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Hundertvierzehn | Essay
Feminismus bewahrt mich vor Kitsch

Eine starke Stimme: Inga Humpe über Popmusik und Feminismus für das gemeinsame Online-Projekt von Hundertvierzehn.de und Logbuch Suhrkamp ›Feminismen: Wie wir wurden, wie wir leben, was wir sind‹.

 
Inga Humpe

Inga Humpe wurde in Hagen geboren, studierte Kunstgeschichte und Komparatistik an der TH Aachen und Philosophie an der FU Berlin. Mit der Band Neonbabies veröffentlichte sie 1978 ihr erstes Album, zahlreiche weitere folgten, zuletzt ›Achtung Fertig‹ mit der Band Zweiraumwohnung. Sie schrieb außerdem Remixe und Filmmusik. Für ihre Arbeit wurde sie vielfach ausgezeichnet.

 

Mit ungefähr 14 Jahren kapierte ich, dass ich männlicher werden musste.
Um aus der Enge der Ängste meiner kriegstraumatisierten Eltern und den Idealbildern der frühen 60er Jahre herauszukommen, half erst mal nur das Abitur.
Irgendwann kam die lila Latzhose und das sich Aufregen über Ungerechtigkeiten. Ich lernte, Gefühle abzuspalten, grausam gegen mich selbst und andere zu sein. Kein Vertrauen zu entwickeln und Wut waren meine männlichen Motoren. Komplett allein: graben, wühlen, irren und zickzack laufen – es gab in meinem Umfeld keine lebendigen Vorbilder, niemanden, an dem ich mich hätte orientieren können.
Ich stellte mir in Stresssituationen vor, als Chefarztgattin ein paar langstielige Blumen in einer Vase zu dekorieren und dabei mir selbst zuzuflüstern: Mehr musst du ja nicht tun, er sorgt für dich und die Kinder.
Aber dieses Konzept wackelte.

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Mit dem Projekt »Feminismen: Wie wir wurden, wie wir leben, was wir sind« von Thomas Meinecke und Antje Rávic Strubel setzen Logbuch Suhrkamp und S. Fischer Hundertvierzehn ihren im vergangenen Jahr begonnenen Austausch fort. Am 17. Juni erschienen die beiden Eröffnungsessays ›Wie ich Feminist wurde‹ von Thomas Meinecke und ›Hart am Wind‹ von Antje Rávic Strubel, über die sie sich im Gespräch austauschten. Am Montag folgte ein Text von Jennifer Clement, und am 25. Juni fand ein Live-Chat statt. Es diskutierten Jörg Albrecht, Paul Brodowsky, Olga Grjasnowa und Senthuran Varatharajah. Das Projekt wurde mit Beiträgen von Rosa Liksom, Annika Reich & Katharina Grosse, Isabel Fargo Cole, Inga Humpe, Marion Detjen, Alexander Kluge und Rachel Cusk fortgesetzt.

Zum Glück entstand Ende der 70er Jahre die Punkmusik, in der wir Jungen ungeniert aggressiv und verzweifelt sein konnten und scheinbar gefährlich sein durften – und wenigstens ein paar Spießer-Miefer mit unseren blauen Haaren erschrecken konnten.
Den Punker-Jungs ging aber die Gleichberechtigung auch komplett am Körper vorbei, und ich bekam eine Diven-Bescheinigung für mein Ich-mach-alles-so-wie-ich-es-will. (Die 80er waren nicht gerade das Jahrzehnt der Gesprächskultur.)

In den 90er Jahren dachten wir, die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen stünde kurz vor der Vollendung und Feminismus würde bald so überflüssig sein wie mittelalterliche Bauernaufstände. Das kam mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammentreffen von sozialistisch gewachsenen Gleichheitsprinzipien und der Anarchie der 90er Jahre, die in den unkontrollierbaren neuen Stadtgebieten in Berlin herrschte.
Es gab diese Neohippie-Stimmung in Berlin, die wirklich Hoffnung machte.
Die Frauen tanzten oben ohne und Schwule küssten sich und mich. Ich dachte, wir haben es geschafft. Dann trugen die hübschen DJ-Frauen ihren Männern doch wieder den Pass hinterher und packten für sie die Koffer und versuchten, möglichst viele andere Frauen zu verscheuchen – nix ging voran, und »freie Liebe« war nur ein Lied.

Der Fortschritt geht nicht brav in eine Richtung. Der Begriff Feminismus steht mittlerweile nicht nur für Frauen, sondern für alle Minderheiten und gesellschaftlich benachteiligte Gruppen.
Viele Männer fühlen sich offensichtlich ausgeschlossen, wenn das Wort Feminismus fällt. Der Begriff funktioniert wie eine Knarre: Die Reaktionen sind Angst, Hass, Beißen, Zynismus.

Ich habe für mich die gute alte Ironie wieder entdeckt, als Abwehrsystem gegen kaputte Kommentare und Internetattacken. Ja, wir haben doch eine Kanzlerin, und es gibt so viele erfolgreiche Sängerinnen, was wollen Frauen eigentlich noch alles?

Popmusik ist der geeignete Ort für Gesänge von kalkulierter Gefühlsverlogenheit, gelebter Konfliktlosigkeit und falscher Geborgenheit. Verkitschen nennt man das (aus dem Jiddischen); es bedeutet so viel wie »jemandem etwas andrehen, was der nicht braucht«.
Feminismus bewahrt mich vor Kitsch.
Meine Message hinter jedem Lied ist immer gleich: Alles, was Frauen stark macht, wird gebraucht. Mach ich.

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Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH
Frankfurt am Main 2020
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