• Lesen Sie gerade einen Tagebucheintrag?

    Klingt hart, wenn’s jemand sagt. Wer es erlebt, ist uebel dran. Die oeffentliche Diskussion ueber Abschiebung bleibt dennoch hinter der Haerte und dem Uebel dessen zurueck, was in Wirklichkeit zur Disposition steht. Also nicht das, was zunaechst in den Sinn kommt und diskursiv vielfaeltig im Raum steht – nicht die Endgueltigkeit, die finale Zaesur -, sondern tendenziell dessen Gegenteil. Nicht fuer immer weg und fort von hier, sondern fuer immer nicht wissen wohin, geschweige denn wissen, wo hier und wo dort ist. Abgeschoben zu werden bedeutet Gewissheit zu verlieren und suspendiert zu werden in einem unfreiwilligen Zustand des Weder-Noch. weiterlesen »

  • Wir koennten

    Rod rennt die Strasse runter. An der Ecke, wo frueher die Sparkasse war, stehen ein paar Bretterbuden. Jemand frittiert Brot in altem Oel und tauscht es gegen Batterien. Es riecht schrecklich gut. Trigger fuer ein paar Geschmackserinnerungen an die Pommes nach durchrockten Naechten. Kurz durchatmen. Manchmal schmerzt es noch, an frueher zu denken. An die Zeit, in der er um alles in der Welt einen iPod haben wollte und mit seinen Freunden nachts auf der Kastanienallee … hmm, was haben sie eigentlich gemacht? weiterlesen »

  • Klunker und Kitsch

    Das Gemeinsame ist weder abstrakt noch konkret – das Geheimnisvolle an den Gemeinschaften, die uns etwas bedeuten, ist die Verbindung aus beiden. Was die Gemeinschaft konstituiert, ist nicht nur was, sondern vor allem wie die Dinge artikuliert und gesagt werden: der ironische Tonfall einer Rede, eine smarte Haltung, Obamas sexy Gang (um nur die belanglosesten Beispiele zu zitieren, von denen das am wenigsten Belanglose natuerlich die Gemeinschaftsbildung des Verliebens ist). weiterlesen »

  • Was heisst Lesen?

    Urspruenglich hiess Lesen einer Spur folgen. Tatsaechlich ist Lesen so anspruchsvoll wie aktiv: jeder Leser muss die Bedeutung eines Wortes erst entschluesseln – sie steckt nicht schon in den Buchstaben selbst. Denn anders als ein Bild laesst sich Schrift nicht aus sich heraus verstehen. Viermal pro Sekunde huepft unser Blick beim Lesen vor und zurueck, um Zeichen zu einem sinnvollen Satz zu verbinden. Und den versteht man sogar dann, wnen sinee Bthcsauebnrihlngfeoee ddnrinaceeuhr getrean ist. Jahrtausende liegen zwischen den Hieroglyphen der Aegypter und dem Bundesgesetzblatt, ueber alle Kulturen hinweg hat sich die Schrift von den Gegenstaenden emanzipiert. Im Internetzeitalter finden Bild, Ton und Schrift wieder zueinander. weiterlesen »

  • Liturgisches Lesen

    Buchstabenfolgen aller Art staendig zu entkrypten, ist eine veritable Besessenheit, die mich nach beeideter Aussage meiner Mutter seit dem vierten Lebensjahr verfolgt. Damals eroeffnete mein Vater ein Schreibwarengeschaeft, ein veritables Leseparadies. Das Problem eines Vierjaehrigen in der rheinischen Provinz, Anfang der siebziger Jahre, war natuerlich fehlende Inselbegabtenfoerderung im Kindergarten. Damals waere eine vorschulische Schreib- und Leseerziehung nahezu ehrenruehrig gewesen. Irgendwo im riesigen Minenfeld zwischen antiautoritaerem Revoluzzertum und nationalsozialistischer Napola Attituede. weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #70

    Die Globalisierung ist nicht neu. Wo immer kulturelle Raeume (Stadtstaaten, Staaten, Imperien) expandiert sind, haben sie auf andere kulturelle Raeume uebergegriffen, sich diese einverleibt usw. Das Roemische Reich ist ein Beispiel, auch das chinesische Han-Imperium. Der europaeische Kolonialismus ist ein Globalisierungsprozess. Neu sind das globale Ausmass und die Tatsache, dass die Oekonomisierung alle Lebensbereiche (auch Kunst, Religion) durchdringt. Globalisierung schafft heute neue kulturelle Formen. Auch Religionen sind davon betroffen, sie durchdringen einander. weiterlesen »

