• Medienkunst erledigt? Die Serie

    Medienkunst – was ist das eigentlich? Ist das Buch nicht auch ein Medium und war Shakespeare in diesem Sinne nicht auch schon ein Medienkuenstler? Schon, also bereits damals, als der Begriff noch gar nicht en vogue war. Sie werden sagen: Geht es wirklich, um so Grundlegendes, wenn doch der Aufruf, den die Berliner Gazette gemeinsam mit der Kunst- und Medienwissenschaftlerin Verena Kuni im vergangenen Monat lancierte, nach dem Ende der Medienkunst fragte? Ja und nein. Jedenfalls klaeren Antworten auf die Frage Medienkunst erledigt? nicht zuletzt, was das Ganze ueberhaupt soll – also durchaus auch Basales, wenn der Blick auf den Leichnam und in die Zukunft gerichtet wird. Formuliert wurde der Aufruf anlaessslich der kontrovers diskutierten transmediale.07. Vernichtend hiess es da etwa: >Wirklich gut gelungen scheint einzig die feste Verankerung im Subventionsbetrieb.<

    Deutschlands groesstes Medienkunstfestival ein Mangelwesen? Totengraeber der Kunst? Unserem Aufruf folgten Medienkuenstler, Journalisten, Kunstkritiker, Medientheoretiker, Kuratoren, Medienaktivisten und Kunstprofessoren. Eigentlich sollte man das im Singular schreiben. Denn mehr als ein Dutzend Beitraege sind da nicht zusammengekommen. Doch: Die, die antworteten, sind immer auch Vieles zugleich (Theoretiker und Praktiker, Wissenschaftler und Journalisten); stehen ausserhalb und innerhalb des Feldes der Medienkunst zugleich. Insofern gehen die Berufsbezeichnungen in Plural schon in Ordnung. Ihre Namen lauten: Joulia Strauss, Stefan Beck, Tilman Baumgaertel, Holger Schulze, Geert Lovink, Manuel Bonik, Wolfgang Neuhaus, Wilfried Agricola de Cologne, Marc James Mueller und Pit Schulz.

    Bild: Norbert Bayer

    Ihre Beitraege zur oben gestellten Frage werden ab heute jeweils an den kommenden Wochenenden veroeffentlicht. Die perfekte Dramaturgie gibt es nicht. Allerdings: Die Reihenfolge, in der sie eingetroffen sind, erschien uns fuer die Vergabe der Seriennummern sinnvoll. Norbert Bayers Grafiken illustrieren die Texte. Nur augenscheinlich nostalgisch, mobilisieren Bayers Arbeiten den Pixel als zentrales Gestaltungselement und stellen damit ganz grundlegende Fragen nach dem Wesen der Medienkunst, wie Kommunikationswissenschaftler Christoph Bieber schreibt. Fuer die Beitragsserie Medienkunst erledigt? haben wir Bayers Werkreihe It’s A Me – Mario ausgewaehlt, die man gleichermassen als eine Analyse von sowie Hommage an das Nintendo-Spiel Super Mario verstehen kann. Last but not least: Mittlerweile findet sich eine der transmediale-Diskussionen zur Medienkunst im Netz dokumentiert.

  • Thai-Lessons#2

    Tauchen ist wie ein Traum. Alles ist viel langsamer und friedlicher als jemals zuvor. Du bist unter Menschen, aber eigentlich bist du ganz fuer dich. Du kannst kleine Fische streicheln und den anderen die grossen Fische zeigen, wenn du welche siehst. Du kannst jemandes Hand halten, aber du kannst nichts sagen. Du verhaeltst dich ganz anders als sonst und du wirst auch zu jemand anderem. Du nimmst die anderen anders wahr. Um ehrlich zu sein, mochte ich meine Tauch- Kollegen in Thailand viel lieber, wenn wir unter der Wasser- oberflaeche waren. Mein schottischer Tauchlehrer beispiels- weise, schien viel professioneller zu sein, wenn wir unter Wasser waren, wo man seinen Akzent nicht hoeren konnte und vor allem nicht seine dummen Witze. Ich glaube, sobald wir untertauchten, fingen wir alle an uns viel lieber zu moegen – in dieser wortlosen slow motion. In der grenzenlosen Welt der Korallen und Barrakudas. Dort scheint die Zeit viel schneller zu vergehen, wobei man sie nicht in Stunden und Minuten misst, sondern daran, wie viel Sauerstoffs man noch uebrig hat. Vielleicht habe ich deshalb ein so grosses Verlangen danach, ueber dieses wortlose Unterwasser-Welt zu schreiben, um sie eben doch zu verworten und somit zugaenglich fuer andere zu machen.

