Warum ich HERLAND wichtig finde
Als Lektorin und Verlegerin politischer Kriminalliteratur streite ich schon seit 1988 für feministischen Realismus im Genre. Frauen haben in den letzten drei Dekaden Teile des Krimigenres erobert. Aber da, wo ›relevante‹ Literatur definiert wird, sind wir noch immer krass unterrepräsentiert.
Im Politkrimi – noch – unterrepräsentiert sind auch die Milieus und Themen, die traditionell nicht Felder männlichen Heldentums sind. Jenseits von heroischen Aktivisten, Spionen, Enthüllungsjournalisten in Kriegsgebieten und dergleichen gibt es einen Alltag, der mit all seinen Verstrickungen gemeistert werden muss, damit ein Morgen überhaupt möglich ist. Es gibt Kranke, Versehrte, Alte und Kinder, für die gesorgt und vorausgedacht werden muss. Noch immer sind dies überwiegend ›weibliche‹ Themen, die in der Gesellschaft genauso zu kurz kommen wie in der Kultur. Es sind die Niederungen politischen Denkens und Handelns, existenziell, aber ohne Priorität.
Einige Autorinnen schreiben Krimis, die sich diesem Schweigen entgegenstemmen. Es erfordert Mut, Talent, Idealismus, Geduld und irrwitzige Recherchearbeit, das Unkolportierte im Zeitgeschehen sichtbar, den verschwiegenen Alltag denkbar und die Wahrheit als ein Gemenge widersprüchlichen menschlichen Handelns begreifbar zu machen und damit Literatur zu erschaffen. Dieses Tun sollte nicht vereinzeln, sondern in einen kulturellen Pool einfließen können! Es gibt bisher keine Plattform, wo Autorinnen gesellschaftskritischer Krimis als solche in einen lebendigen Diskurs treten können. Die meisten krimikulturellen Foren und Vereine hierzulande sind dominant männlich, politikfrei, erfolgsorientiert hierarchisch, das emanzipatorische Anliegen ist damit inkompatibel. Der deutschsprachige Ableger des internationalen Frauennetzwerks Sisters in Crime heißt Mörderische Schwestern (schon der Name ist zu kokett-verspielt für das, worum es mir geht) und ringt seit 20 Jahren darum, dass Frauen im deutschsprachigen Genre einander beachten und unterstützen – das ist ein Anfang, aber mir zu wenig, zu brav, zu unpolitisch. Hierzulande ist noch nicht mal Sitte, dass Autorinnen öffentlich aufeinander eingehen, eine lebendige Rezeptionskultur miteinander pflegen.
Ich lese möglichst alles, was als politische Kriminalliteratur verstanden werden kann, und diskutiere viel und gern darüber. Darin finde ich immer mehr Gleichgesinnte. Das genieße ich. Doch wenn ich das Frauenbild eines Autors kritisiere oder anmerke, dass in einem Roman nur Männer die Erzählung bevölkern, erfahre ich Reaktionen wie Ungeduld (ja, schon klar, aber darum geht es doch dabei nicht), Abwiegeln (aber er schreibt so gut, man kann eben nicht alles haben), oder gutmütigenfalls diplomatische Themenwechsel.
Obwohl gute, realistische, politische Kriminalliteratur immer stärkere Verbreitung findet, obwohl sich eine stetig wachsende Lobby aus kompetenten Kritiker*innen und Kreativen bildet, obwohl mehr und mehr ins Bewusstsein rückt, dass politische Kriminalliteratur zu den relevantesten Literaturen der Gegenwart gehört, blüht noch immer der Macho-Kult im Genre, Frauenkrimi steht für romantischen Schund, und was als große Erzählung die höheren Weihen erhält, erzählt fast immer von Männern.
Frauen können denken, hingucken, schreiben, Frauen haben Rechte, Frauen sind überall. Ganz besonders übrigens dort, wo die gesellschaftlich notwendigste Arbeit verrichtet wird. Dies ist mein Wunsch: Mischen wir uns ein. Fangen wir damit an, uns Frauen sichtbarer zu machen – da, wo es drauf ankommt. Die Welt ist in einem beschissenen Zustand, von dem das Genre adäquat zu erzählen weiß. Doch um seine Welthaltigkeit umfassend zu machen, braucht es unbedingt den feministischen Blick, der im Politischen dem ganzen Leben gerecht zu werden sucht. Denn das Persönliche ist politisch.
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