|
Leseprobe 1
Meine Sehnsucht nach dem jungen Mann führte mich zu dem Strand, den er genannt hatte. Dünengras wogte links von mir. Felsbrocken zerteilten den Sand. Weiter vorn erhoben sich niedrige Klippen, an denen sich die Wellen brachen. Blaues Licht flutete den Ozean. Ich hielt ehrfürchtig inne, als sich mir die Details des Wassers enthüllten. Kleine Schaumkronen, die an den Sand schwappten. Ein glitzernder Fisch, der im Flachen schwamm und den wohl nur ein Vampir erspähen konnte. Das Mondlicht glitzerte auf vereinzelten seichten Bewegungen des Meeres und zauberte mir ein versonnenes Lächeln auf die Lippen.
Kurzerhand zog ich mich aus, dachte daran, dass die See mit ihrem Salzgehalt keine gute Waschmöglichkeit für Kleidung wäre, und stieg nackt in das kalte Meer.
Wellen umschmeichelten meine empfindsame Haut, ich spürte die Kälte, mir war sie jedoch nicht unangenehm. Sie kam mir wie eine kühle Umarmung vor. Das Wasser ging mir mittlerweile bis zur Hüfte, und ich tauchte kopfüber unter. Als sich die Unterwasserwelt vor mir ausbreitete, vereinzelter Seetang die Felsen und den Sand ablöste, dachte ich wieder an Samuel Marshwood. Die Strömung griff nach mir, und ich stellte mir vor, es wären seine Hände, die über meine Haut strichen. Die Kälte minderte meine Erregung, dennoch durchflossen mich seltsame Gelüste in Bezug auf ihn und sie hatten nichts mit Blut zu tun.
Was hatte er gestern gemeint? Erst diese seltsamen Anspielungen, dann die Frage wegen des Ungestörtseins und plötzlich der vertrauliche Tonfall und dieses Erstaunen, ich wäre anders.
Ich tauchte tiefer, bis ich den Druck zu stark spürte. Mein Körper schien nicht mehr so extrem nach Sauerstoff zu japsen. Ich fühlte mich wie ein Meerwesen.
Anders als wer?, spukte mir weiterhin im Kopf herum.
Warum nur war ich gestern Hals über Kopf geflohen? Würde ich ihm noch einmal begegnen, wäre ich nicht so feige.
Ob Orville etwas in mir geweckt hatte? Ich erinnerte mich an Thierry. Nein, ich sollte von dieser Lüge loskommen. Frauen berauschten mich nicht, Samuel sehr wohl. Er war für mich wie zu viel Wein. Ich hatte ihn erst kennengelernt, wusste nicht mal, ob ich ihn wiedersah. Was wäre, wenn
?
Luftmangel beraubte mich vorerst meiner Überlegungen, und ich schwamm an die Oberfläche, atmete tief ein. Nachdenklich ließ ich mich auf dem Rücken treiben und stellte fest, dass die See mich viel zu weit fortgetragen hatte. Rasch brachte ich mich mit kraftvollen Schwimmzügen wieder in die Nähe meiner Kleidung und hielt inne. Mein Herz stockte, um völlig aus dem Takt zu geraten und viel zu schnell weiterzuschlagen. Samuel stand dort bei den Felsen − vor meinen Kleidungsstücken. Sein Blick richtete sich auf mich. Mit den Füßen ertastete ich den Untergrund, raffte all meinen Mut zusammen und stieg langsam aus dem Wasser. Als ich völlig nackt auf ihn zulief, das Begehren in seinen Augen sah, wusste ich, warum ihn Frauen nicht interessierten.
»Sie können wieder nicht schlafen?«, fragte er heiser, als ich vor ihm stand.
»Ich erinnere mich, dass unser letzter Satz vertraulich gesprochen war. Verzichten wir auf das Sie?«
»Ja.«
»Ich bin also anders?«
Mit unsicherem Gesichtsausdruck nickte er.
»Anders als wer?«
»Ist das wichtig?«
Entschlossen schüttelte ich den Kopf. »Im Moment nicht.«
Die Kälte der Nacht erfasste mich. Ich fröstelte leicht. Oh, er hatte gesehen, dass meine Kleidung dort auf dem Felsen lag, aber er wich nicht zur Seite, versperrte mir den Weg. Langsam kam er näher, und ich fühlte mich angesichts meines unbekleideten Zustands unsicher.
