Geschrieben am 1. August 2018 von für Litmag, Specials, Story-Special 2018

Story: Else Laudan: Zuständigkeit

DSC_2828_1635

Lesen & Putzen

Sie muss dringend mal aufräumen. Dieses Obendraufleben, das sie sich angewöhnt hat, um nicht verrückt zu werden – zumal sie schließlich keine Spießerin ist, bei der man vom Fußboden essen kann, die auf Werbung hereinfällt und Hausarbeit als ihre naturgemäße Domäne betrachtet –, also das hat eben doch seine Grenzen. Hygienegrenzen. Oder so. Klar gibt es immer irgendwas Wichtigeres, was gerade anliegt – aber wenn es danach geht, würde sie tief im Müll hausen. Genial, aber versifft und verkommen.

Nein, die Selbstachtung verlangt, dass sie gelegentlich für zumindest eine Ahnung des Gefühls sorgt, ihren Lebensraum im Griff zu haben. Aufräumen muss also sein. Am besten sofort. Was sind die dringlichsten Stellen? Das viele Altglas, der unsortierte Steuerkram, die Wäsche? Das Chaos im Schrank, das entsteht, wenn immer alles nur schnell reingepfeffert wird?

Moment, da ist ja nicht nur ihr kleiner, ach so privater Intimbereich, das ganze Haus muss beständig aufgeräumt werden, und wer soll das machen, wenn nicht alle, die darin leben? Das Haus, das ihrer aller Welt ist. Vom Dach bis zum Untergeschoss. Die Küche. Der Vorratskeller. Die Werkstatt. Die Waschküche, das Krankenzimmer, der Laden. Die Treppenhäuser und Flure, auf denen jetzt immer öfter unangekündigte Hauslose lagern. Und die Klassenräume, wo die nächsten Generationen ausgerüstet werden, wie sieht es da drin aus?

Mit den Nachbarn reden muss sie auch. Das junge Volk, das neulich nebenan eingezogen ist. Haben sofort verkündet, dass sie nicht selbst aufräumen wollen. Möchten andere dafür bezahlen und es vom Hals haben, sich nicht damit abgeben müssen. Sie haben Wichtigeres zu tun. Aber das haben viele, oder? Wie kann sie ihnen klarmachen, dass sich selber kümmern unumgänglich ist? Dass die alten Muster auch die alten Probleme zurückbringen?

Schaut mal, Leute. Was lehrt uns die Geschichte, was passiert, wenn wir diese Arbeit delegieren – an Einzelne, an eine Gruppe, an die Hälfte der WG? Genau, sie wird abgewertet, unsichtbar, irrelevant. Sich kümmern, aufräumen, kochen, putzen, waschen, flicken, instand halten, sorgen für Kleine, Kranke, Alte, Schwächere – alles, was unseren Lebensraum und unsere Gemeinschaft intakt hält, gerät aus dem Blick, wird nebensächlich und untergeordnet. Weil einige mit „Wichtigerem“ befasst und damit weit weg von alledem sind. Als Nächstes kommen die, die saubermachen, alle sattzukriegen versuchen und sich um die Versorgung kümmern, nicht mehr dazu, übern Tellerrand zu gucken, zu den Versammlungen zu gehen und mitzuentscheiden, was wie geregelt und gemacht werden muss. Und die, die es dann entscheiden, kennen nicht mal den Keller.

Ist doch klar, dass es so nicht geht, oder? Also kommt schon. Räumen wir auf. Gemeinsam.

Else Laudan

else

 

 

Else Laudan ist Verlegerin des Argument/Ariadne-Verlags in Hamburg. Seit 30 Jahren setzt sie sich für politische Kriminalliteratur von Frauen ein. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerkes Herland.

Tags : ,