Margriet de Moor: Schlaflose Nacht früher: Auf den ersten Blick (Novelle) |
Margriet de Moor: Schlaflose Nacht |
Inhaltsangabe:
Die Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, kann nicht schlafen. Sie steht auf und geht barfuß über die Treppe hinunter in die Küche, wo sie damit anfängt, Kuchen zu backen. Der Mann in ihrem Bett, den sie am Vormittag vom Zug aus Zwolle abholte, merkt nichts davon: Er schläft weiter. Nur ihr Schäferhundmischling Anatole leistet ihr Gesellschaft. Während sie die Zutaten mischt, den Teig knetet und den Ofen heizt, hängt sie Erinnerungen nach. Ein ganz normaler Mann, der keine eineinhalb Jahre meines Lebens mit mir geteilt hat, hatte sich nach einem Schuss in einem Treibhaus in ein wahnsinnmachendes Geheimnis verwandelt.
Obwohl damals alle im Dorf erwarteten, dass sie nach dem Suizid ihres Mannes wegziehen werde, blieb sie und gab auch ihre Tätigkeit als Lehrerin an der Pater-Wijnterp-Schule nicht auf.
Nach einem Wochenende, an dem ich mich mit meiner Eifersucht, meiner bitteren Wut eingeschlossen hatte, weil es keinen Sinn mehr hatte, einen der zwei oder drei Freunde anzurufen, die geeignet gewesen wären, mir beim Betrügen meines Mannes zu helfen, wussten meine Kolleginnen am Montagmorgen nichts anderes zu sagen als: "Mädchen, zieh bei dem Wetter doch einen Regenmantel an!" Und als ich nach einer Ohnmacht im Supermarkt wieder zu mir gekommen war – es ging nicht voran an der Kasse und ich hatte es eilig, eilig, darüber nachzudenken, wie ich den Mann, der mich verlassen hatte, noch bevor ich richtig seine Ehefrau war, ausschalten, umbringen könnte, drückte man mir am Ausgang ein lumpiges, pitschnasses schwarzes Ding in die Hand, das, wie sich hinterher herausstellte, nicht mal mir gehörte. Nach Tons Tod drohte sie zu vereinsamen und zu verkümmern. Ihre Schwägerin Lucia meinte schließlich:
"Du verkriechst dich in einer Höhle und kommst nicht heraus. Nicht mal für kurze Zeit. Das ist eine Beleidigung für deine Sinnlichkeit! Für deine elementaren Bedürfnisse!"
Seither gibt sie Kontaktanzeigen auf, sucht aber nur Männer für eine Nacht. Wer hätte gedacht, dass ich noch mal in Gesellschaft eines völlig Fremden fast wortlos durch einen tief überfrorenen Wald gehen würde? Die Vorstellung haben würde, dass wir beide die gleichen Dinge sehen? Als es auf das Ende der Nacht zugeht, hört sie es immer wieder krachen. Sie weiß, es ist eine Esche hinter dem Treibhaus. Die Bäume stehen genau im Ostwind. Die ganze Nacht über haben sie seinen feindseligen Atem, weit unter dem Gefrierpunkt, erduldet. Jetzt, da es auf den Morgen zugeht, wird es den Stämmen zu viel, und es kommt zu einem Knall. Gegen sechs Uhr morgens kehrt sie ins Schlafzimmer zurück. Diesmal schreckt er sofort hoch. Einen Augenblick lang sehe ich seine pure Verstörtheit. Dann erkennt er, wo er ist und auch, bei wem. Das Zimmer, das Bett, der braune Mantel, den ich von den Schultern zu Boden gleiten lasse. Er hält mir die Decke auf, ich schlüpfe in die glühende Wärme. Kaum liegt sie im Bett, hört sie den Küchenwecker klingeln, der sie daran erinnert, dass sie den russischen Napfkuchen aus dem Backrohr nehmen muss. |
Buchbesprechung:
Johann Wolfgang von Goethe vertrat 1827 im Gespräch mit Johann Peter Eckermann die Meinung, dass zu einer Novelle eine "unerhörte Begebenheit" gehöre. In der Novelle "Schlaflose Nacht" von Margriet de Moor liegt dieser Wendepunkt in der Vergangenheit. Es ist der damals unerwartete und bis heute unerklärliche Suizid eines 25-Jährigen. Die Frage nach dem Warum treibt die Witwe auch nach mehr als 13 Jahren um. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Margriet de Moor (Kurzbiografie / Bibliografie) |