  • Gedaechtnisverlust in TV-Serien, 05. & 06.04.

    In einer staendig beschleunigenden Welt geraet unser Gedaechtnis in immer groessere Not: Sind wir in der Lage, Wesentliches zu speichern? Sind unsere Speicher ueberhaupt sinnvoll strukturiert? Waehrend das mentale Verwaltungssystem des Gestern zur Diskussion steht, reflektiert das Fernsehen diese Problematik laengst auf seine eigene Art: Etwa mit dem Motiv des Gedaechtnisverlusts in TV-Serien. Die Berliner Gazette hat das Reproducts Fernsehmuseum eingeladen, zu diesem Thema ein Programm fuer zwei Abendveranstaltungen zusammenzustellen. Titel: >Deleted Time<.

    Wer bin ich?, Wo war ich?, Was soll das?, lauten die Fragen, die Protagonisten wie Mannix, Data, Number Six oder Patienten von Dr. House durch ihre Welten treiben. Dahinter steht immer die Gefahr, in der Zeit, von der man nichts mehr weiss, ein voellig anderer, ja vielleicht sogar ein boeser Mensch gewesen zu sein. Nach dem Gedaechtnisverlust ist fuer die Ratlosen nichts mehr, wie es war – und es scheint die Moeglichkeit auf, dass alles ganz anders gewesen sein koennte. Nie aber leitet sich daraus ab, dass irgendetwas anders wird – die Suche geht immer nur darum, alles so weiterzumachen, wie es in Wirklichkeit bisher immer war. Die Zeitschleife, in der alles anders oder wenigstens moeglich war, bleibt im affirmativen Ja-Sager-Medium des Fernsehens eine verlorene Zeit.

    Deleted Time ist nach Possible Time die zweite Veranstaltung im Rahmen des Berliner Gazette-Jahresthemas Zeitgeist. Sie ist eine Kooperation mit dem Reproducts-Fernsehmuseum aus Hamburg, das sich in seiner ortspezifischen Materialisation als Soziale Plastik und Schule des selektiven Sehens zugleich versteht. Und sie besteht aus zwei eigenstaendigen Programmen: am ersten Abend in englischer Sprache (KIM, 05.04., 20 Uhr, Brunnenstr. 10) und am zweiten Abend in deutscher Sprache (06.04., Z-Bar, 22 Uhr). Beide Programme werden durch Stefan Eckel, Archivar am Reproducts-Fernsehmuseum, eingefuehrt. In Zusammenarbeit mit dem transcript Verlag als Medienpartner werden jeweils fuenf Exemplare von >Video thrills the Radio Star< sowie >Mit Telemann durch die deutsche Fernsehgeschichte< verlost.

  • Der glaeserne TV-Serienjunkie

    Ich kann ziemlich genau zurueckdatieren, wann sie bei mir anfing, die TV-Seriensucht. Es war die US-amerikanische Fernsehserie ER (emergency room), die mich als dreizehnjaehrige voll in ihren Bann zog. Ganze Dialoge konnte ich auswendig, Schraenke voll mit selbst zusammengestellten Videokassetten sammelten sich in meinem Jugendzimmer an und der Dienstagabend wurde zu einem unumstoesslichen Heiligtum. Familie und Freunde spielten ab 20:15 Uhr keine Rolle mehr, wenn das erste Mal die Buchstaben ER auf dem gruenen Bildschirm aufblitzen und dazu die weltberuehmten ER-Toene erklangen: dadaadadadaa. Ich, kurz vorm Herzinfarkt, fragte mich: was wuerde heut wohl wieder passieren? Und um 21:15 Uhr war der Tiefpunkt meiner Woche erreicht: der laengste Zeitabstand zur naechsten Folge.