»Du bist anders als alles, was ich bisher kannte«, flüsterte er. Zaghaft hob sich seine Hand, strich mir fast vorsichtig das nasse Haar zurück.
Ich roch seinen Duft, seine Wärme umspülte mich, obwohl noch ein kleiner Abstand zwischen uns blieb. Sein Blick fachte meine Erregung an, sodass ich sie ohne Kleidung nicht verbergen konnte. Samuel tat zunächst nichts, betrachtete mich, und ich fühlte mich wie hypnotisiert, fühlte mich fast wieder wie ein normaler Mensch.
»Du verführst auf völlig andere Weise«, wisperte er weiter.
Was genau mit mir geschah, konnte ich nicht sagen. Ich kannte Samuel Marshwood kaum. Dennoch fühlte ich mich so sehr zu ihm hingezogen, dass ich alles andere vergaß. Seine gehauchten Worte verklangen, und ich konnte mich nicht zurückhalten. Er war ein wenig größer als ich, darum umfasste ich sein Gesicht und zog ihn auf meine Lippen. Ein wenig resigniert nahm ich zur Kenntnis, dass er leicht zurückzuckte. Als er den Kuss trotzdem erwiderte, entfuhr mir ein leiser Seufzer, der etwas in ihm auslöste. Plötzlich umfingen mich seine Arme. Ich presste mich an seinen warmen Körper.
Ohne Vorwarnung keuchte er auf, schob mich von sich und starrte mich an. »Was tu ich hier eigentlich?«, zischte er und trat einige Schritte zurück. Ich folgte seiner Bewegung, und er hob abwehrend die Hand. »Bleib weg!«
Ich gehorchte. Rasch streifte ich mir zumindest meine Hose über und wartete ab, was er tun würde. Wachsam beobachtete er mich, als erwartete er, dass ich ihn anspringen und
Ein Schreck fuhr mir in die Glieder. Wusste er womöglich, was ich war? Fürchtete er mich? Das konnte nicht sein. Oder doch?
Dieses Spiel kam mir falsch vor. Enttäuscht hob ich den Rest meiner Kleidung auf, zog mich an und kehrte ihm den Rücken zu, ging ein Stück den Strand hinauf. Schließlich folgte er mir und ein Lächeln umspielte meine Lippen. Seine Schritte waren sachte, als wäre er es gewöhnt, leise zu sein. Als ich eine Berührung am Arm spürte, wandte ich mich ihm zu.
»Du wolltest nicht
« Samuel stockte.
»Was wollte ich nicht? Ein erotisches Tête-à-tête? Ich glaube, mein Körper hat dir gerade was anderes gesagt.« Leise Wut fachte in mir auf. Er hatte es gesehen, und nun sagte er
?
»Das meinte ich nicht. Ich habe
deine Erregung sehr wohl wahrgenommen.«
Vollends drehte ich mich herum, fixierte ihn mit festem Blick. »Du redest zuweilen sehr wirr, weißt du das?«
Samuel verengte die Augen und senkte den Kopf. »Das liegt wohl an dir.«
»Aha?« Und wortkarg war er auch. Erneut suchte ich seine Nähe, Samuel wirkte plötzlich seltsam unsicher, und diese Gefühlsregung passte nicht zu ihm. »Was willst du, Samuel?«, fragte ich im Flüsterton.
Zur Antwort legten sich seine Lippen auf meine. Ich wurde von einem regelrechten Gefühlssturm erfasst. Überwältigt von seiner Berührung, von meiner Reaktion darauf, sank ich gegen ihn. Meine Hände fuhren in sein kurzes Haar, zogen ihn noch näher zu mir. Meine Leidenschaft flammte auf, und ich erwiderte den Kuss ein wenig zu wild.
Du lieber Himmel, was hatte Orville mit mir angerichtet?
