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Daniela Meisel: Wovon Schwalben träumen.

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Rezension

Leseprobe – Kapitel 23

Ein neues Kostüm liegt auf der Bettbank. Farbton flieder, Lavendelduft. Ob die Mutter es über Nacht mit diesen geblümten Stoffsäckchen belegt hat, deren Geruch Freda Kopfschmerz bereitet? Freda soll das Kostüm zur Christmette tragen.
"Tailliert und mit modischen Einsätzen", hat es die Mutter angepriesen, ist zwei Tage zuvor auf den Kasten zu, hat Fredas Leinenkleid am Bügel herausgezogen und gegen den Stoff geschlagen – Blick auf den ausgefransten Saum.
"Was sollen die Frauen Hofrat und Amtsleiter denken, wenn sie die Flicken sehen? Außerdem, du bist kein Mädchen mehr!"
Sie hält Freda das Fliederjäcken auf und lässt sie hineinschlüpfen. Es kommt Freda wie ein Kunststück vor, dass sie aus ihrer Tasche einen passenden Hut zieht. Die Mutter geht zwei Schritte zurück, mustert die Tochter, Falten an Nasenwurzel und Stirn, schließt die Knöpfe am Brustteil, gibt dem Hut einen Schubs – so sitzt er kess.
"Eine Augenweide!", strahlt sie.
Seit der Vater wieder mehr unterwegs ist, ist der Modetick der Mutter zurück. Ersparnisse gegen ein Halstuch aus korallroter Seide, einen Geldbeutel aus nachblauem Samt, ein Winterkleid aus weißem Kaschmir, eine Kette lachsfarben schimmernder Perlen. Spitzenhandschuhe, Emailbroschen, Wildledergürtel und Häkelmützen. Je exklusiver die Waren, umso besser die Laune. Tränenstopp ist teuer, denkt Freda. In dem engen Kostüm japst sie nach Luft, sieht sich zwischen Frauen und Männern in Sonntagstracht in die Kirchenbank gepfercht. Die Mutter hat es bis zur dritten Reihe gebracht. Grafensohn und Heirat hin oder her. Unter den Gattinnen der Ratsherren wird ein Bastard nicht schnell verziehen. Außerdem heißt es, das Mädel soll sich mit einem Judenbalg treffen. Vor ein paar Monaten hat man sie gleich nach der Messe in die Stadt zum Bethaus rennen sehen. Wozu wir in der Gegend eine Synagoge brauchen? Heruntergekommen ist die, dreckige Fassade. Vom Deutschen Reich hört man, damit ist bald Schluss!
In Gedanken drängt sich Freda aus der Bankreihe, das Flackern der Adventkerzen im Auge, läuft durch den Mittelgang ins Freie, Kirchplatz, Wiesen und Felder, schleudert die Schuhe von den Füßen, packt das Kostüm an den modische Einsätzen und reißt es an der Brust auf. Die Knöpfe springen in die Landschaft.

(S. 103-104)

Der Lehrer hat Freda nicht aufgegeben, steht im schwarzen Beinkleid, Hände in den Taschen, an der Schank, wippt beim Sprechen vor und zurück. Immer wenn er der Mutter hinter dem Holzaufbau näher kommt, scheint sich sein Blick zu intensivieren. Freda hat sich in die Küche verzogen, presst sich in den Spalt zwischen Vorratsschrank und Tür und lugt in die Gaststube. Die Mutter poliert demonstrativ Geschirr – so fleckenfrei waren die Stammtischgläser noch nie.
"Ewig schad um das Kind!", seufzt der Lehrer.
Die Mutter nimmt das nächste Stück vom Stapel, stopft den Zipfel des Wischtuchs hinein, drückt den Stoff mit Daumen und Zeigefinger gegen das Glas und dreht es.
"Hören Sie, ich bin nicht in der Position. Mein Mann war seit Wochen nicht bei uns ...", sagt sie und bricht ab, muss jetzt mit noch mehr Druck polieren, und Freda meint, trotz des Wirtshausgemurmels das Quietschen des Stoffs über das Glas zu hören. Es ähnelt einem unterdrückten Aufschrei.
Der Lehrer scheint zu überlegen. Am Stammtisch singt Franz Soldatenlieder.
"Kamerad, Kamerad", lallt er, Nasenspitze zur Decke, und schaukelt. Als Freda schaut, kippt er beinah vom Stuhl. Der Lehrer legt die Hand auf die Schank, Innenfläche nach oben, wie um die alles entscheidende Idee zu präsentieren: "Hat Freda erzählt, dass sie Pilotin werden möchte?"
Die Mutter setzt das Glas hart ab.
"Fliegen!", ruft sie. Auflachen glockenhell.
"Sie haben wohl gar keine Vorstellung? Wie soll sie als Frau ...?
Freda ist Wirtshaustochter, ein unehelich geborenes Kind und nicht gerade auf Schönheit bedacht. Sie kann froh sein, wenn sich überhaupt einer für sie interessiert."
Die Mutter macht einen Schritt hinter der Schank hervor und sieht dem Lehrer ins Gesicht.
"Bei allem Respekt, Herr Dr. Wagner, haben die Ihnen auf der Hochschule Gutglauben serviert?"

(S. 108-109)

© 2018 Picus Verlag, Wien

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