    Damals gab es das Internet noch nicht (also zumindest bei mir zu Hause) und es war schwierig die Entzugserscheinungen bis zur naechsten Ausstrahlung zu lindern. Wenigstens gab es die Fernsehzeitung und damit eine Vorschau auf die naechste Episode und manchmal sogar Bildchen – alle Artikel und Bilder wurden natuerlich fein saeuberlich ausgeschnitten und in die Serienbibel geklebt. Eine zweite Ausweichdroge bestand fuer mich darin, mir in meinen Tagtraeumen Plots fuer den Fortgang der Serie auszumalen, darin kamen natuerlich nur meine Lieblingscharaktere vor, allen voran George Clooney alias Kinderarzt Dr. Doug Ross. Inzwischen haben sich die Zeiten geaendert. Auch wenn die Serie noch laeuft: ER is dead! Denn keiner von damals ist noch dabei und es ist einfach nicht mehr dasselbe.

    Ich habe jetzt zwar eine neue Lieblingsserie, aber Fan oder sogar Junkie zu sein, ist nicht mehr das, was es einmal war. Die Appetithaeppchen aus der Fernsehzeitung sind verdraengt worden von den tausenden von Foren im Netz, in denen die Ereignisse jeder Staffel schon diskutiert werden, bevor diese ueberhaupt offiziell startet. Und mit meinen Tagtraeumen hat es sich eigentlich auch erledigt, denn in sogenannten Fan-Fics schreiben Fans all ihre Ideen fuer moegliche Plots auf und posten sie in die Welt – da faellt mir dann auch nichts Neues mehr ein. Auch den heiligen Dienstagabend gibt’s nicht mehr. Meine Lieblingsserie lade ich mir einfach runter und dann kann ich sie gucken wann immer ich will – auf dem Computerbildschirm. So koennen uebrigens auch Sie zum glaesernen TV-Serienjunkie werden.

  • Gegenwart in Plural

    Im Rahmen meiner Dissertation habe ich mich mit lateinamerikanischen Autoren aus den Bereichen Kultur- und Kommunikationswissenschaft, Soziologie und (Stadt-)Anthropologie beschaeftigt und ihre Analysen von Strukturen und soziokulturellen Phaenomenen des Kontinents seit den 1980er Jahren untersucht. Dabei fiel mir auf, wie nachdruecklich der Begriff Moderne im Spiel war, ein Begriff, der zur gleichen Zeit in Europa und Nordamerika immer kritischer betrachtet wurde. Laengst war die Moderne hier nicht mehr nur Synonym fuer die Befreiung der Individuen aus den starren Rollenmustern traditioneller Gemeinschaften und fuer die Chance, die Zukunft frei zu gestalten, sondern auch fuer Sinnverlust, Vereinzelung und Reduktion auf Effizienz. weiterlesen »

  • Musikzimmer mit zehn Kisten

    Wie oft sind Sie in Ihrem Leben schon umgezogen? Oft? Und dabei stets die Erfahrung gemacht, nicht alles mitnehmen zu koennen oder auch nicht zu wollen? Sich trennen – das ist das Leitmotiv eines Lebens, das durch Umzuege gepraegt ist. Getrennt habe ich mich immer wieder, nicht zuletzt von Buechern und CDs. Nun bin ich seit einiger Zeit damit beschaeftigt zu rekonstruieren. Ich beschaffe mir Publikationen und Tontraeger, die mir einst wichtig waren. Mich mit meiner eigenen Sozialisation zu beschaeftigen finde ich spannend.

    Mitte der Neunziger Jahre war Musik sehr wichtig in meinem Leben: Mit Musikern ueber Musik und Geschichte sprechen, Spex lesen, Konzerte besuchen, fuer japanische und deutsche Magazine schreiben – auf diese Weise haben sich mir immer wieder neue Horizonte erschlossen; die CD-Sammlung wuchs ins Unermessliche. Meine Texte wurden auf Deutsch, Englisch und Japanisch veroeffentlicht. Highlights: Eine zweiteilige Story von insgesamt 16 Seiten ueber neue elektronische Musik in Deutschland fuer Wired Japan und ein Artikel ueber den Avantgarde-Komponisten Conlon Nancarrow, den ich kurz vor seinem Tode in Mexiko Stadt besucht hatte.