Völlig unerwartet zuckte er zusammen, ich schmeckte Blut und stob wie von der Tarantel gestochen von ihm weg. »Hab ich dich verletzt? Das wollte ich nicht.« Ich beließ ein wenig Sicherheitsabstand, denn sein Blut schmeckte viel zu süß in meinem Mund. Einer meiner Fangzähne hatte wohl seine Lippe oder Zunge verletzt.
»Nicht schlimm, nichts passiert«, beschwichtigte Samuel.
Als würde er die Gefahr ebenso ahnen, näherte er sich nicht. Ich wollte kein Risiko eingehen. Auch wenn der Durst nicht erwachte, und ich sein Blut nur wie eine Leckerei wahrnahm.
»Samuel, ich muss gehen«, sagte ich, auch wenn ich mich dafür am liebsten in den Hintern treten würde.
Er nickte nur.
»Werden
werden wir uns wiedersehen?«
»Ich finde dich, Andrei.« Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, das mir schier den Atem raubte.
Als ich über die Klippen stieg und ihn zurückließ, wusste ich kaum, wohin mit meiner Erregung. Nach wie vor schmeckte ich sein Blut in meinem Mund, doch das fachte meinen inneren Aufruhr nur an. Ich verharrte, sah zurück. Samuel stand noch immer da und sah mir nach, rührte sich nicht vom Fleck. Was war das nur zwischen uns? Alles drängte mich zu ihm zurück, und ich verspürte wirklich keinen Durst. Ich wusste, der würde frühestens am nächsten Abend kommen, wahrscheinlich mit Macht.
Nun verspürte ich einen seltsamen Hunger, den ich nie zuvor in der Intensität wahrgenommen hatte. Für Irissa hatte ich nur zärtliche Gefühle empfunden und das Begehren Thierry gegenüber war Gedankenspielerei. Die Begegnungen mit Sabienne ließ ich ihr zuliebe zu und bei Orville
Der Vampirfürst hatte sich einfach genommen, wonach er verlangte. Ich hatte dem nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Die Lust, die ich dabei empfunden hatte, kam mir heute noch falsch vor.
Keiner von uns ging. Er harrte am Strand aus, ich auf einer der Klippen. Der Wind ergriff mein halblanges Haar, zerzauste es. Die Böe riss an mir, schien mich zu Samuel zurückdrängen zu wollen. Mein Widerstand war jämmerlich. Ich stolperte hart auf einen Felsen, schlug mir das Knie an. Mir entfuhr ein Schmerzenslaut, doch selbst dies trübte nicht dieses mächtige Gefühl, das mich nach wie vor erfasste. Behutsam erhob ich mich. Ein Stich fuhr mir ins Knie, als ob mich ein Pfeil getroffen hätte. Au, verdammt! Seit wann war ich so ungeschickt?
»Hast du dich verletzt?«
Mein Herz machte einen Hüpfer, als Samuel hinter mir erschien, mir aufhalf. »Nicht schlimm, es geht gleich vorbei.« Meine Unvorsichtigkeit ärgerte mich. Da war ich ein Vampir und stolperte wie ein Junge vom Felsen. »Dies trübt wohl das Bild, das du von mir hast.«
»Inwiefern?« Samuel lachte leise und schlang seinen Arm um meine Taille. »Dass du nicht der gefährliche Verführer bist, habe ich verstanden, Andrei.«
Gefährlicher Verführer?
Seine Körperwärme gab mir Sicherheit, betäubte den Schmerz, der unterschwellig in meinem Knie tobte, das unerwartet zu prickeln begann. Für einen Augenblick fühlte es sich an, als ob das Blut in mir zu der wunden Stelle strömte. Mir wurde schwarz vor Augen.
»Andrei?«
Abrupt war es vorbei. Das Knie schmerzte nicht mehr, das Blut floss zurück an die richtigen Stellen. Ich blinzelte verwirrt. So rasch heilte mein Körper? »Es ist alles in Ordnung.«
»Sicher?«
Verstohlen nickte ich, bemerkte, dass ich wieder auftreten konnte. Ich erwog,noch ein wenig den Verletzten zu spielen, um seine Umarmung nicht zu verlieren, dies kam mir aber schäbig vor.
