emperor-miniature
Das Familienritual 2
Kathy sah ihn eintreten, und zugleich sah sie noch etwas. Über dem Städtchen bildete sich, als steige triefender Nebel aus seinen Gassen und Plätzchen auf, eine dunkle Wolke, flach wie eine Sandbank und an den Rändern so zottig ausgefranst, als streckte sie bewegliche Ausläufer aus. Was immer diese abartige Dunkelheit sein mochte – eine Ausdünstung der ungesunden Salzmarschen oder ein Vorbote des drohend in der Sommernacht hängenden Unwetters –, sie verpestete die Luft mit einem schweren, Übelkeit erregenden Geruch. Kathy spürte, wie ihr ein eisiger Schauder über den Rücken rann. Mehr als ein Gestank, wehte dieser Dunst sie an, und augenblicklich senkte es sich wie ein giftiger Nebel auf sie. Ihr Geist, ihre Fantasie wurden von einer wunderlichen Verzerrung erfasst, wie sich das Spiegelbild eines Gesichts im Wasser verzerrt und zur Schreckensmaske wird, und diese fratzenhafte Verschrobenheit entzog sich jeglicher Kontrolle. Wohin sie auch den Blick richtete, um sich wieder zu orientieren und einen Anhaltspunkt des Normalen und Gewohnten zu finden, die schillernde Verwirrung war vor ihr da. Eine ölige schwärzliche Wolke wirbelte vor ihren Augen, und in dieser Dunkelheit – so flüsterte ihr ihr aufgepeitschter Verstand hämisch zu – lauerte gestaltlos und unbeschreiblich, vorderhand noch verhüllt, aber schon sich enthüllend, sprungbereit alles Perverse und Abstoßende und ekelhaft Unnatürliche, das jemals in die Tiefen ihrer Fantasie versunken war. Nun kroch es aus seinen Höhlen, nun schlängelte es sich aus allen Schründen und versiegelten Brunnen hervor, in die ihr Verstand es verbannt hatte, um jeden Augenblick über ihre schreckgelähmten Sinne herzufallen und sie zu zerfleischen.
Die dunkle Masse lagerte unbeweglich über der Stadt, in irisierende Schatten und Spiegelungen gehüllt, sodass sie Kathy gleichzeitig fern wie eine gewaltige Bergkette und so nahe wie Abendnebel über der Wiese erschien. Schemen wie die zerfließenden Überreste von Träumen tanzten und schwammen in der dunklen Nebelschicht umher, jeder ein Vorbote eines Unheils, dessen Erscheinen ihre Seele zerstören musste. In einem jähen Aufzucken stand der Traum vor ihren Augen, den sie als den Inbegriff dieses jenseitigen Schreckens fürchten gelernt hatte. Sie fühlte, dass nichts Anderes als eben dieser Traum in dieser Wolke lauerte und sich bereit machte, in einer neuen Gestalt hervorzukriechen. Das Licht der Lämpchen und Kerzen um sie herum nahm plötzlich einen unnatürlichen Glanz an, als erfasse eine besondere Atmosphäre oder Strahlung die nächtliche Wiese. Das Gras schien zu funkeln, und ein feiner silbriger Nebel stieg bei jedem Wehen des Windes aus seinen Wellen auf. Ein eisiger Hauch sprang sie an, als fauche aus einer jählings geöffneten Tiefe ein Windstoß hervor. Sie versuchte zu schreien, aber aus ihrer Kehle drang nur ein unbestimmtes heiseres Krächzen. Wie durch ein schmutziges Glas sah sie die Anderen um sich, sah weiße, verzerrte Gesichter über den grünlichen Flammen der Leuchten und fühlte einen grauenhaften Augenblick lang, wie sie insgesamt in dieser Tiefe versanken – unbeachtet und unerlöst, ohne dass sich eine rettende Hand nach ihnen ausstreckte.
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Weitere Leseproben
[Zurück zum Buch]
|