    Als ich neulich begann, meine aktuelle CD-Sammlung neu zu ordnen, habe ich festgestellt: So entscheidende Momente, wie Mitte der Neunziger gab es oefter in meinem Leben. Momente, in denen meine Ohren ueber sich selbst hinauswuchsen. Anfang 1980 zum Beispiel als ich Pop via Kassetten und Radio entdeckte. Einige Jahre spaeter dann durch Bekanntschaften und deren Musikzimmer in Rockmusik eintauchte. Uswusf. Nicht immer, aber immer wieder waren es Musikzimmer anderer, die fuer meine Musik-Sozialisation wichtig waren. Vielleicht besteht deshalb ein besonderer Reiz fuer mich darin, mein eigenes Musikzimmer zu gestalten. Gegenwaertig gibts fuer jeden Moment eine Kiste.

  • Soundtrack fuer den Sommer

    Meistens freut man sich nicht ueber Post, die ungefragt im eigenen Briefkasten landet. Als Spam bezeichnen wir so etwas heute gemeinhin – zumindest, wenn wir von unseren elektronischen Briefkaesten reden. Neulich fand ich im realen Briefkasten ein Paeckchen mit einer CD drin, unangefordert an die Kulturabteilung der Berliner Gazette gesendet. Das Redaktionssoundsystem ist natuerlich umgehend damit gefuettert worden. Und was gibt es da zu hoeren? Ohrwurmmusik von der Berliner Band 12morgen. Denkbar einfach: Ein Saenger, ein Klavier, ab und an Cello, Gitarre, eingaengige Melodien, poetische Texte.

    Fuer die ersten paar Sekunden stellt sich vielleicht Fremd- schaemen ein, nach dem Motto: Oh da singt doch jetzt nicht wirklich jemand auf Deutsch ueber seine Gefuehle – machen das gerade hierzulande nicht irgendwie alle? Hat man diese ersten Peinlichkeitsmomente ueberwunden wird’s schoen. Sehr schoen. Im Eroeffnungssong Alles Glueck der Welt legt Saenger Hannes Kreuziger sofort voll los und zeigt die Band- breite seiner Stimme und seine Reimkraft: Ich wuensch dir alles Glueck der Welt/ Fuer deinen weitren Weg/ und dass du eine Brise findst/ die dich weiter traegt. Welch Gleichklang!

    Und im besten Song des Albums, der Ballade Ich muesste luegen, reimt er: Ich muesste luegen, erblinden und betruegen/ wollt ich sagen, dass mein Herz nicht fuer dich schlaegt/ nach allem was gewesen kann ich in mir lesen/ einen Teil der immer noch Deinen Namen traegt. Schmelz, schmelz, schmelz. Keiner der 12 Songs ist ueberfluessig, alles ist da, wo es hingehoert. Alles klingt richtig. Die ganze Zeit denke ich beim Hoeren: Die meinen es ehrlich. Und vor allem auch ernst. Die Platte heisst wohl nicht zufaellig Jeder muss glauben.

  • Schlechte Vorbilder

    >Hey Kinder, spinnt ihr denn?< Ein Trupp von Blauuniformierten krallte sich drei kleine Jungs mit Migrationshintergrund. >Wenn ihr Taschengeld haettet, waert ihr das jetzt los – ihr wisst, warum?< Grosse Augen. In Neukoelln ist das Ordnungsamt unterwegs und greift durch. Radfahren auf dem Buergersteig kostet, Kopfsteinpflasterstrassen hin oder her. Kopfhoerer sind auf dem Fahrrad ebenfalls verboten: auch wenn morgens um acht am Landwehrkanal kaum Gefahr fuer Radfahrer besteht. Meine Perspektive, okay. Gesetz ist Gesetz, und auch die Ordnungshueter muessen von irgend etwas leben.

    Praemien fuer besonders beflissene Beamte? Vielleicht. Andererseits ist der Job wahrscheinlich die Hoelle. Das aendert jedoch nichts an meiner Situation. Weil ich in den letzten Wochen immer wieder neue Geschichten ueber das Ordnungsamt gehoert hatte, beschloss ich, mich zu wappnen. Fuer den Fall der Faelle. Ich kaufte Lichter für mein Fahrrad, das wohl Nahliegenste. Und fand heraus, dass Ordnungsaemter in Berlin bei den Bezirken angesiedelt sind. War mir egal, ich wollte die Gebuehrenordnung herunterladen. Fuer alles gibt es Gebuehrenordnungen in Berlin. Nichts dazu auf der Website des Amts. Wohl Hinweise zur Tierkoerperbeseitigung.