  • Kochen bei Mondlicht

    Endlich mal wieder raus aus der Stadt, ab auf das Land oder besser: in den Wald. Mit der S-Bahn fuhren ein Freund und ich ueber Erkner bis nach Neu Zittau und schließlich Kesselberg. Im Nirgendwo angekommen, bestiegen wir den alten Steinplattenweg hinauf in unser Feriendomizil. Wir durchschritten das Eingangstor und bewegten uns kurz ueber das Gelaende. Dann setzten wir uns zu den Bewohnern des Kesselbergs und kochten mit ihnen Kaffee ueber offenem Feuer. weiterlesen »

  • Lesen und leiden

    Manchmal verschenke ich Buecher, um nicht damit aufzufallen, dass ich mir schon wieder ein neues Buch gekauft habe. Andere sind suechtig nach Nikotin und Alkohol, ich bekenne mich suechtig nach Buechern. Auf diese Art bin ich an meine letzte Lektuere gekommen, die ich meiner Frau geschenkt habe. Kannst du von mir aus schon mal lesen, ich hab mein Buch noch nicht ausgelesen., meinte sie mit einem Laecheln. Na klappt doch, denk ich noch so bei mir, Richard David Prechts Lenin kam nur bis Luedenscheid, sollte also mein naechstes Buch sein. weiterlesen »

  • Kleine Weltbuerger

    Silbrig schimmern Cargo-Container und Kraene auf einer dunklen Buehne. Flughafengeraeusche sind zu hoeren und eine Rundumleuchte sorgt fuer ein bisschen Licht. Was wohl in diesen Containern ist? Gepaeck vielleicht oder eher Technik? Auf einmal kriecht jemand aus einem Container heraus. Ein Junge. Patrick ist zwoelf Jahre alt. In dem weissen Hemd und mit der Krawatte wirkt er ein bisschen aelter. Seine Mutter arbeitet fuer den Tabakkonzern Philip Morris. Die Stationen seines jungen Lebens: Irland, Frankreich, Schweiz. Er hat schon eine Kreditkarte, drei verschiedene Paesse und kommt ein bisschen altklug daher. Ach ja, Bassgitarre und Akkordeon kann er auch spielen. weiterlesen »

  • Maschinenlesen

    Vor laengerer Zeit fragte ein Kuenstler an, ob ich nicht zu der amerikanischen Mailing List IDC beitragen wolle. Nach einiger Zeit wurde in der online-Diskussion schliesslich das Ende des Buchs herbeigeschrieben. Es sei doch obsolet – wer brauche schon noch die Waelzer. Dieser digitale Schmontz aergerte mich so sehr, dass ich mich aus der Liste wieder austrug. Die (vornehmlich) Herren (Doktoranten nehme ich an) hatten sicherlich keine Kleinstkinder, die ihren Kinderbuchreader froehlich zu Boden werfen, oder litten an der mangelnden Erotik, die ihnen das Lesen in Bibliotheken verschaffte. weiterlesen »

  • Die grosse Pyramide

    In einer Demokratie kann jeder seine eigene Vorstellung des Heldenhaften entwickeln und die staatliche kann sich mit jeder Neuwahl aendern. Statt eines festen, dauernden Abbilds entscheidet man sich darum, abgesehen von den abstrakten Farben der Nationalflagge, fuer lebende und widerrufbare Monumente: einen Praesidenten oder zumeist sportliche Idole. Wer sich fuer die Allgemeinheit besonders verdient gemacht hat, wird mit einem Strassennamen geehrt, vielleicht kommt er auch klein aufs Geld. Grosse staatliche Monumente aber baut man bald nur noch fuer diejenigen, die ueber jeden Zweifel erhaben sind: die Opfer. Ehrenmaeler werden von Katastrophenmaelern verdraengt oder verschwinden ersatzlos. weiterlesen »

  • Jeder gegen jeden

    Seit Anfang September bin ich in Puebla in Mexiko. Pueblalandia ist eine aus architektonischer Sicht sehr schoene Stadt. Ansonsten aber konservativ und katholisch. Zum Arbeiten ist das gut. Die Situation in Mexiko ist ansonsten der Wahnsinn. Jeden Tag ist in der Zeitung von zehn bis zwanzig Toten die Rede: gekoepft, verbrannt oder in Schwefelsaeurefaessern, angeblich von der Drogenmafia umgebracht. weiterlesen »