Samuel ließ mich los, ging jedoch nicht fort. »Willst du wirklich gehen, Andrei?«
Mein Blick fiel auf die kleine Wunde an der Lippe, die ich ihm aus Versehen zugefügt hatte. Das Blut war längst geronnen. Nein, ich wollte nicht gehen. Pure Sehnsucht erfasste mich. Als seine Hand sachte über meine Wange strich, wollte ich vergessen, was ich war. Meine Rechte krallte sich in seine Jacke, und ich zog ihn zu mir, küsste ihn. Seine Arme umfassten mich, ließen mich nicht wanken.
Kurz löste er sich von mir, zog mich von den Felsen in eine Sandmulde, die geschützt zwischen den Dünen lag. Mein Jackett landete im hohen Gras. Flink und außer Atem knöpfte er mein Hemd auf. Als seine Lippen über meine nackte Brust strichen, sank ich mit ihm zu Boden, keuchte leise auf. Ich wollte seine Haut spüren. Ungeduldig zerrte ich an seiner Jacke, befreite ihn aus dem Kleidungsstück und zog ihm das Hemd kurzerhand aus der Hose und über den Kopf. Seine Manschettenknöpfe verhinderten mein Tun, und Samuel war von seinen Ärmeln gefangen. Ich lachte leise und half ihm diese zu lösen. Als er befreit war, senkte sich sein Körper gegen mich, wir fielen in den Sand. Seine Erregung presste sich gegen meine. Das Gefühl, das in mir erwachte, hatte nichts mit der rohen Lust zu tun, die Orville in mir geweckt hatte.
»Ich bin nicht der Mann, der sich
erobern lässt«, raunte Samuel mir leise ins Ohr.
»Dann erober mich.«
Seine Hand glitt in meinen Hosenbund, und ich ergab mich seiner Berührung. Jeder Gedanke verschleierte sich vor mir, da war nur noch Samuel, der mein Verlangen anfachte, den ich nur noch in mir spüren wollte. »Bitte
«, flehte ich leise.
Er zog mir meine Hose über die Hüften, über die Knöchel und warf sie fort, genauso wie seine. Das erste Mal kam mir meine Position in diesem Spiel echt und richtig vor. Keine Angst, keine Unsicherheit, keine Scham überfiel mich. Eine Glut flammte in mir auf, als er behutsam in mich tauchte. Ich stöhnte auf, und er stockte kurz.
»Ich will dir nicht wehtun.«
»Hör nicht auf.«
Auf diese Art mit ihm verbunden zu sein, erfüllte mich mit purem Verliebtsein. Seine sanften und doch kraftvollen Bewegungen raubten mir den Verstand, trieben mich zu einer Leidenschaft, die alles andere in den Schatten stellte. Ich klammerte mich fast hilflos an ihn, überließ ihm die Führung, bis mein Körper überflutet wurde.
Schwer atmend lagen wir nebeneinander im Sand. Kalter Wind blies über unsere verschwitzte Haut und wir näherten uns fröstelnd wieder dem anderen.
»Das war
« Mir fehlten die Worte.
»
besonders«, erfasste Samuel es.
Ich richtete mich ein wenig auf, um ihn anzusehen. »Und ich dachte schon, du suchst dir des Öfteren Männer für den Strand.«
»Normalerweise suche ich sie in dunklen Spelunken und will nicht viel von ihnen sehen«, gab er bitter zu.
»Oh.«
Sein Mund suchte meine Lippen, er fuhr mir sanft durch das Haar. Unterschwellig nahm ich wahr, wie der Durst erwachte.
Ich will nicht gehen.
Meine Hand tastete sich nach unten und berührte seinen Schaft. Samuel seufzte leise, und ich genoss das Gefühl, diese samtige Haut dort zu berühren. Als meine Lippen seine Kehle liebkosten, ich dort seinen Pulsschlag spürte, kam der Durst in mir mit Macht hervor. Ich wich zurück.
Samuel sah mich alarmiert an.
»Ich muss gehen, es tut mir leid.« So rasch ich konnte, schlüpfte ich in meine Kleidung, knöpfte nicht einmal mein Hemd zu und rannte in die Nacht davon − nur fort von dem Mann, dessen Blut ich niemals kosten wollte.
Weitere Leseproben
[Zurück zum Buch]
|
|