    >Scheisse seid ihr, schlechte Vorbilder, bei Rot ueber die Ampel zu laufen<, zeterte der Blauuniformierte weiter und deutete auf eine Frau mit einem Buggy. Das lethargisch wirkende Kind drehte sich zur Seite. Der Beamte liess von den Jungen ab, die Luft war raus. Wahrscheinlich lag ihm Tierkoerperbeseitigung mehr.

  • Flatrates zum Billigrausch

    Alles verdrehen. Oder Sich-Zurechtdrehen – das kann man tatsaechlich immer und mit allen Themen. Das Programm dazu lieferte der philosphische Konstruktivismus – in seiner rueden Auslegung. Vor allem Kulturjournalisten scheinen sich laengst ein diebisches Vergnuegen damit zu machen. Egal worueber man schreibt – Hauptsache es kultet so richtig. Und Hauptsache, man kann stolz auf seine Einfaelle sein.

    So eben auch mit dem Problem des exzessiven Besaufens, das in England unter binge drinking firmiert und bei uns despektierlich Koma-Saufen genannt wird. Da braucht man keine Kulturgeschichte des Sich-Besaufens aufstellen, weder an Dichter, Schriftsteller und Rockstars zu erinnern noch eigene umwerfende Anekdoten ins Spiel bringen im Sinne etwa des: Weisst du noch, als wir …, um den Alkohol am Ende zum Triebstoff oder Schmiermittel der modernen Gesellschaft aufzuwerten. Das wissen wir doch laengst, moechten wir dem Autor zurufen. Und das hat mit dem Ausgangsproblem rein gar nichts zu tun.

    Es geht doch nicht um den einen oder anderen Rausch. Oder darum, koreanische Kampftrinker als die haertesten Jungs auf der Erde auszuzeichnen. Sondern einfach um die Frage, ob man es zulassen kann oder soll, dass in Diskotheken an Jugendliche unter der Woche oder am Wochenende Flatrates zum Billigrausch verkauft werden koennen. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger.

  • Thai Lessons#1

    Ziemlich lange schon traeume ich davon, eine Mix-Sprache zu sprechen, vielleicht eine Art Pidgin, oder wie auch immer man es bezeichnen will. Diese Sprache wuerde aus all den bits and pieces jener Sprachen bestehen, die ich bisher in meinem Leben erlernt habe. Ich stelle mir vor, in bestimmten Momenten genau jene Woerter herauszupicken und zu Saetzen zusammenfuegen, die meine Haltung gegenueber bestimmten Themen am besten ausdruecken oder vielleicht auch einfach nur meine Stimmung.

    Das wuerde natuerlich voraussetzen, dass mein Gegenueber zumindest einen Teil davon verstehen kann, was ich meine – falls ich nicht gerade endlose Monologe fuehren will. Nun stell dir vor, du faellst aus diesen linguistischen Tagtraeumen direkt auf einen thailandischen Buergersteig: Das kann schon ziemlich wehtun. Die Ausgangslage ist recht einfach: Wenn du kein Thai sprichst, musst du dich auf die absoluten Basics beschraenken und dich meistens mit Haenden und Fuessen verstaendlich machen. Vielleicht ist es das Beste in solchen Momenten einfach mal still zu sein und jeden Tempel, jedes Wort in sich aufzunehmen. Also entschloss ich mich bei meinem Trip durch Thailand, nicht zu sprechen.

    Jedesmal wenn ich jemandem begegnete wurde ich mit einem Kopfbeugen und zusammengefalteten Haenden begruesst, was mich ans Beten erinnerte, wie es mir im Religionsunterricht in der Schule beigebracht wurde. Vielleicht waren diese Assoziation und die unerwartet wiederbelebten Erinnerungen der Grund dafuer, dass mich jener elementare Kommunikationsprozess so sehr erfreute. Auf einmal spuerte ich, wie ermuedet ich von Woertern war. Ermuedet davon, welche Dinge haetten besser gesagt werden sollen und welche nicht. Ermuedet von Wort-Erwartungen und Wort-Waffen. Mein Trip wurde immer mehr zu einer Meditation ueber Kommunikationsprozesse, die ohne Worte stattfinden.

