass die Polin nicht allein ist, wenn sie ihr Kind bekommt. Der Schlüssel
In einem Café in Amsterdam treffen Frank und Atris sich mit einem etwa fünfzig Jahre alten Russen, dem zwei Finger der rechten Hand fehlen. Er sei Berufssoldat in der Roten Armee gewesen und habe in Tschetschenien gekämpft, erzählt er und schwadroniert von seinen Erlebnissen, bis Frank ungeduldig wird. Er könne alles besorgen, behauptet der Russe, selbst Viren, aber die beiden Deutschen sind nur an Designerdrogen interessiert. Eine Probe davon testeten sie bereits mit drei Mädchen, die sie in einer Diskothek kennengelernt hatten. Plötzlich glänzte etwas zwischen den Fleischstücken. Atris brauchte eine hundertstel Sekunde, um zu begreifen. (Seite 130)
Atris wirft sich auf Buddy, kommt jedoch zu spät; die Dogge verschlingt den Schließfachschlüssel samt den Fleischstücken und beißt ihm das linke Ohrläppchen ab. Atris fährt mit dem Hund zum Tierarzt, und weil er herumbrüllt,
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In seiner Verzweiflung wendet Atris sich an seinen Cousin Hassan, der sein Geld mit der Entsorgung alter Autoreifen verdient, die er in einen Wald in Brandenburg wirft. Er schlägt Buddy mit einem Wagenheber tot, damit Atris das Tier aufschneiden kann. Sie werden einen neuen Hund besorgen. Und weil der Maserati voller Hundekot ist, beauftragt Hassan seine Komplizen, einen anderen Maserati zu stehlen. Der ist zwar rot statt blau, aber das wird Atris Frank schon irgendwie erklären können.
"Wo ist das Geld?", sagte sie.
Sie will mit Atris zum Bahnhof fahren. In der Tiefgarage hat Muhar El Keitar gerade den gestohlenen Maserati entdeckt. Er fungiert als eine Art arabischer Pate im Stadtviertel und wurde vom Besitzer beauftragt, den Wagen wiederzufinden. Er ging die Treppen nach oben. Dann kam er sie rückwärts wieder runter. Er hatte eine Pistole im Mund. (Seite 147f) Die Frau meint: "Wir werden unsere Probleme jetzt gemeinsam lösen." (Seite 148) Kurz darauf sitzen Muhar und einer seiner Kumpane mit Kabelbindern gefesselt auf dem Boden. Der andere Mann kauert in einer Blutlache. Er machte den Fehler, einen Totschläger aus der Tasche zu ziehen. Ohne die Pistole aus Muhars Mund zu nehmen, holte die Frau mit der linken Hand ein Rasiermesser heraus, klappte es auf und zerschnitt dem Angreifer den rechten Schenkel. Er ging zu Boden.
"Ich habe deine große Beinschlagader durchtrennt", hatte sie gesagt. "Du wirst jetzt ausbluten, es dauert sechs Minuten. Dein Herz wird das Blut immer weiter aus deinem Körper pumpen. Zuerst wird dein Gehirn nicht mehr versorgt, du wirst bewusstlos." Sie fährt mit Atris zum Hauptbahnhof. Er holt zwei Taschen aus einem Schließfach. Sie erkundigt sich nach dem Inhalt: 220 000 Euro und 1,1 Kilogramm Kokain, lautet die Antwort. Sie nimmt beides und lässt ihn stehen. Er alarmiert anonym die Polizei: "Eine Frau mit schwarzem Kapuzenshirt, ca. 1,70 groß, schlank, geht im Hauptbahnhof in Richtung Ausgang [...] Sie ist bewaffnet, sie hat eine Tasche mit Falschgeld und ein Kilogramm Kokain bei sich. Sie hat einen blauen, nein, einen roten Maserati gestohlen. Er steht auf Parkdeck zwei." (Seite 150)
Dann nimmt er einen hinter den Münzschacht geklebten zweiten Schlüssel heraus, öffnet das Schließfach daneben. Mit einer Tasche, in der sich echte Banknoten im Wert von 250 000 Euro befinden, geht er durch die Haupthalle. Er sieht die Frau am Boden liegen. Acht Polizisten stehen um sie herum. Das Falschgeld hatten er und Frank sich andrehen lassen. Bei dem weißen Pulver handelt es sich um Zucker. Einsam
Larissa ist vierzehn. Ihr Vater hat seit zwanzig Jahren keine Arbeit. Sie leben von Sozialhilfe. Larissas Bruder zog mit sechzehn weg. Sie griff zwischen ihre Beine und spürte das Fremde. Es wuchs aus ihr. Sie tastete verschmierte Haare, einen winzigen Kopf [...] Ein paar Minuten später fiel das Baby in die Toilettenschüssel, sie hörte das Wasser klatschen. (Seite 156)
Mit einer Nagelschere durchtrennt sie die Nabelschnur. Dann wickelt sie das Kind in ein Handtuch, packt es in eine Tüte und legt diese im Fahrradkeller ab. Im Flur bricht sie zusammen.
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Sie habe nicht gewusst, dass sie schwanger war, gibt Larissa zu Protokoll. Justiz
Ein Rechtsanwalt wird zu einem Häftling namens Harkan Turan in Berlin-Moabit gerufen. Der Mann soll seinen Pitbullterrier in Neukölln ausgeführt haben, mit einem Mann namens Horst Kowski in Streit geraten sein und ihn zusammengeschlagen haben. Der Anwalt kann sich das kaum vorstellen, weil der schmächtige Einundvierzigjährige ein verkrüppeltes Bein hat und nur mit Krücken gehen kann.
