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Das Familienritual 3
Der Notar beobachtete Kathy. Sie registrierte, dass er anscheinend kein Zeichen von Trauer oder Schrecken von ihr erwartete, höchstens die milde Betroffenheit, die zivilisierte Menschen angesichts eines betrüblichen Ereignisses an den Tag legen. Offenbar nahm auch Dr. Morlar nicht an, dass irgendjemand ihrem verstorbenen Verwandten nachtrauerte.
Sie strich die Seite mit beiden Händen glatt.
Bekannter Schriftsteller brutal ermordet
Einem Raubmord fiel gestern Nacht ein prominenter Einwohner unserer Stadt, der bekannte Schriftsteller und Brauchtumsforscher Adrian Petri, zum Opfer. Professor Petri, der häufig in einsamen Gegenden unterwegs war, um Material für seine Romane zu sammeln, wurde im alten Wasserwerk von bislang unbekannten Tätern überfallen, beraubt und ins Wasser gestoßen.
Professor Petri wurde ein Opfer seines eigenen Wagemuts. Trotz wiederholter Warnungen begab er sich häufig allein in entlegene Gegenden, um authentisches Quellenmaterial für seine Romane die sich, wie bekannt, mit dem populären Aberglauben befassen zu recherchieren.
Ein Vertreter seines Verlages erklärte uns heute: Der Professor arbeitete an einem bedeutenden historischen Werk mit dem Titel ´Das Familienritual´. Er suchte, obwohl ich ihn immer wieder vor den damit verbundenen Gefahren warnte, sehr häufig Kontaktleute in übel beleumundeten Gegenden auf. Wir sagten ihm so oft, dass diesen Leuten nicht zu trauen sei, aber er war so besessen von seinem Werk, dass er auf keine Gefahr achtete. Er sagte immer, er habe keine Angst, bei ihm gäbe es nichts zu holen.
Tatsächlich besaß Professor Petri keine weiteren Wertgegenstände als seine goldene Uhr und einen einfachen platinierten Ring, die nach seinem Tod bei ihm gefunden wurden.
Soweit die Mordkommission unter Sheriff Harold Bronsky die letzten Stunden des Verstorbenen bis jetzt rekonstruierte, begab sich der Schriftsteller in den frühen Abendstunden in ein Café in der Unteren Flussstraße zum Abendessen. Nach einem kurzen Aufenthalt brach er gegen acht Uhr abends auf, ohne ein Ziel anzugeben.
In den frühen Morgenstunden entdeckte eine Polizeistreife den verlassenen weißen Kombiwagen am Ufer des Staubeckens, knapp neben dem Treppenaufgang zum alten Wasserwerk. Die Türen des Wagens standen offen, das Innere war durchsucht und eine Anzahl von Gegenständen, die vermutlich den Raubmördern wertlos erschienen, ins Freie geworfen worden. Als die Patrouille die Suche aufnahm, entdeckten die Beamten auf dem Grund des heute nur mehr mit seichtem Brackwasser gefüllten höchsten Beckens der Kläranlage die Leiche des Schriftstellers. Sie wurde nach der offiziellen Agnoszierung ins Bestattungsinstitut Kalman gebracht und dort den Wünschen des Verstorbenen gemäß zur Beisetzung vorbereitet.
Der Schwarze-Schleier-Verlag, in dem Professor Petris Bücher erschienen waren, erklärte nach Bekanntwerden des tragischen Todesfalles, man würde das letzte Werk des Verstorbenen als Fragment herausbringen. Das Werk es handelt sich um die Geschichte einer der Schwarzen Magie verfallenen Familie wird vermutlich nächstes Frühjahr unter dem von Petri selbst gewählten Titel ´Das Familienritual´ erscheinen.
Kathy blickte den Notar an. Ihre Neugier zwang sie, wider besseres Wissen die Frage zu stellen: Hier steht, der Verstorbene wurde seinen eigenen Wünschen gemäß zur Beisetzung vorbereitet. Heißt das, dass irgendetwas ... anders war als bei gewöhnlichen Beisetzungen?
Er wünschte einbalsamiert zu werden.
Und wo wurde er begraben?
In den Marschen. So wünschte er es, und die Behörden sahen keinen Grund ihm diesen Wunsch zu verweigern, da die Beisetzung auf einem privaten Grundstück Im Luch erfolgte.
Im Luch. Das war der Ort, an dem die Künstlerkolonie Thrule Malchus ihren Sitz hatte. Dann hatten also Onkel Adrians Künstlerfreunde für seine Beisetzung gesorgt. Kathy beschlich das unangenehme Gefühl, dass dieses Moorbegräbnis gemäß den Wünschen des Verstorbenen mit einem der altertümlichen Rituale zusammenhing, die den Schriftsteller so sehr fasziniert hatten. Warum sonst hätte er so genaue Anordnungen treffen sollen?
Warum aber traf ein Mann, der von seiner Unsterblichkeit überzeugt war, überhaupt Vorkehrungen für sein Begräbnis? War ihm mit der Zeit bewusst geworden, dass seine magischen Fähigkeiten doch nicht stark genug waren, Gevatter Hein zu trotzen? Oder hatte er sich eine Art Auferstehung, eine Wiedergeburt erwartet?
Sie wandte sich dem Notar zu. Er gab den Blick mit weichlicher Gleichgültigkeit zurück, die ihr klarmachte, dass sie von ihm nichts erfahren würde, das er ihr nicht sagen wollte. Er hütete die Geheimnisse der kleinen Stadt, und höchstwahrscheinlich waren es auch seine eigenen, bösen Geheimnisse, sonst hätte er Onkel Adrian wohl nicht als Klienten akzeptiert und auch nicht dieses Grauen erregende Gemälde an die Wand gehängt.
Sie dachte und fühlte eine jähe Kälte dabei: Es war so offenkundig, dass Adrian Petri ein schlechter Mensch gewesen war. Jeder wusste es. Jeder hatte es ihm angesehen. Jeder, der noch einen Rest gesunder Menschlichkeit in sich spürte, war ihm weit aus dem Weg gegangen. Nur die alten Familien der Stadt hatten ihn aufgenommen wie einen der ihren und ihm ihre Geheimnisse anvertraut. Hatten sie es zuletzt bereut, dass er so viel davon in Erfahrung gebracht hatte, und seine Lippen für immer versiegelt?
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Weitere Leseproben
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