"Ich hab ein Manuskript mit", sagt Anatol und äugt zu einem seiner Koffer hin, wo die Frucht seiner Anstrengungen der letzten zwei Jahre drin ist. Mit der Arbeit am Manuskript hat er sich eine Zeit lang die Provinz vom Leib gehalten, hat versucht, aus dem Lauf der Dinge auszubrechen, um nicht, wie viele dort, vor der Zeit alt zu werden, gezeichnet von den großen Fabriken im Tal: Holz, Papier, Stahl, die das Leben der Menschen bis in ihre Träume hinein bestimmten. Wälder und Fabriken waren allgegenwärtig. Bergrücken, so weit man sah, Fichten, Tannen, Buchen, dazwischen Wiesen, der Fluss und Kirchtürme, Silos, Hochöfen und die Schlote der Fabriken, die Tag und Nacht rauchten, seit Jahren und Jahrzehnten, in Betrieb gehalten von Zehntausenden. Die Jungen rückten in der Regel fraglos nach, wenn die Alten abtraten. Die Arbeit am Manuskript war eine Befreiung aus der Tradition und zugleich ein Aufbruch ins Unbekannte. Er wollte für sich klären, was er nicht verstand, und er wollte zeigen, wie er es sah. Anfangs schrieb er, um Widerstände zu überwinden und das Leben dort zu verstehen. Am Ende hat er sich aus allem hinausgeschrieben.
"Soso. Ein Manuskript also", sagt von Kreuzbruch. "So ein Manuskript, ein dickes sogar, ist sehr klein, und die Stadt ist so groß, auch wenn es eine kleine Stadt ist, dass tausend solche Manuskripte darin verschwinden, ohne dass das jemandem auffällt. Ich zum Beispiel bin aus ökonomischen Gründen manchmal gezwungen, Gebrauchslyrik zu redigieren, nicht unbedingt Lyrik aus der Provinz, sondern provinzielle Lyrik, verstehst du, und ich hätte nicht die geringste Lust, mir dein Manuskript anzusehen!"
"Was schreiben denn Sie?", fragt Anatol freundlich, obwohl ihn der Ältere etwas lächerlich gemacht hat.
"Ich rate dir jedenfalls", sagt von Kreuzbruch, "deine Aussprache zu verbessern, sonst hört man dir, falls du es jemals schaffst, bei einer maßgeblichen Person vorzusprechen, keine drei Sätze lang zu. Du sprichst doch zu sehr wie ein Landei!"
(S. 21 f.)
© 2003, Reclam, Leipzig.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.