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Man schickte Harkan Turan einen Strafbefehl. Der wurde rechtskräftig, weil er nicht darauf reagierte. Auch die Zahlkarte der Vollstreckungsabteilung ignorierte er. Er hätte ohnehin kein Geld gehabt. Daraufhin wurde die Geld- in eine Haftstrafe umgewandelt und Harkan Turan aufgefordert, sich zum Strafantritt zu melden. Er warf den Brief weg. Drei Wochen später wurde er verhaftet. Ausgleich
Alexandra wächst in Oldenburg auf. Ihre Eltern haben einen Bauernhof. Nach der mittleren Reife macht sie in einer Bäckerei in der Stadt eine Lehre. Als sie sich mit neunzehn ihr erstes Auto kauft, verabredet sie sich mit dem zehn Jahre älteren Verkäufer Thomas. Zwei Jahre später heiraten sie.
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Alexandras Vater bittet den Rechtsanwalt, der die Geschichte erzählt, seine Tochter zu verteidigen. Sie wird beschuldigt, ihren Ehemann mit einer Statue erschlagen zu haben. Und weil Thomas schlief, wird das Gericht sie wohl wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilen müssen. Familie
Sechzehn Tage nachdem Waller sein Abitur in Hannover bestanden hat, stirbt sein Vater, ein Eisenflechter, bei einem Arbeitsunfall. Seine Mutter hatte die Familie verlassen, als Waller noch ein Kind gewesen war. GeheimnisseFabien Kalkmann spricht immer wieder in einer Anwaltskanzlei vor. Er werde von der CIA und vom BNA verfolgt, klagt er. Kürzlich sei er bei einem Optiker gewesen. Dort habe man ihn vierundzwanzig Stunden lang festgehalten und ihm eine Kamera ins linke Auge montiert. Nun, so Kalkmann weiter, könnten die Geheimagenten alles sehen, was er anblickt.
Kalkmann wollte, dass ich den BND anzeige. Und natürlich die CIA. Und den früheren amerikanischen Präsidenten Reagan, auf den alles zurückgehe. Als ich sagte, Reagan sei tot, antwortete er: "Das glauben Sie. In Wirklichkeit lebt er bei Helmut Kohl auf dem Dachboden." (Seite 199)
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Der Anwalt ruft schließlich den psychiatrischen Notdienst an und erklärt Kalkmann vorsichtig, dass er Hilfe benötige. Der Verrückte leistet keinen Widerstand. Sie nehmen ein Taxi. Als sie einem jungen Arzt gegenüber sitzen und der Jurist gerade zu sprechen anfangen will, kommt ihm Kalkmann zuvor: "Guten Tag, ich heiße Ferdinand von Schirach, ich bin Rechtsanwalt." Er zeigte auf mich. "Ich bringe Ihnen hier Herrn Kalkmann. Ich vermute, er hat einen schweren Defekt." (Seite 200) |
Buchbesprechung:Ferdinand von Schirach (* 1964) ist seit 1994 als Rechtsanwalt in Berlin tätig. 2009 debütierte er als Schriftsteller sehr erfolgreich mit einer Sammlung von Kurzgeschichten bzw. Erzählungen unter dem Titel "Verbrechen". "Schuld" besteht ebenfalls aus "Stories" (so der Untertitel), die auf seinen beruflichen Erlebnissen basieren. Diese Fälle sind wahr, aber nicht in dem Sinne, dass alle so passiert sind. Sie sind wie diese schönen alten Drucker-Setzkästen, wo 38-mal das "A" drinnen ist. Wenn man lange Strafverteidiger war, hat man einen großen Setzkasten von Personal, Ereignissen und Szenen. (Ferdinand von Schirach in einem Interview mit Rebecca Casati, Süddeutsche Zeitung, 31. Juli 2010)
Die fünfzehn Stories in "Schuld" handeln von grundverschiedenen Menschen,deren Motive und Charaktere lebendig und anschaulich dargestellt werden. Die meisten von ihnen sind kriminell. Gleich zu Beginn ("Volksfest") blicken wir in menschliche Abgründe, die sich hinter einer biederen Fassade auftun. In "DNA" läutert sich ein Paar nach der Ermordung eines Triebtäters, wird aber von der Vergangenheit später eingeholt. Zwei Frauen machen sich durch Tötungsdelikte schuldig, werden von den Gerichten jedoch freigesprochen ("Einsam", "Ausgleich"). Ein anderes Gericht verurteilt einen Autofahrer, der zufällig einen grausamen Mord verhindert hat, paradoxerweise zu einer Bewährungsstrafe ("Anatomie"). In zwei Fällen ("Kinder" und "Justiz") geht es um Justizirrtümer, und nur in der letzten Geschichte ("Geheimnisse") geschieht weder etwas Kriminelles, noch lädt jemand Schuld auf sich. Dafür ist "Geheimnisse" die lustigste der Kurzgeschichten. Schwarzen Humor nach Art von Quentin Tarantino ("Pulp Fiction") beweist Ferdinand von Schirach vor allem in "Der Schlüssel". Mit 32 Seiten ist das die längste der Geschichten, und bei aller Brutalität überrascht die Handlung immer wieder mit urkomischen Wendungen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010 / 2014
Ferdinand von Schirach: Verbrechen |