Frank Schulz: Kolks blonde Bräute (Roman) |
Frank Schulz: Kolks blonde Bräute |
Inhaltsangabe:Bodo Morten, der fünfundvierzigjährige Erzähler, wurde vor ein paar Jahren von einem Auto überfahren, weil er es vorbeigewinkt und nichtsdestoweniger losgetorkelt war. Der Schädelbruch hatte ihn zum "amtlichen Frührenter" (Seite 271) gemacht. Wir Frührentner sind ein zähfideles Völkchen. Wir verstehen zu leben. Savoir-vivre, eh? (Seite 10)
Er hängt aber nicht nur herum, sondern er schreibt auch Bücher. Vor einiger Zeit las er in einer Kneipe in St. Pauli aus seinem zweiten Roman "Die Fontanelle".
"Pabbaaa?"
Während Kolk die Kronkorken immer wieder neu und symmetrisch ordnet, trinken sie ein Bier nach dem anderen und erinnern sich an die Zeit, als sie sich in der Hamburger Kneipe "Die Glucke" mit Heiner und Satschesatsche regelmäßig zu Skatabenden trafen. Wenn Yvonne das Bier brachte, sagte Kolk: "Dange dier. Briengß mier noch n Tuhnfischsalahd und n Blogg und n Schreiba? Und n ßgahdbladd?" (Seite 45) Während des Spiels unterhielten sie sich über die zwölf Bedrohungen der Welt, zu denen sie die ganze "Umweldkagge" mit dem "Ohzohnloch" und so zählten, den "Atohmkriech", die "Atohmkraffdwergke", "Ehdß" und den Mobb: "Huhligännß, Neonahzieß un dadd gannße Krobbzeuchß". (Seite 19) Satschesatsche interessierte sich besonders für Stereoanlagen mit einem "geijln ßaund" und schwärmte von einem neuen "Ihgkweleisa" für "hunnad'achdßich Mahg". (Seite 49f) Natürlich drehten sich die Gespräche vor allem um Frauen oder, genauer gesagt, um den Mangel an Frauen. Da wünschte schon mal einer dem anderen: "Aso hald semdliche Orgahne schdeif besonnaß die zum Ornaniern!" (Seite 160). Und wenn einer den anderen anfasste, konnte er zu hören kriegen: "Nimm deine Ohnahnierzangen wech!" (Seite 238) Einmal sahen sie Frau Bohner-Cohrs mit ihrem affektierten Begleiter Werner F. Dierbach an der Bar sitzen. "Schahfeß Weib", räumte Bodo ein. "Lehdamienie – schwahdße Schrümfe – tiefausgeschniddneß Tieschörd – Tobbfiguhr" (Seite 54f) Satschesatsche wusste: "Die ahbeided bei irngsohm Musiegfalach oda wadd, als Plromowschnmänädscha." (Seite 55)
"Die Göhrn bring mich noch inß Grabb." Kolk erinnert sich, wie er damals bei Feinkost Ruppmann einkaufte, "zwei Krahkaua und zwei Rund'schdügge. Und n halbeß Fund Budda. Und n Fierapagg Undaberch" (Seite 34). An der Kasse tippte Ruppmann alles der Reihe nach ein.
Beim Kakao hielt er inne, den behaarten Zeigefinger drauf. Kolk, die Geldbörse in der Hand, hob den Blick.
Die regelmäßigen Skatabende in der "Glucke" hörten vor dreizehn Jahren auf, weil Kolk, der damals als Postbote arbeitete, immer häufiger "seine Sprechfähigkeit nach innen gewölbt" (Seite 206), dafür noch mehr getrunken und im Suff die letzten Spiele vergeigt hatte. Erst nach einer Pause von einem Jahr verabredeten sich Bodo und Kolk wieder einmal in der "Boile".
"Un fohr dreizinn Jahn iseß passierd, un fohr zwölf Jahn haseß mir erzehld." (Seite 225) Kolk stellte damals in der Amselallee in Hamburg eine Postkarte für Fräulein Sabrina Hausmann zu, ein Schwarz-Weiß-Foto mit "mit einem steil aufgerichteten Schwanz als Motiv, wie ein knorriger Ast mit dicken Adern" (Seite 15). Einige Tage später brachte er ein Einschreiben für sie. Die Wohnungstür öffnete sich, als er sich gerade bückte, um ein paar aus seiner Posttasche gerutschte Briefe aufzuheben. Sie trug tiefschwarze Lackpumps, mit stilettförmigen Absätzen. Zwei schmale Riemchen über den Spann geschnallt. Die straffen und dann in bauchigen Kurven aufstrebenden Formen hauchdünnschwarz verhüllter Waden [...] (Seiten 8 und 179)
"Ein Einschreibän! Fonn Fehrma –" Er drehte das Kuvert. "Drannschdedd un Ko." Darauf meinte sie: "Ja, suhpa, äh ... komm doch rein." Da standen noch eine angebrochene Flasche Sekt und zwei Gläser vom Vorabend. "Willßdn Glahß, äh, Seggd? – ? Seggd, hier, ich hahb noch Seggd von geßdan nachd –" Er spürte einen "ofenwarmen bibbernden schlanken runden weichen Körper" durch seine nasse Postjacke hindurch und eh er sich versah, lag er mit Sabrina im Bett und sie schrie: "Jeddß mach mich tohdt!" (Seiten 181 - 185) "[...] sohn Tühb auß ihra Eggßfehrma ... aso daß wah die Fehrma wo sie allß Seggretehrin ge'ahbeided hadde ... und der rief dauand bei ihr an und nehrfde sie un so. Der hadde auch die Schwannßpossdkahde geschrieben, und in diesm Einschreibm schdand auch sohwaß drin von wehgbn kleine geile Mauß un so. Aba Sabrina wollde fon dehm gah niggß wissen." (Seite 188)
