Geschrieben am 1. August 2018 von für Litmag, News, Specials, Story-Special 2018

Essay: Else Laudan: Die Welt als unser aller Haus

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Bauarbeiten

Wenn die Welt unser Haus ist, müssen wir sie wie ein Haus erhalten, Schäden beheben, vorsorgen, Konflikte konstruktiv lösen. Es ist eine Metapher, die Hoffnung, Sorgen und Nöte verdeutlicht. Die Hoffnung, Gesellschaft gemeinsam zu machen, so gerecht und ausgewogen, dass sie für uns alle ein gut bewohnbarer Lebensraum sein könnte: ein Haus für alle. Die Sorge, dass wir Menschen der Welt, unserem Haus, längst irreparable Schäden zugefügt haben durch Raubbau an der Natur. Das Dach ist leck, die Mauern morsch. Was tun?

Die Not der Umstände, dass unser Haus uns gar nicht gemeinsam gehört, weil beinahe alle gültigen Wertesysteme derzeit auf einem Gegeneinander basieren – Konkurrenz, Wettbewerb, Verdrängung, Besitz/Eigentum. Nichts davon fördert ein Miteinander, ein gemeinschaftliches Herangehen an universelle Probleme. Die „Werte“ sind antisozial: Ehrgeiz gilt als Stärke, Gier als normal, Macht als Verdienst, Alter als Makel und Bürde, Diversität als Belastung. So lässt sich nicht gemeinsam Gesellschaft machen, in der alle Platz haben und Sinn.

FriggaHaug2Das Bild von der Welt, die wir als Haus gemeinsam bewohnen, fand ich bei Frigga Haug, meiner Mutter und Lehrerin (besonders beim Denken in Widersprüchen). Es war ein kurzer, tastender Text von ihr im Lutherjahr zu der Frage, wie umgehen mit dem Politikum der hierher Flüchtenden, ohne den auf allen Seiten zunehmenden Gut-Böse-Schemata auf den Leim zu gehen, ohne zwischen Pro-Kontra-Dichotomien zerrieben zu werden. Sie suchte das Thema aus der Schwarz-weiß-Zone herauszuholen und in weiterführende Fragen zu wenden, nicht Heimatschutz versus Solidarität, einheimisch versus fremdländisch, auch nicht umgekehrt verfolgte Bedürftigkeit versus selbstgefälliger Reichtum, weil all das im gelebten Leben immer zu kurz greift (was ist mit der Frauenfrage, mit der Säkularität u.v.m.). Sie landete bei der Sehnsucht, ob es vielleicht möglich wäre, die Welt als Haus zu denken, in dem wir miteinander Wohnraum finden, auch wenn wir nicht alle übereinstimmen.

Ein schönes Bild, das mich seitdem nicht loslässt. Wenn alle gemeinsam ein Haus bewohnen (wohlgemerkt ein Haus, das nicht etwa einem gehört, an den die anderen Miete zahlen müssen, wofür sie Geld brauchen, wofür sie sinnfremde Arbeit auf sich nehmen und so weiter), sind Hausfrieden und umsichtiger Hauserhalt in aller Interesse. So stelle ich mir utopisch Gesellschaft vor.

Doch selbst noch in der lupenreinen Utopie stecken sogleich Widersprüche. Wer darf in „unserem Haus“ sein, wohnen, mitbestimmen? Auch wenn ich in einer solidargemeinschaftlichen Welt leben möchte, gibt es Leute, die ich in diesem „unserm Haus“ nicht haben wollen würde, es gibt laute, selbstsüchtige Arschlöcher, mit denen mir keine Wohngemeinschaft möglich scheint. Will ich in Wahrheit also doch bloß einen kuscheligen Club, Zugang nur für Gleichgesinnte, Andersdenkende müssen draußen bleiben oder – umerzogen werden? Klingt scheiße. Also was? Zurück auf Los?

__UrsulaLeGuin1webEine andere große Denk-Lehrerin, die Schriftstellerin Ursula Kroeber Le Guin, hat in einem Essay ebenfalls das Bild vom Haus benutzt:

»Macht korrumpiert nicht nur, sie macht abhängig. Arbeit wird zu Zerstörung. Nichts wird aufgebaut. Gesellschaften verändern sich mit und ohne Gewalt. Neuerfindung ist möglich. Aufbauen ist möglich. Was für Werkzeug haben wir zum Aufbauen außer Hämmern, Nägeln und Sägen – Bildung, Denken lernen, Lernen lernen? Gibt es tatsächlich Werkzeuge, die noch nicht erfunden sind, die wir erst noch erfinden müssen, um das Haus zu bauen, in dem wir unsere Kinder leben sehen wollen? Können wir von dem ausgehen, was wir schon wissen, oder hält uns das, was wir schon wissen, davon ab, zu lernen, was wir wissen müssen? Um zu lernen, was die nichtweißen Leute, die Frauen, die Armen, zu lehren haben, um das Wissen zu lernen, das wir brauchen, müssen wir alles bisherige Wissen verlernen, das der Weißen, der Männer, der Mächtigen?«

Lernen lernen. Werkzeuge erfinden, um das Haus zu bauen, in dem wir unsere Kinder leben sehen wollen. Zu diesen Werkzeugen gehört für mich Sprache. Gehört Kommunizieren, gehört Erzählen.

Die Sprache, mit der wir gegenwärtig hantieren, steckt voller Herrschaft, Unterdrückung, Gewalt. Rattenfänger, Hassparolen, Gier, Missgunst, Drohungen, immer lauter, indes die Ressourcen der kommenden Generationen verblasen werden und plastikverseucht. Es tobt ein Lärm, ein Gebrüll von Werbung, ein Geschrei nach Ausgrenzung. Diese Sprache will ich in unserem Haus nicht sprechen noch hören müssen. Ich sehne mich nach Kooperation, nach friedlichem Aufbau in Vielfalt. Einst wollten Frauen die Nacht zurückerobern. Könnten wir nicht die Sprache zurückerobern, die große Erzählung, die respektvolle Kommunikation?

Herland ist ein Netzwerk von Erzählerinnen, die über die Risse im Gemäuer schreiben, über einstürzende Balken, Löcher im Boden und über die Personen, die jetzt das kaputte Haus bevölkern. Wir nutzen die Sprache, die wir vorfinden, zum Erzählen. Und spüren ständig ihre Grenzen. Müssen wir sie neu erfinden? Wir, die wir sprachmächtig und erzählerisch unterwegs sind, empfinden schmerzhaft die chauvinistische Tradition der großen Erzählungen (das Wissen der Weißen, der Männer, der Mächtigen). Wir fühlen ebenso schmerzhaft die derzeitige Verrohung des gesellschaftlich üblichen Sprachgebrauchs, dem zunehmend Respekt fehlt – vor Mitmenschen, vor dem Leben, vor der Geschichte, vor allem, was anders ist, wozu immer auch Frauen gehören.

Vielleicht müssen wir tatsächlich einiges bisherige Wissen verwerfen, müssen eine neue Erzählung erfinden, um unsere Welt, unser Haus bewohnbar zu machen.

Else Laudan

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Else Laudan ist Verlegerin des Argument/Ariadne-Verlags in Hamburg. Seit 30 Jahren setzt sie sich für politische Kriminalliteratur von Frauen ein. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerkes Herland.

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