Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen zu mir her, anscheinend hat sie den freien Platz erspäht; ohne zu grüßen oder zu fragen, legt sie die Frankfurter Allgemeine auf das Tischchen - deckt damit meine Kaffeetasse zu. "Dieser Platz ist reserviert", sage ich endlich, "in fünf bis zehn Minuten ..." Sie ruckt den Kinderwagen auf dem Kies hin und her, bis er fest steht, setzt sich, schaut mich gar nicht an, aus einem Seitenfach des Wagens zieht sie eine Zigarettenpackung. Es fällt mir ein, wie ich im vorigen Sommer hier mit der Amerikanerin Melanie ins Gespräch gekommen bin, sie hatte nach Jugendherbergen gefragt. Ich empfahl ihr ein Zimmer im Hofhaimer, es sei nicht teuer, und zum ersten Mal, ihren schweren Rucksack tragend, wurde mir bewußt, wie weit der Weg nach Schallmoos ist. Ich sehe sie immer noch vor mir, wie sie in der Früh aus dem Bett gestiegen ist, weißes T-Shirt, breites Becken, wie sie barfuß auf den Gang hinauswatschelte zur Toilette; ich dachte, so fest möchte ich im Leben stehen! Melanie aus Salt Lake City mit dem langen blonden Haar. Ich war froh, daß sie nicht wieder ins Bett kam und stattdessen weiter den Brief an ihren Boyfriend schrieb. (S. 24f.)
(c) 1997, Deuticke, Wien, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.