»Wenn Shakespeare der
größte Dichter und Minetti der größte Schauspieler ist, dann ist Unseld der
größte Verleger,« verlautbarte Thomas Bernhard, überzeugt, selbst des größten
Verlegers größter Autor zu sein.
Dabei bedürfte es keineswegs solch vollmundiger und deshalb gern zitierter
Trötentöne, um die berufliche Lebensleistung jenes Mannes zu würdigen, der am
01. April 1959 im Alter von 35 Jahren angetreten war, das verlegerische Erbe von
Peter Suhrkamp zu wahren und den gleichnamigen Verlag fortzuführen. In den 43
Jahren seines Wirkens, bis zu seinem Tod am 26.Oktober 2002 entwickelte
Siegfried Unseld das Haus Suhrkamp zu einer Adresse mit Kultstatus, welche das
europäische Geistesleben und den deutschen Literaturbetrieb qualitativ wie
thematisch prägte, und zu Beginn der 70er Jahre so etwas wie die
geistig-moralische Deutungshoheit über den Zeitgeist gewann, als George Steiner
im Kontext einer Besprechung der Gesammelten Schriften von Theodor W. Adorno im
Times Literary Supplement vom
9. März 1973 den Begriff von der
Suhrkamp-Kultur erfand.
Die Suhrkamp-Kultur habe »in unseren Tagen die literarisch und
intellektuell führende Schicht Deutschlands bestimmt. Ganz auf sich bestellt,
kraft seiner kulturpolitischen Vision und seines verlegerischen Scharfsinns hat
der Suhrkamp Verlag einen Maßstab für moderne Philosophie geschaffen. Insofern
als der Suhrkamp Verlag die bedeutendsten, herausfordernsten philosophischen
Stimmen unserer Epoche einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat, insofern
als er die deutschen Bücherregale mit der Gegenwart jener deutsch-jüdischen
intellektuellen uns stimulierenden Kraft erfüllt hat, welche der Nazismus
auslöschen wollte, war und ist seine Initiative ein dauerndes Verdienst.«
Nun war der, mit Ernst Boch gesprochen, »Ins Gelingen verliebte« Verleger
Siegfried Unseld eine ausgesprochen charismatische, seine Umgebung meist
dominierende Persönlichkeit mit stark ausgeprägten patriarchalischen Zügen. Das
werden jene Mitarbeiter, die ihn noch erlebt haben, bestätigen
können, teils, weil er sich, ganz der sorgende Pate, selbst um Lösungen für
familiäre Probleme seiner Mitarbeiter bemüht hat, aber auch, weil er Anmaßung
und Inkompetenz auf große Entfernungen meinte wittern zu können, und ganz im
Sinne seiner Auffassung von verlegerischer Pflichterfüllung, nicht zögerte, sie
umgehend auszumerzen.
Bei aller Schaffenskraft
und unternehmerischem Geschick ist ihm eines jedoch nicht gelungen: eine Dynastie zu gründen. Und es ist
auch ein Verdienst dieses Bild & Textbandes, daß er den tragischen Prozeß der
Entfremdung von Vater Siegfried und Sohn Joachim bis hin zum endgültigen Bruch
am 16. Februar 1993 überraschend offen dokumentiert: »Abends Treffen mit Joachim
im Frankfurter Hof. (...) Mein Angebot des Berlin Verlages käme für ihn nur in
Betracht, wenn er als Geschäftsführer angestellt sei, d. h. Gehalt bekäme und
die Finanzen bei Suhrkamp/Insel eingebunden seien. Ich lehnte dies ab, und damit
war auch das letzte Angebot, das ich ihm machte, erledigt. (...) Er sagte, ich
sei nicht mehr sein Vater, und er nicht mehr sein Sohn. Ich sagte, das habe er
mir bereits geschrieben, und das habe er in der ganzen Zeit nie widerrufen oder
sich dafür entschuldigt. Er stand auf und ging. Ist dies mein Sohn? Wäre er je
in der Lage gewesen, mein Werk weiterzuführen und das von mir Geschaffene zu
achten? Nur weil ich diese letzte Frage jetzt eigentlich verneinen muß kann ich
mit dem 'Ende' zurechtkommen.« (S.U. Chronik, 16.Februar 1993)
Recht machen konnte es ihm aber auch kein anderer, und selbst sein langjähriger
Geschäftsführer Gottfried Honnefelder, mit dem er 1981 den Deutschen Klassiker
Verlag gegründet hatte, verließ 1996 den Verlag.
Und so klingt sein »Letzter Gruß an die Mitarbeiter« zum Abschluß dieses in
jeder Hinsicht unverzichtbaren Prachtbandes denn auch eher trotzig als daß er
überzeugend Zuversicht vermittelt:
»Liebe Mitarbeiter,
ich habe auf euch gebaut, und ihr auf mich. Vielleicht kann es in einer anderen
Weise so bleiben. Und eine große Bitte: Stärkt Ulla den Rücken. Sie wird alles
geben, diese Verlage zu halten in schwieriger Zeit. Und mit meinen Grüßen an Sie
alle verabschiede ich mich.
Aber Suhrkamp
bleibt.
Die Stiftung ist eingerichtet, sie wird auch Ihnen und den Autoren helfen,
unsere Stellung zu bewahren. Aber Suhrkamp bleibt. In diesem Sinne, alles
Gute.«
Und so schauen wir fasziniert wie betroffen auf das Leben dieses großen Verlegers
und Literaturliebhabers und lesen dabei eine lehrreiche und erstaunlich
offenherzige deutsche Kultur- und Familiengeschichte
der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Als tragischer Schlußpunkt dieser Dokumentation bleibt noch zu vermerken, daß
das
Buch mit einem Vorwort von Frank Schirrmacher eingeleitet
werden sollte. Schirrmacher, der sich 1994 gegen ein Angebot Unselds als
alleinverantwortlicher Verleger zugunsten seiner Herausgeberschaft bei der FAZ
entschieden hatte, starb »während der Vorarbeiten« zu seinem Text.
Nicht indes
ist geblieben vom Suhrkamp Haus in der Frankfurter Lindenstrasse.
Eine Bilderstrecke von Stefan Geyer erinnert an den Abriß des
Verlagsgebäudes 2011. Zu den Fotos

Artikel
online seit 02.10.14
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Raimund
Fellinger, Matthias Reiner (Hg.)
Siegfried Unseld
Sein Leben in Bildern und Texten
Suhrkamp
335 Seiten
58,00 €
978-3-518-42460-5
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