Reden über das Reden in den Medien.
Herausgegeben von Wolfgang R. Langenbucher.
Theodor-Herzl-Vorlesung.
Wien: Picus, 2003. 175 S.; geb.; Eur[A] 14,90.
ISBN 3-85452-781-0.
Mitte der 1990er Jahre hielt Pierre Bourdieu im Privatsender "Paris Première" zwei Vorträge, in denen er das Fernsehen als Gefahr für die kulturelle Produktion darstellte. Bourdieu macht dabei nur wenige Zugeständnisse an das Medium und obwohl er in einer Vorbemerkung ankündigt, sich für jedermann verständlich auszudrücken, handelt es sich bei seiner Argumentation doch um recht schwierige, mit vielen Fachbegriffen arbeitende Sachtexte. Umso mehr überrascht es, dass "Sur la télévision" in Buchform in Frankreich die Bestsellerlisten erklomm und auch die deutschsprachige Taschenbuchausgabe bereits in der sechsten Auflage vorliegt. Vieles von dem, was Bourdieu über das Fernsehen zu sagen hat, spielt auch eine Rolle in Peter Huemers "Reden über das Reden in den Medien".
Peter Huemer, der wohl bekannteste Gesprächsleiter des ORF, Mitbegründer der legendären Diskussionssendung "Club 2", acht Jahre für 3sat Moderator der "Berliner Begegnungen" und bis 2002 Leiter der Abteilung "Gespräche und Diskussionen" im ORF-Hörfunk berichtet in seinen vier Theodor-Herzl-Vorlesungen an der Universität Wien aus seiner Sicht und Berufserfahrung heraus über die Medien. Er erweist sich dabei als geschickter Pädagoge, der nicht nur lehrreich ist, sondern kurzweilig, anekdotisch auch unterhält.
Huemer beschäftigt sich in seinen Vorlesungen vor allem mit den Medien Fernsehen, Radio und Bild. Print- und Online-Medien spielen in seinen Überlegungen keine so große Rolle. Das letzte Drittel des Bandes enthält unter der Überschrift "Aus der Werkstatt" allerdings (mit einer Ausnahme) Beiträge Peter Huemers für verschiedene Printmedien zur Thematik. Am Ende der Textsammlung findet sich Huemers Dankesrede bei der Verleihung des Axel Corti-Preises im Juni 2003 und André Hellers "Verneigung vor Peter Huemer anlässlich seines von Generaldirektorin Lindner verfügten Abgangs in den Ruhestand", die zuerst als "Kommentar der Anderen" im "Standard" erschien.
Neu liegen also die vier Vorlesungen vor. In den ersten beiden analysiert der promovierte Historiker die Bedingungen unter denen der "Club 2" entstand und Erfolg hatte. Wie nebenbei erhalten wir dabei einen Crash-Kurs in österreichischer Mediengeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg und erfahren, wie sich positive Absichten in ihr Gegenteil verkehren können. "Es sollten 'wirkliche' Gespräche mit 'wirklichen'Menschen statt mit Menschenvertretern" sein. Am Anfang jenes Fernseh-Formats, in dem sich heutzutage Menschen ihre privatesten und intimsten Dinge mitteilen, steht also ein durchaus aufklärerischer Anspruch, der die Gesellschaft "von unten nach oben" durchlässiger machen wollte. Huemer illustriert seine Überlegungen mit Ausschnitten aus verschiedenen Sendungen (auch das Buch enthält viele anschauliche Abbildungen). Anekdotisches kommt nicht zu kurz.
Der interessanteste Teil des Büchleins liegt meines Erachtens in der dritten und vierten Vorlesung, die es wert wären, in Schulbücher aufgenommen zu werden. Peter Huemer charakterisiert sich selbst mitunter als Oberlehrer, in diesen beiden Abschnitten ist er ein Volksaufklärer in bestem Sinne. Im dritten Vortrag versucht Peter Huemer zu erklären, warum es in den letzten Jahren zu einer zunehmenden Trivialisierung des Fernsehens gekommen ist. Huemer bringt dabei keine neuen Theorien, versteht es aber seinen Gedankengang anschaulich und überzeugend zu präsentieren. Hier behandelt er auch sehr erfahrungsbezogen einige technische Fragen der Gesprächsführung, aus denen nicht nur angehende Journalisten lernen können.
Bei seinem vierten Auftritt versucht Huemer die Studentinnen und Studenten "Von der Macht der Bilder" zu überzeugen. Klug ausgewählte Beispiele machen die Konstruktion von Wirklichkeit in den Medien einsichtig. Dieser Abschnitt des Bandes enthält in einem Satz Peter Sloterdijks, den Peter Huemer zweimal zitiert, auch das geheime Credo des Gesprächsleiters a.D.: "Wer den Menschen nicht verbessert, der verschlechtert ihn. Es gibt hier keine Unschuld auf dem Feld." Es liegt auf der Hand, Peter Huemer möchte Menschen durch fundierte Information verbessern. Es gelingt ihm dies mit den "Reden über das Reden in den Medien" durchaus, medientheoretische Literatur im engeren Sinne, wie etwa das oben erwähnte Büchlein von Bourdieu, kann er freilich nicht ersetzen.
Helmut Sturm
25. November 2003
Originalbeitrag