11.-20.6.2017 – Finnland ruft
11.6.2017
FINNLAND hat gerufen und ich habe geantwortet: ja – ich komme!
Ich werde dort nicht allein sein. Ich werde mit einem Menschen zusammen sein, der mich seine Sympathie spüren lässt und mich ruft von weit weit her. Mich!
Ich sehe meine kleine schwarze Katze vor dem großen weiten Schneefeld stehen, bevor sie es entschlossen überquerte, um mit uns, dem Hund und mir, zu gehen.
13.6.2017
muss schnell alles zusammenpacken, was meines ist,
sonst wollen sie – wer ? – es zurückhalten.
Ich nehme soviel mit, wie in mein Auto passt.
So soll es kommen?
15.6.2017
Und Yalla?
Der Hund weiß nichts von dem, was ich sehe, wenn ich mir vorstelle, dass ich ihn nicht mitnehmen würde: sofort wäre sein Fell nicht mehr glatt und glänzend, sondern stumpf und matt. Es ist undenkbar. Wenn ich es mir – in Finnland unterwegs – nicht vorstellen will, muss ich 500 € bezahlen. Soviel kostet die Freude, die ich jeden Tag geschenkt bekomme, wenn ich meinen Hund auf der Fähre mitnehme, weil ich für das Haustier eine Innenkabine buchen muss. Ein schwarzes Loch anstelle des offenen Himmels beim Schlafen an Deck – und das mir! Ich habe gebucht, und sofort freue ich mich auf das ganz große Neue: Finnland!
Und plötzlich erlebe ich die Tage hier noch intensiver, wunderbarer und bin so sicher wie nie, dass ich nirgendwo lieber bin als hier. Das Grün hat noch nie so geleuchtet, die Fäden der Spinnen waren noch nie so lang, das Zwitschern und Singen ist noch nie so tief in meine Ohren gekommen, der Wind hat die warme Haut noch nie so sanft gestreichelt, der Himmel war noch nie so groß und der Mond so nah.
Es ist, als hätte ich mich gefangen gehalten in meinem „Paradies“ – meine Freunde sagen so zu meinem Land. Nicht mehr fliegen, fahren nur wenn unbedingt nötig, weil ich im Auto lebe. Auf einmal ist ein Tor offen! Und alles, was immer innen war, ist noch viel, viel schöner.
Mein Land ist weiter, tiefer, größer geworden mit dem doppelten Blick.
Ich staune und komme aus dem Staunen nicht heraus – bis ich mit drei Wespenstichen im Gesicht vor dem Rechner sitze und nicht wiederfinde, was ich am Tag zuvor gemacht habe, auch in der time machine nicht, wo das automatische Backup eingestellt ist. Schlimmer noch: die Umlaute sind durch Fragezeichen ersetzt. Ich lasse die Finger vom Rechner, als hätte ich sie mir verbrannt.
Internet weg. Schallmauer?
17.6.2017
Ich muss den Garten noch in Ordnung bringen. Da helfen mir die Afrikaner, sie kommen immer gerne. Modu ist Maurer, Mohammed Schlosser und Fischer gewesen im Senegal.
Modu ist heute hungrig, weil er das Nachtessen verschlafen hat, und am Tag gibt es nichts. Es ist Ramadan.
In der Nacht, bevor ich fahre, liege ich lange wach. Sehe ich Glühwürmchen? Höre ich Grillen? Nein – sie sind lautlos verschwunden.
20.6.2017
Aber bei Würzburg leuchteten die Glühwürmchen und in Travemünde schwirrten die Grillen am Deich neben dem Hafen herum, wo der Skandinavienkai mir wie der Weg auf den sechsten Erdteil vorkommt.
Oben auf dem Deich: Osten ist hinten, wo es so süß duftet, der Hafen ist vorne, wo der Powertruck steht. Dass es nicht nur ein Hinter-dem-Land gibt, sondern auch ein Davor? Zukunft ist – wieder – möglich?
Paul ist gegangen. In der Nacht. Ein paar Stunden, nachdem ich bei ihm gewesen bin.
Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de