  • Kritische Massage

    Das Internet vertraegt das im Moment ganz gut. Nech? Heute mal wieder so rumgesurft zu Essensseiten und Klamotten- seiten. War aufschlussreich, mal wieder einen Blick in die Welt der Menschen von hypte zu wagen. Also wenn es um Essen geht und Dessous. Dann kommen sie ja alle aus ihren Hotels zum Beispiel oder aus ihrem Schlafkoma. Fuer mich ist die Sache ganz einfach. Die Katze entscheidet. Setzt sie sich lieber auf eine Tuete von Eveline Brandt oder in eine Tuete von Ikea oder Woolworth. Die Katze von heute (das heisst >heute<), gestimmt in wasauchimmer, bevorzugt Brandt. Und das, obwohl da ein wunderbarer Weidenkorb nebensteht mit zwei leeren Lidl-Flaschen mit Appelsaftschorle (welch eine Verschwendung, ich mahne so etwas immer an, aber wer hoert mir schon noch zu.)

  • Die Peggy Bundy unter den Vorstadtnutten

    Das StudiVZ. Auch ein virtueller Vorglueh-Park (>Ich glueh haerter vor, als du Party machst<) fuer die >Pornobrillen sind porno<-Generation haelt die ein oder andere belanglose Kleinigkeit bereit, die man sonst nie erfahren haette. Zum Beispiel fragte gestern eine entfernte Kommilitonin an, ob sie wohl meine Freundin werden duerfe. Ja, wieso nicht?

    Auf ihrer Freundesliste fand sich dann ein junger Mann, wohnhaft in meiner Heimatstadt, den ich zwar im Leben nicht gesehen habe, dessen Mutter aber eindeutig meine schon morgens um zehn einen suesslichen Alkoholgeruch verstroemende Kunstlehrerin aus der Mittelstufe sein muss, die mit Leopardenleggins, verschmiertem Lippenstift und freigelegtem, recht knittrigem Dekollete eine Mischung aus Peggy Bundy und abgewrackter Vorstadtnutte gab und sich angeblich auf der Klassenfahrt vom blondiert-dauergewellten Sonnenbank-Jochen, dem SoWi-Lehrer, Mokassins mit weissen Tennissocken (DIESE 80er-Mode kommt nicht wieder, oder?), durchnudeln liess.

    Daran erinnert zu werden ist ganz lustig, zumal daran, dass ein Hochschulbesuch schon zu anderen Zeiten offensichtlich nicht vor boulevardesken Entgleisungen schuetzte. Schoen ist aber auch, mit einigem Abstand zu erfahren, dass diese Frau nicht nur Lehrerin ist und damit naturgegeben alle moeglichen Gemeinheiten ueber sie im Umlauf sind, von denen vielleicht die Haelfte tatsaechlich stimmt, sondern dass sie eben im Nebenjob z.B. fuer diese meine Freundeslistenneuerwerbung eine nette, muetterliche Freundin ist und sein kann. Zugegeben, eigentlich belanglos, aber nicht ganz.

    Als Endzeit-Studentin allerdings, noch dazu als eine irgendeiner Geisteswissenschaft, also als eine solche, fuer die es langsam ernst wird, Boheme oder Prekariat (oder ist das dasselbe?) empfiehlt sich vielleicht alternativ oder auch ergaenzend die Anmeldung im PennerVZ. Um seine Daten braucht man sich hier keine Sorgen zu machen, an Persoenlichem ist lediglich der Spitzname (Rudi oder Gabi eben) und der ungefaehre Standort der Bruecke gefragt, unter der man vorzugsweise naechtigt. Und schon kann man auch hier den Synergie-Effekt hemmungslos nutzen: Wie heisst die Suesse neben Dir in der Bahnhofsmission?, Einkaufswagen Sharing: So sparst du Energie! Auch eigentlich belanglos, aber nicht ganz.