Als Kolk dann eines Abends aus der "Bürste" bei Sabrina anrief, meldete sich ein Mann, und sobald er nach Sabrina fragte, hielt der andere eine Gasdrucktrompete ans Telefon. Kolk fiel beinahe vom Barhocker, schleuderte im Reflex den Hörer weg und traf damit die Frau hinter der Theke am Kopf. Alle starrten ihn und die Barfrau an, die sich je ein Ohr hielten (Seite 207). So also war das mit Kolks Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr. "Paß auf Kollgki", sagte ich. "Folgndamahßn. Werna Eff Bierschwannß und Sabrina hahm sich dich allß Föhgl'objeggd außgekuggd, alleß mid na Wiedeokammara gefilmd und sich dran aufgegeijld." (Seite 210)
Von der "Boile" wechselten die beiden Freunde noch ins "Reybach". Dort entdeckte Kolk Sabrina. Sie saß mit einem Begleiter an einem Holztisch im Garten. Er winkte Bodo heran. "Dahf ich fohr'schdelln", sagte Kolk, "ßabrina Haußmann ... Bohdo Mordtn, Schduhdendt ..." Rein rhetorisch fragte er: "Dürfm wa unß zu euch seddßn." Bodo, der zwar Sabrina nur aus Kolks Erzählungen kannte, aber ihren Begleiter schon mal in der "Glucke" gesehen hatte, parodierte Kolks Vorstellung: "Dahf ich fohr'schdelln: Werna Eff Dierbach – Alfrehd Kollg ..." (218f) Das überraschte Paar blickte sie verständnislos an. Dierbach konnte sich nicht erinnern, den beiden aufdringlichen Männer schon einmal begegnet zu sein, aber dann klickte es bei Sabrina: "der Possdbohte!" Und sie bot Schampus an. Bodo goss sich sein Bierglas voll. Dann nahm Kolk ihm die Sektflasche aus der Hand und schüttete den Inhalt Dierbach übers Hemd. Der sprang auf und schrie: "ÄÄÄÄI!" Sabrina keifte: "IIIIIH!" "Biß du totahl bescheuärd oda waß!", schimpfte Dierbach. Da versetzte Kolk ihm einen Schlag ins Gesicht, "direkt in Dierbachs braune Fresse". Bevor die Polizei eintraf, machten Kolk und Bodo sich aus dem Staub. (220ff)
"Höhrma, waß ich dir schohn dehn gannßn Ahmd endlich ma sahng wolldte. Iß dier wirglich nie klah gewehsn daß daß gannße, diese gannße Schdorrie midd Sabrina und so, daß daß gah nich schdimmd? [...]
Entsetzt stellt Bodo fest, dass er zwölf Jahre lang wie ein Idiot an einer erfundenen "Schdorrie" festgehalten hatte. Aber wieso Kolk dem Dierbach eine reingehauen habe, fragt er. Weil er "sohne Tühbm" nicht ab kann, erwidert Kolk. "Und dein taubeß Ohr?" (Seite 266), fragt Bodo. Das stamme von einer Prügelei im Suff, räumt Kolk ein. |
Buchbesprechung:Bodo Morten, Alfred Kolk, Heiner und Satschesatsche zogen früher durch die Kneipen und trafen sich regelmäßig zum Skat. Nicht die scharfen Frauen, von denen die "Ehrohdohmahnen" (Seite 160) "aus biologischen Gründen" (Seite 17) ständig träumten, waren Kolks blonde Bräute, sondern die zahlreichen Pils, die er mit seinen Freunden trank. Unsere Jugend hatte lange gedauert, zu lange, und womöglich waren wir zu ewiger Jugend verdammt. Ich wollte Kolk diesen Gedanken ausführen, riss mich aber zusammen. Ich hatte inzwischen gelernt, selbst in angetrunkenem Zustand möglichst keine philosophischen Betrachtungen mehr anzustellen, jedenfalls nicht Kolk gegenüber. (Seite 162f) Beinahe von der ersten Seite an verspricht Bodo, der Ich-Erzähler, uns über "diese Sache mit Kolk und dieser Sabrina" (Seite 14) aufzuklären und auch "das Geheimnis um Alfred Kolks fast taubes linkes Ohr" (Seite 19) zu lüften. Doch es dauert noch 200 Seiten, bis es so weit ist, und die ganze Wahrheit erfahren wir erst von Seite 256 an. Dazwischen lauschen wir melancholischen Kneipengesprächen auf Plattdeutsch. "Ich weiß, es ist alles ein wenig verworren. Aber das bringt die Natur dieser Geschichte eben so mit sich" (Seite 207), entschuldigt der Erzähler sich. Formvollendet schlingern, schlabbern und schleifen die Erzählstränge um den G-Punkt dieses wunderwunderwundervollen, überhaupt nicht aufgeregt genug zu preisenden Romans. So hätte Arno Schmidt geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre. (tip, Berlin)
Aus den belanglosen Kneipengespräche einiger Saufkumpane hat Frank Schulz eine urkomische und aberwitzige Satire gemacht. Das funktioniert, weil der Sprachvirtuose über "ein fledermausfeines Ohr für die Tonfälle der Alltagssprache" verfügt (Michael Kohtes in "Die Zeit", Literaturbeilage vom 4. Oktober 2001). |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Frank Schulz: Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien |